Berlin/Düsseldorf. Der Wissenschaftler Ken Goldberg glaubt an die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine. Roboter können im Alltag viele Vorteile haben.

Fünf Millionen Arbeitsplätze sollen in den nächsten fünf Jahren in den Industrieländern wegfallen. Der Grund dafür: Roboter. Diese Prognose, Ergebnis einer Umfrage unter den Topmanagern der 350 größten Konzerne der Welt, macht seit Januar die Runde. Sie ist verbunden mit der Angst, der Mensch könnte überflüssig werden. Professor Ken Goldberg, einer der renommiertesten Robotik-Wissenschaftler weltweit, glaubt nicht daran.

Herr Goldberg, steht in nächster Zeit ein Aufstand der Roboter zu befürchten?

Ken Goldberg: Definitiv nicht! Es ist wirklich wichtig, das klarzustellen: Wir Menschen haben noch viele gute Jahre vor uns! Sicher, Roboter haben Fortschritte gemacht, aber der Fortschritt ist langsam. Auf keinen Fall drohen sie die Kontrolle zu übernehmen. Lassen Sie mich da ehrlich sein: Wenn Sie den weltweit fortschrittlichsten Roboter bitten würden, den Esstisch abzuräumen, hätten Sie ganz schön viel zerbrochenes Geschirr. Und ich bin auch bereit, darauf zu wetten, dass wir ein fahrerloses Auto nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre sehen werden. Auch in den kommenden Jahren werden wir Fahrassistenzsysteme nutzen, aber nicht komplett auf Menschen verzichten. Menschen werden weiterhin in vielen Jobs notwendig sein: im Service, auf Baustellen, in der Lehre. Diese Jobs werden uns Roboter nicht wegnehmen.

83 Prozent der Deutschen wünschen sich einer Umfrage des Bundesforschungsministeriums zufolge einen Serviceroboter für den Haushalt, der sie im Alter unterstützt. Glauben Sie, dass dies ein wichtiger Aspekt in der Entwicklung werden kann?

Goldberg: Ja, aber auch hier als Assistent, nicht als Ersatz für Menschen. Es gibt einen tollen Film: „Robot & Frank“. Er hat mich von den Vorteilen überzeugt, die ein Roboter im Alter für mich bringt. Ich glaube, das ist ein tolles Beispiel, in dem Roboter uns nicht schaden oder den Job wegnehmen – oder die Weltherrschaft übernehmen. Viele von uns hätten lieber einen Roboterpfleger als einen menschlichen Pfleger, der seinen Job nicht mag. Roboter könnten wichtige Dinge tun, etwa den Boden sauber halten, Objekte aufheben. Das ist außerordentlich wichtig, weil ältere Menschen anfällig dafür sind, über solche Hindernisse zu stürzen. Sie lassen etwas fallen, treten darauf, stürzen und brechen sich die Hüfte – das kann verhängnisvolle Folgen haben. Aber: Ein Objekt aufzuheben klingt sehr einfach – für einen Roboter ist das allerdings sehr schwierig.

Können Sie das mal erklären?

Goldberg: Objekte zu greifen ist für Menschen einfach, für Roboter äußerst schwierig: Diese Tatsache ist auch bekannt als das Moravec’sche Paradox: Was für Menschen schwierig ist, etwa das Berechnen einer invertierten Matrix, ist für Maschinen ein Leichtes. Aber Dinge, die für Menschen leicht sind, bleiben für Roboter sehr schwierig.

Was heißt das konkret?

Goldberg: Hier ist ein Beispiel: Ich halte diesen Kaffeebecher in der Hand und ich bin sogar in der Lage, die Tasse in der Hand zu drehen (er dreht die Tasse in einer Hand, d. Red.). Hier passiert gerade sehr komplexe Physik. Wir verstehen die physikalischen Hintergründe nicht, wir verstehen die beteiligte Reibung nicht sehr gut, und wir verstehen auch das Wahrnehmungsproblem nicht gut genug. Den exakten Ort zu kennen, wo sich der Becher im Raum befindet, und wie man die Greifer zu diesem Punkt im Raum bringt – das sind sehr komplexe Probleme. Es hat sich gezeigt, dass die exakte Bewegung eines geschobenen Objekts von Natur aus unvorhersagbar ist, weil sie von mikroskopischen, sich verändernden Reibungen unter dem Objekt abhängig ist, die nicht wahrnehmbar sind. Wir wissen weit mehr über die Bewegung ferner Kometen als über die Bewegung dieser Tasse, während wir sie über den Tisch schieben.

Aber wie können wir Robotern beibringen, was wir selbst so wenig verstehen?

Goldberg: Menschen haben Techniken entwickelt, um das auszugleichen. Obwohl meine Hände nicht absolut präzise sind: Wenn ich eine Tasse aufheben möchte, führe ich sie so an sie heran (er bewegt seine geöffnete Hand in Richtung der Tasse). Obwohl ich nicht ganz genau weiß, wo Dinge sind: Das Ergebnis dieser Technik ist erfolgreich und zuverlässig. Und das versuchen wir auch für Roboter zu tun – verlässliche Strategien gegen natürliche Unklarheiten entwickeln.

Wie sieht so eine Strategie aus?

Goldberg: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe etwas in einem Raum, aber ich weiß nicht genau, wo es ist, aber ich muss es in die Mitte des Raumes bringen. Ich habe zwar Sensoren, aber die sind nicht sehr gut. Was kann ich also machen? Stellen Sie sich vor, dass ich einfach einen Besen nehme und anfange, in Richtung der Mitte des Raums zu fegen. Ich mache das immer wieder, ohne dabei irgendetwas wahrzunehmen. Nachdem ich von allen Seiten nach innen gefegt habe, wird sich das Objekt garantiert in der Mitte des Raums befinden, obwohl ich es nie wirklich präzise wahrgenommen habe. Das ist ein Beispiel, in dem man Mechanik und Physik benutzt. Obwohl man das Wahrnehmungsproblem nicht perfekt lösen kann, lassen sich die natürlichen physischen Bedingungen der Umgebung effektiv nutzen. Und genau das versuchen wir: Algorithmen zu bauen, die dies ausnutzen.

Wie lange wird es noch dauern, bis wir gute Aufräumroboter sehen?

Goldberg: Ich wette, dass wir diese Roboter innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre haben werden. Das ist wirklich aufregend, denn ich weiß, ich könnte definitiv einen davon zu Hause brauchen.

Ein Stichwort, das im Zusammenhang mit Maschinenlernen immer öfter fällt, ist „Deep Learning“. Dabei werden künstliche neuronale Netze zu Ebenen angeordnet, die immer komplexere Merkmale verwenden. Könnte das die Probleme überwinden?

Goldberg: Nun, Deep Learning ist eine interessante Entwicklung. Wir wissen nicht wirklich, bis zu welchem Grad es sequentielle Planungsprobleme lösen kann. Eine große Frage ist der Skalierungseffekt. Wenn wir viele, viele Parameter haben und diese mit sehr viel Rechenleistung kombinieren, dann könnten wir tatsächlich in der Lage sein, Dinge zu vollbringen, die wir selbst analytisch nicht leisten könnten. Wir haben bereits bei Bildanalysen gesehen, was es leisten kann. Jetzt versuchen wir herauszufinden, ob sich dies auch für die Bewegung und Handhabung von Dingen im Raum anwenden lässt. Das ist derzeit wirklich eine offene Frage, aber wir halten Deep Learning für vielversprechend.

Viele Wissenschaftler fürchten ein Szenario, das sich „Technische Singularität“ nennt. Es beschreibt jenen Punkt in der Geschichte, an dem sich Roboter selbst so schnell verbessern, dass sie die Menschheit überholen. Sie glauben nicht daran – was ist Ihr Gegenentwurf?

Goldberg: Ich nenne ihn Multiplizität. Die Singularität schließt Menschen aus und gibt uns das Gefühl, dass wir irgendwann überflüssig sind. Multiplizität heißt, dass wir eine zentrale Rolle spielen und dass wir mit anderen zusammenarbeiten müssen. Zusammen in Teams aus Menschen und Teams aus Robotern. Der Schlüsselaspekt dabei ist Vielfalt, Diversität, der Kern von Multiplizität. Und ich glaube, das ist die Wurzel meiner Skepsis. Wir können diese Diversität in Zukunft zusammenbringen.