Berlin. Forschungen zeigen: Das Schmerzempfinden ist auch abhängig vom Geschlecht. Die Medizin akzeptiert das jedoch nach wie vor nur langsam.

Spielt Bruce Willis in einem Actionfilm mit, kann man fast sicher sein, dass er spätestens im zweiten Drittel aus mehreren Schuss- oder Prügelwunden blutet. Dass er die Weltrettung unversehrten Kollegen überlässt, um sich erst einmal verarzten zu lassen – undenkbar. Er verkörpert schließlich das Idealbild des harten Mannes. Und dann heißt es wieder, Männer seien viel wehleidiger. Was stimmt?

In jedem Klischee wohnt ein Fünkchen Wahrheit inne. So weiß die Wissenschaft aus vielen Studien, dass der Durchschnittsmann in Sachen Schmerz tatsächlich mehr aushält als die -frau. Die Ursachen dafür sind vielfältig.

Zunächst einmal: Der scheinbar offensichtlichste Beleg für die These harter Mann, zarte Frau ist wahrscheinlich keiner. Denn dass in epidemiologischen Studien fast immer mehr Frauen mit chronischen Schmerzerkrankungen verzeichnet werden als Männer – etwa im Verhältnis 1,5 zu 1 – muss nicht der Empfindlichkeit der Frauen geschuldet sein. Stattdessen ist anzunehmen, dass Frauen tatsächlich häufiger von derartigen Erkrankungen betroffen sind. Das Ganze ist also etwas komplizierter.

Meist männliche Versuchstiere

Bis in die 90er Jahre waren geschlechtsspezifische Unterschiede beim Schmerzempfinden kaum erforscht. Medikamententests, auch die von Schmerzmitteln, nahm man meist an männlichen Versuchstieren und im späteren Verlauf des Zulassungsverfahrens an Männern vor. Die gewonnenen Daten wurden auf Frauen extrapoliert.

Irgendwann aber ließ sich nicht mehr ignorieren, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Krankheitsbilder und Behandlungsmöglichkeiten hineinspielten.

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Speziell in Bezug auf Schmerz weiß man heute: Bei Frauen ist sowohl die Schmerzschwelle niedriger, also der Zeitpunkt, ab dem sie einen Reiz als schmerzhaft empfinden, als auch die Schmerztoleranz, also die Zeitspanne, über die sie Schmerz aushalten können.

Prof. Esther Pogatzki-Zahn erforscht daher seit Langem, welche Bedeutung Hormone für das Schmerzgeschehen haben. „Misst man die Hormonkonzentrationen in unterschiedlichen Phasen des weiblichen Zyklus, stellt man fest, dass Östrogen und Progesteron, aber vor allem die Konstellation der Hormone starken Einfluss auf die Schmerzempfindlichkeit haben“, sagt die Leiterin der Akutschmerztherapie am Uniklinikum Münster.

Ein Erbe der Evolution ?

Auch bei Untersuchungen im Kernspintomografen zeigt sich: Das weibliche Gehirn reagiert anders auf Schmerz als das männliche. Daraus lassen sich Rückschlüsse über einen speziellen Mechanismus des menschlichen Körpers ziehen: Dieser nämlich verfügt über sogenannte auf- und absteigende Schmerzbahnen. Vereinfacht dargestellt, senden die aufsteigenden Bahnen den Schmerzreiz über das Rückenmark ans Gehirn, während die absteigenden Signale zur Schmerzhemmung zurücksenden. Nun werden bei Frauen die Areale im Gehirn, die für die Hemmung zuständig sind, weniger aktiv als bei Männern. „Wir erforschen, ob diese Unterschiede ebenfalls hormonell bedingt sein könnten“, so Pogatzki-Zahn.

Ihre Hypothese lautet: Die geschlechtsspezifische Hirnreaktion könnte ein evolutionäres Erbe sein. Es hat die Männer, deren Vorfahren Jäger waren, robuster werden lassen, weil im Falle einer Verletzung bei der Jagd derjenige im Vorteil war, der noch fliehen konnte. Frauen hingegen benötigten diesen Mechanismus nur in einer Situation: wenn sie Kinder zur Welt brachten. „In der Schwangerschaft verändert sich das hormonelle System und die Schmerzhemmung wird besser“, so Pogatzki-Zahn. Diese Theorie würde erklären, warum Frauen den Geburtsschmerz trotz ihrer vergleichsweise niedrigen Schmerzschwelle und schwachen Schmerztoleranz verkraften können.

Neben hormonellen Einflüssen spielen auch psychosoziale Faktoren eine Rolle – allerdings gibt es für diesen Bereich „noch erschreckend wenige Studien“, sagt Prof. Sven Benson vom Institut für medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie am Uniklinikum Essen.

Lernen von den Eltern

Fest steht: Die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Schmerzempfinden stellen sich erst mit der Pubertät ein. Grundsätzlich aber lernen schon kleine Kinder von den Eltern, wie man mit Schmerzen umgeht – ob man sie „katastrophisiert“, wie Experten sagen, oder als etwas betrachtet, das vorkommen kann.

Wie stark sich etwa soziale Erwartungen auswirken können, zeigt ein Experiment, in dem Probanden ihre Hand in ein Gefäß mit Eiswasser halten und sie herausnehmen sollen, sobald sie den Kältereiz nicht mehr ertragen können. Teilt man Frauen vor dem Test mit, der Durchschnittswert für weibliche Probanden liege etwa bei 120 Sekunden, obwohl das der Wert der Männer ist, verschwinden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, und Frauen erreichen plötzlich das Level der Männer.

Auch die individuellen Erwartungshaltungen und Bewältigungsstrategien spielen eine wichtige Rolle: „Wenn man sich auf einen Schmerz konzentriert, wird er stärker“, so Benson. Frauen neigten eher dazu, sich Schmerzen bewusst zu machen und ihnen mit Ängsten zu begegnen. Dennoch würde Benson auch von der männlichen Nichtbeachtungsstrategie abraten: „Akuter Schmerz ist ein Warnsignal des Körpers. Dieses sollte nicht dauerhaft ignoriert werden.“ Chronische Schmerzen jedoch könnten sich durch eine intensive Beschäftigung verschlimmern – was nicht bedeuten soll, dass ein derartiges Leiden „hausgemacht“ ist. Viele Faktoren greifen bei einer solchen Erkrankung ineinander, die persönliche Bewältigungsstrategie ist nur einer davon.

Bei ihren Studien zum Schmerzempfinden haben die Forscher übrigens noch eine Erkenntnis gewonnen. Wie gut wir Schmerz aushalten können, hat durchaus damit zu tun, wer uns danach fragt. So zeigten Männer eine höhere Schmerztoleranz, wenn eine Frau den Versuch leitete. Frauen hingegen litten etwas mehr, wenn der Versuchsleiter ein Mann war. Was amüsant klingt, enthält nach Meinung der Forscher eine wichtige Handlungsanweisung für medizinisches Personal: noch genauer hinzuschauen, ob jemand wirklich keine Schmerzen hat oder ob er sie gerade nur in Superhelden-Manier besonders gut aushalten kann.