Der Druck auf Menschen in leitender Funktion nimmt zu, viele sind am Rande der Erschöpfung. Ein neues Konzept soll Entlastung bieten.

Sie sollen stets frische Ideen und gute Ergebnisse liefern, Strategien ent­wickeln und umsetzen, jeden ihrer Mitarbeiter nach dessen Fähigkeiten einsetzen, eine heterogene Truppe zu einem Team zusammenschweißen, es trotz hoher Arbeitsbelastung motivieren und darauf achten, dass kein Mitarbeiter emotional und körperlich erschöpft ist.

Die Ansprüche an Führungskräfte haben es in sich – und da vergisst so mancher, auch auf sich selbst zu achten. „Studien zeigen, wie viele Führungskräfte sich permanent auf dem schmalen Grat zwischen Hochleistung und Erschöpfung befinden“, sagt Felicitas Saurenbach, Unternehmensberaterin und systemische Führungskräfteentwicklerin.

Prüfen der eigenen Bedürfnisse statt nur Yoga

Kein Wunder, dass Yoga, Achtsamkeitstrainings und Aufenthalte im Schweigekloster gefragt sind. Und doch bringt all das oft nicht das, was sich viele Menschen wünschen: Ruhe, Auftanken, Ausgeglichenheit, Klarheit und weniger „sich getrieben fühlen“.

Das Gefühl, unzufrieden zu sein und im Hamsterrad zu rennen, bleibt. Saurenbach: „Führung beginnt bei sich selbst und ist Haltung und Entscheidung zugleich, wie ich mich selbst und andere führen möchte.“ Sie begleitet Führungskräfte, die Entlastung suchen.

Gesunde Führung, so ergab eine Studie des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen, bedeutet, dass Menschen in leitender Funktion auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter Acht geben, aber auch ihre eigene Stabilität im Blick haben.

Das ist vor allem wichtig, da Vorgesetzte schlechterdings kaum ihre Mitarbeiter ansprechen können, wenn sie merken, dass diese müde sind oder sich zu wenig Ausgleich zum Jobstress gönnen – sie selbst aber schuften fast bis zum Umfallen.

Mitarbeiter erleben ihre Vorgesetzten und deren Sorge nur als glaubwürdig, wenn diese auch auf sich und ihre Bedürfnisse achten. Umso mehr werden Führungskräfte zum Vorbild und prägen so die Führungskultur im Unternehmen. Für Unternehmen ein wichtiges Thema, wollen sie doch im Wettbewerb bestehen und als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden.

Arbeitsbelastung allein ist nicht Grund für Erschöpfung

Dafür brauchen sie eine inspirierte, gesunde und leistungsfähige Belegschaft. Und das führt letztlich auch zu Ergebnissen in klingender Münze: Führt ein Topmanagement sich und seine direkten Mitarbeiter in einer gesunden Weise, reduziert dies die emotionale Erschöpfung im gesamten Unternehmen laut der Studie um 50 Prozent. Die Unternehmensleistung verbessert sich um 20 Prozent.

Die hohe Arbeitsbelastung allein ist nicht der Grund, warum man sich emotional erschöpft fühlt und sich fragt, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Entscheidend ist es, sich selbst zu sehen, eigene Bedürfnisse zu erkennen. Es geht darum, für sich selbst herauszufinden, welche Ziele und Schwerpunkte man im Leben setzen möchte, aber auch mit welchen Eigenarten man sich selbst im Weg steht, sagt Saurenbach.

Damit meint sie zum Beispiel, dass viele Menschen in der digitalen Welt dauerhaft erreichbar sind – nicht unbedingt, weil sie es sein müssen, sondern weil sie auch von sich aus viel in sozialen Netzwerken surfen oder „nochmal eben kurz“ ihre E-Mails checken.

Auch fehlt oft ein gesunder Rhythmus, bei dem sich Anspannung und Entspannung abwechseln – so arbeiten viele Menschen durch oder essen rasch am Schreibtisch, statt Pausen zu machen. „Wir leben in einer Welt, in der Lebens- und Arbeitszeiten immer stärker zusammenwachsen. Dies alles erfordert vermehrt Selbstführungskompetenzen bei Führungskräften und Mitarbeitern“, sagt Saurenbach.

Blick auf das eigene Leben

Mit Yoga und Ratgeberliteratur allein ist dem nicht beizukommen. Saurenbach hat ein Konzept zur Selbstführung in Anlehnung an ein Modell der Psychologen Hilarion Gottfried Petzold und Verena Kast entwickelt, das verschiedene Bereiche des Lebens miteinander in Verbindung bringt. Dazu gehören zum Beispiel Arbeit und Leistung, soziale Beziehungen, Werte und Sinnstiftendes, aber auch materielle Sicherheit, Zugehörigkeitsgefühl sowie Gesundheit und damit all das, was Körper, Seele und Geist guttut. Das Konzept soll langfristig wirken und ist mit mehreren Modulen auf ein Jahr angelegt.

Los geht es mit einer persönlichen „Standortbestimmung“, die zwei Tage dauert und bei der jeder Teilnehmer die Skizze eines leeren Hauses erhält. Saurenbach nennt es das Lebenshaus, in das jeder seine individuellen Räume einzeichnet, je nachdem, wie groß sie in seinem Leben sind – sie entsprechen den genannten Bereichen.

Saurenbach empfiehlt Führungskräften, von Zeit zu Zeit diese Statik ihres Lebenshauses zu reflektieren. Es geht nämlich darum, sich bewusst zu machen, was einem wichtig ist und ob das Leben so aussieht, wie man es sich wünscht.

Sehen, was einen stützt, um mit Druck umzugehen

Sollte das nicht der Fall sein, ist es Zeit zu überlegen, wie das Lebenshaus eingerichtet sein soll, was weniger, was mehr werden soll, was Energie gibt, was Kraft raubt – und zu sehen, was einen stützt und trägt, um sich wohl und ausgeglichen zu fühlen, um als Führungskraft besser mit Druck umgehen und Leistung bringen zu können.

Auf diese Erkenntnis folgt die Überlegung, wie man dies erreichen kann – und die Entscheidung für die Veränderung. Saurenbach und ein weiterer systemischer Coach begleiten dabei.

Saurenbach bietet innerhalb des Konzeptes ihrer Führungswerkstatt sechs Module an, die den erwähnten Bereichen wie Arbeit bis hin zu Werte und soziale Beziehungen entsprechen und diese Themen vertiefen.

Diese Module muss man nicht machen, aber man kann sie buchen, wenn man merkt, dass man bei einem Bereich Fragen hat, nicht vorankommt und man sich mit anderen Führungskräften dazu vernetzen und austauschen möchte. Mit dem, was einen als Führungskraft beschäftigt, ist man nämlich nicht allein, weder in der Selbst- noch in der Mitarbeiterführung.

Die Auseinandersetzung mit dem Lebenshaus kann mühsam sein. Man fühlt sich unsicher, hinterfragt, verfällt in alte Verhaltensmuster. Auch andere Menschen wundern sich möglicherweise darüber, dass man sich und sein Leben überdenkt, sich verändert, andere Schwerpunkte setzt. Diese Phase der Unsicherheit ist normal, beruhigt Saurenbach.

Der Weg mit Unsicherheit und Hinterfragen lohnt sich

Sie ist nicht immer ganz leicht auszuhalten, will man sich doch sicher fühlen. „Sein Lebenshaus zu entrümpeln, Bereiche zu reduzieren, Dinge rauszuwerfen oder aber mehr Raum zu schenken, das ist harte Arbeit, wie bei einem Umzug.“ Ab und zu Schweigekloster klingt da erst einmal einfacher.

Es brauche ein wenig Geduld und Mut, so die Expertin, diesen Weg im eigenen Tempo zu gehen. Doch dieser Weg tut einem selbst und den Mitarbeitern gut. Es ist eine Entscheidung für sich selbst und für das, was einen stärkt. Damit übernimmt man Verantwortung für sich. In einem Wort: „Selbstführung“.

Die persönliche Standortbestimmung von Felicitas Saurenbach findet am 27. und 28. Juni in Hamburg statt. Informationen zu den einzelnen Modulen und Anmeldungen unter www.fuehrungswerk.de