Berlin. Zwölf Prozent der Deutschen wurden schon einmal Opfer von Stalking. Eine Gesetzesänderung soll es leichter machen, Täter zu bestrafen.

Nächtliche Anrufe, heimliches Auflauern, drohende Briefe – für Millionen Deutsche war oder ist das Alltag. Juristen sprechen schlicht von „Nachstellung“, der Volksmund von „Stalking“. Rund 20.000 Strafanzeigen gab es laut Polizeistatistik aus dem vergangenen Jahr.

Doch in nur wenigen Fällen wurden Täter rechtlich belangt, denn die Hürden für eine Verurteilung sind bislang sehr hoch. Das soll sich künftig ändern. Am Mittwoch stimmte das Bundeskabinett für eine Gesetzesänderung von Bundesjustizminister Heiko Maas. Der entscheidende Punkt: Nicht erst die Reaktion des Opfers führt zu einer Verurteilung, sondern allein die Taten des Stalkers. Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Was ist Stalking?

Stalking bedeutet im Englischen „anpirschen“ und bezeichnet das unerlaubte Nachstellen eines Menschen. Ein Stalker verfolgt, belästigt oder bedroht sein Opfer, etwa durch Briefe, Anrufe, beharrliches Auflauern oder durch Nachspionieren.

Doch die Grenze zur Straftat ist schwer zu ziehen. „Es kommt immer auf den Kontext an“, sagt Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin der Opferhilfe Weißer Ring. „Nicht jeder, der mehrere Wochen mit einer Trennung vom Partner nicht klarkommt und den Kontakt sucht, ist ein Stalker.“ Ab dem Zeitpunkt, wenn jemand ein ,Nein‘ nicht akzeptiere und Betroffene sich in ihrem eigenen Verhalten einschränken, könne man von Stalking sprechen. „Betroffene leiden unter einem immensen psychischen Druck“, weiß Biwer. Besonders der Verlust der Selbstbestimmung mache den Opfern zu schaffen.

Grundsätzlich wollen Stalker mit ihrem Verhalten eine Reaktion des Opfers provozieren – egal, ob eine positive oder eine negative. „Sie wollen mit ihrem Opfer in einem emotionalen Verhältnis stehen. Und auch eine negative Reaktion stellt ja eine emotionale Bindung dar“, sagt Biwer.

Gesetzlich gilt es bislang als Nachstellung, wenn die Taten des Stalkers die „Lebensgestaltung (des Opfers) schwerwiegend beeinträchtigt“ – etwa, wenn der oder die Betroffene deswegen umziehen oder den Arbeitsplatz wechseln muss. In Deutschland ist Stalking seit 2007 strafbar und kann mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden.

Wer sind die Opfer und Täter?

Stalking rückt meist nur durch prominente Beispiele ins Rampenlicht – Steffi Graf, Madonna, Franka Potente. Doch laut einer Studie des Mannheimer Zen­tralinstituts für seelische Gesundheit werden rund zwölf Prozent der Deutschen einmal in ihrem Leben Opfer von Stalking.

Die Polizeistatistik 2015 hat 19.704 strafrechtliche Fälle erfasst – die Dunkelziffer liegt nach Überzeugung von Beratungsstellen und Verbänden aber weit höher. Bei mehr als einem Drittel der Fälle waren die Tatverdächtigen ehemalige Partner der Opfer. Die Verurteilungsrate liegt laut Experten bei weniger als zehn Prozent.

Dem Weißen Ring zufolge sind rund 80 Prozent der Betroffenen Frauen, 80 Prozent der Täter sind Männer.

Warum ist das derzeitige Gesetz problematisch?

Betroffene und Verbände kritisieren seit Jahren, dass die Strafbarkeit nicht von den Taten des Stalkers oder gar von der Beeinträchtigung des Opfers abhängt, sondern davon, wie das Opfer reagiert – es muss erst dem Druck des Stalkers nachgeben, damit dieser belangt werden kann. „Ich als Opfer muss erhebliche Beeinträchtigungen nachweisen. Also etwa einen Umzug oder einen Wechsel des Arbeitsplatzes“, erklärt Biwer. Erst diese Beeinträchtigung werde bislang juristisch als „schwerwiegend“ anerkannt. „Diese Schwelle der Strafbarkeit wird nur selten überschritten“, erklärt Wolf Ortiz-Müller, Leiter der Beratungsstelle Stop Stalking für Opfer und Täter in Berlin.

Was sieht der neue Entwurf vor?

Der Entwurf sieht vor, dass Nachstellungen nicht länger schwerwiegende Beeinträchtigungen des Lebens verursacht haben müssen. „Stalking soll künftig auch dann strafbar sein, wenn das Opfer dem Druck nicht nachgibt und sein Leben nicht ändert“, wird Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in einer Mitteilung des Ministeriums zitiert. „Nicht die Opfer sollen gezwungen werden, ihr Leben zu ändern, sondern die Stalker.“

Eine weitere Änderung: Bislang werden Verfahren oft eingestellt, Opfer müssen dann selbst als Ankläger vor Gericht, wenn sie die Tat weiter verfolgen wollen. Dabei tragen sie auch das Kostenrisiko. Künftig soll das anders sein. „Die Staatsanwaltschaft muss dann alle diese Verfahren führen und zu einem Ergebnis bringen“, so Maas.

Was halten Opfer, Verbände und Beratungsstellen von dem Entwurf?

Ortiz-Müller von Stop Stalking befürwortet jegliche Gesetzesänderung zugunsten der Betroffenen. Er befürchtet aber, dass die Formulierungen im neuen Entwurf zu vage sind. Ob der neue Entwurf tatsächlich in der Praxis Opfern mehr Schutz bietet, müsse sich also noch zeigen. Seiner Ansicht nach sollten vor allem Beratungseinrichtungen für Opfer und Täter ausgebaut werden. Es müssten Wege geschaffen werden, „wie man frühzeitig nach einer Anzeige die Stalking-Beschuldigten in einen Beratungsprozess einbindet“.

Der Weiße Ring fordert Anspruch auf Entschädigung für Opfer, die unter den psychologischen Folgen von Stalking leiden. Bianca Biwer sieht außerdem noch eine Lücke: „Die ursprüngliche Formulierung ,vergleichbare Angriffe‘ ist gestrichen worden. Damit fällt raus, dass bestraft wird, wer etwa sein Opfer beim Arbeitgeber anschwärzt oder Todesanzeigen mit dem Namen des Opfers aufgibt.“

Wie sollten sich Opfer verhalten?

Am wichtigsten ist es, frühzeitig aktiv zu werden. „Denn das Problem ist oft, dass die Opfer das Nachstellen über sehr lange Zeit hinnehmen“, weiß Bianca Biwer vom Weißen Ring. Sie rät, einmal klar zu formulieren, was man nicht möchte und dann auch wirklich nicht mehr zu reagieren. Denn eine Reaktion provoziert eine erneute Aktion des Täters. Es entsteht eine Eskalationsspirale.

Hilft das nicht, sollten Betroffene ein Protokoll der Belästigungen führen, um nachweisen zu können, wie der Täter agiert. „Das ergibt dann ein Bild. Denn das Gericht muss am Ende die schwierige Entscheidung treffen, ob es sich bei dem Nachstellen um eine Straftat handelt“, sagt Biwer. Sie empfiehlt, wenn möglich auch das Umfeld – Freunde, Familie, Arbeitgeber – zu informieren. „Das nimmt Betroffenen auch den Druck, weil es zum Beispiel eine Erklärung dafür gibt, warum sie nicht so gut arbeiten wie sonst.“

Wer befürchtet Opfer von Stalking zu sein oder zu werden, kann auch eine sogenannte Gefährderansprache durch die Polizei machen lassen. Die Polizei wendet sich an den Stalking-Verdächtigen und macht ihm klar, dass er sich mit seinem Verhalten strafbar macht, wenn er so weitermacht und wie sein Verhalten auf die andere Person wirkt. „Das ist eine relativ erfolgreiche Maßnahme. Nicht selten hört das Nachstellen dann auf“, sagt Biwer.