Berlin. 10.000 Menschen warten in Deutschland auf ein Organ. Viele von ihnen vergeblich. Wir zeigen, was man zum Thema Organspende wissen muss.

In Deutschland warten derzeit mehr als 10.000 Menschen auf ein neues Organ. Sie alle sind von der Spendenbereitschaft anderer abhängig. Doch obwohl die überwiegende Mehrheit der Deutschen dem Thema positiv gegenübersteht, haben nur 32 Prozent einen Organspendeausweis, wie eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung ergab. Die Deutsche Herzstiftung berichtet, 2015 sei das Jahr mit der niedrigsten Transplantationsrate von Herzen seit 22 Jahren gewesen. „Den Menschen auf der Warteliste läuft die Zeit davon“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, zum Tag der Organspende am Samstag. Sie seien darauf angewiesen, dass sich jeder einzelne ernsthaft mit dem Thema Organspende auseinandersetze.

Ob jemand als Organspender geeignet ist, beurteilen Fachleute wie Stefan Becker, Oberarzt an der Klinik für Nephrologie (Nierenheilkunde) der Uniklinik Essen. Er ist Transplantationsbeauftragter des Klinikums. Ein Überblick über häufige Fragen:

Wie wird das Vertrauen potenzieller Organspender gestärkt?

Berichte darüber, dass bestimmte Patienten bevorzugt behandelt würden, haben in der Vergangenheit das Vertrauen erschüttert, dass bei Organspenden und Transplantationen alles mit rechten Dingen zugeht. Seither wurde das Transplantationsgesetz in den letzten Jahren mehrfach überarbeitet, die Kontrollinstrumentarien wurden gestärkt: „In allen Transplantationszentren entscheidet eine interdisziplinäre Konferenz darüber, ob Patienten auf die Warteliste für eine Organtransplantation kommen“, erklärt Becker. „Hier sind mindestens drei Personen beteiligt. Eine von ihnen muss aus einem medizinischen Fach kommen, das keine Verbindung zur Transplantationsmedizin hat. Damit ist meiner Meinung nach weitestgehend sichergestellt, dass Einzelne die Vergabe von Organen nicht beeinflussen können.“ Ferner werde durch eine Prüfkommission der Bundesärztekammer die Dokumentation der Transplantationszentren intensiv kontrolliert.

Warum ist ein Spendenausweis so wichtig?

10.238 Menschen auf der Warteliste für ein Organ (Anfang 2016) steht eine Zahl von 3366 Transplantationen von Organen verstorbener Spender in Deutschland im Jahr 2015 gegenüber. Diese Zahlen von Eurotransplant im holländischen Leiden, verantwortlich für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern, zeigt den Bedarf. „Keiner rechnet damit, selbst betroffen zu sein – dementsprechend möchte sich niemand gern mit dem Thema befassen, denn letztlich setzt man sich mit seinem Tod auseinander“, sagt Judith Neumann. Die Frau aus Essen ist selbigem nur knapp entronnen, weil sie vor 15 Jahren fast in letzter Minute eine Leber erhielt. Seitdem spricht sie mit Menschen darüber, wie schnell sie selbst in eine solche Situation kommen können. Und bittet sie darum, sich zu entscheiden: „Wollt ihr im Todesfall spenden oder nicht? Man kann es auch ausschließen oder festlegen, dass nur bestimmte Organe übertragen werden dürfen. Und erleichtert damit im Zweifelsfall auch Angehörigen die Entscheidung.“

Was sind die Voraussetzungen im Fall der Fälle?

Der Transplantationsbeauftragte Stefan Becker bekräftigt: „Ziel aller medizinischen Maßnahmen im Falle eines Unfalls oder einer schweren Erkrankung ist es, das Leben des Patienten zu retten.“ Becker: „Manchmal kommt die ärztliche Hilfe zu spät, Krankheit oder Unfallfolgen sind zu weit fortgeschritten, der Patient kann nicht mehr gerettet werden.“ Bei einer kleinen Gruppe von Patienten stellt sich dann die Frage einer Organspende. Häufig seien dies Patienten mit Gehirnblutungen, die allerdings in weniger als 20 Prozent der Fälle durch einen Unfall auftreten.

Die medizinischen Voraussetzungen laut Experten: Die Durchblutung und die Funktionen des Gehirns sind vollständig ausgefallen; Kreislauf und Atmung werden künstlich durch Beatmung und Medikamente aufrechterhalten. Stefan Becker: „Erst wenn der Tod durch vollständiges irreversibles Hirnversagen (Hirntod) festgestellt worden ist, wird die Frage der Organspende erörtert.“ Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, muss eine Einwilligung vorliegen – schriftlich, etwa in Form eines Organspendeausweises des Verstorbenen, oder indem bestimmte Personen wie Angehörige über eine Entnahme im Sinne des Verstorbenen entscheiden. „Dabei ist wichtig, dass wir nicht zu der einen oder anderen Entscheidung drängen“, sagt Becker. Die anschließende Vorbereitung zur Organentnahme dauert in der Regel zwischen zwölf und 18 Stunden. Die Organe werden gekühlt schnellstmöglich zu den Zentren gebracht, in denen sie transplantiert werden.

Unter welchen Umständen ist eine Lebendspende möglich?

Manche Organe, zum Beispiel eine Niere oder ein Teil der Leber, können auch von Verwandten ersten oder zweiten Grades gespendet werden, die einen guten Gesundheitszustand haben. Das trifft auf Eltern und Geschwister, Ehepartner, Verlobte oder auf Menschen zu, die sich persönlich sehr nahestehen. Stefan Becker: „Eine Lebendspende ist nur dann zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Transplantation kein anderes Spenderorgan zur Verfügung steht.“ Eine Gutachterkommission prüft im Vorfeld, ob die Spende freiwillig erfolgt und keine finanziellen Interessen bestehen.