Berlin. Parkinson ist nicht heilbar und stellt Forscher immer noch vor Rätsel. Ein gutes Leben mit der Krankheit ist dennoch möglich.

In den Tagen, nachdem der Arzt Liane Mittag eröffnet hatte, man habe bei ihr Parkinson diagnostiziert, saß sie da und nickte einfach nur. Die Experten sprachen, sie sagte „Ja“ – verstehen wollte sie es nicht. Das war im Februar 2011. Dann beschloss Liane Mittag, zu akzeptieren, was nicht zu leugnen war und auch nicht mehr aus ihrem Leben verschwinden würde. „Du darfst bei mir einziehen, aber du musst dich benehmen“ – mit diesen Worten ließ die heute 61-Jährige Parkinson zu einem Teil ihres Lebens werden. Dagegen ankämpfen, das hatte sie schnell begriffen, würde nichts bringen.

Parkinson ist eine unheilbare neurodegenerative Krankheit, nach Alzheimer die zweithäufigste in Deutschland. 250.000 bis 300.000 Deutsche sind erkrankt, 15.000 werden jährlich neu diagnostiziert. Die Symptome sind vielfältig. Sie reichen vom Zittern (Tremor) bis hin zu verlangsamten Bewegungen (Akinese), Steifheit und Gangstörungen. Im Verlauf kann es dann zu neuropsychiatrischen Störungen wie Gedächtnisstörungen und psychotischen Veränderungen mit optischen Halluzinationen kommen, zum Teil ausgelöst durch die Medikamente. „Aber es ist wichtig zu wissen: Es gibt nicht den einen Parkinson“, sagt Carsten Buhmann, Leiter des Neurologischen Ambulanzzentrums und der Parkinson-Tagesklinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE): „Wer die Diagnose erhält, hat immer Menschen vor Augen, die sichtbar erkrankt sind, und denkt, dies werde bei ihm auch so sein. Das macht Angst, ist aber sehr oft falsch.“

Krankheit beginnt viele Jahre vor der Diagnose

Ausgelöst werden die Parkinson-Symptome durch ein Absterben der Zellen in der sogenannten Substantia nigra, der schwarzen Substanz. Sie liegt im Mittelhirn und produziert den Neurotransmitter Dopamin, der für die Übertragung von Informationen von einem Neuron auf das andere zuständig ist. Im Verlauf der Krankheit bricht die Kommunikation zwischen Gehirn und Bewegungsapparat zusammen. Der Körper tut nicht, was der Kopf möchte. Buhmann erzählt, die Patienten fühlten sich, als hielte sie jemand fest oder schnüre sie ein, sie seien eingesperrt im eigenen Körper. „Sie möchten aufstehen, etwas greifen oder sich im Bett umdrehen, und es geht einfach nicht“, beschreibt der Neurologe.

Welche Hirnfunktionsstörung diese Symptome auslöst, weiß die Wissenschaft seit Langem. Die Ursache der Krankheit stellt sie jedoch vor Rätsel. Zwar gibt es Hinweise, dass sie im Riechnerv oder im Darm beginnt, doch beweisen lässt sich das bisher nicht. Sicher ist nur: Parkinson kommt schleichend, schon Jahre vor der Diagnose. Denn erst bei einem massiven Zellverlust von 60 bis 70 Prozent ist die Bewegung sichtbar gestört. Auch in das Leben von Liane Mittag stahl sich die Krankheit sehr leise hinein. „Zuerst konnte ich nicht mehr richtig riechen und schmecken“, erinnert sie sich. Irgendwann schwang der rechte Arm beim Gehen nicht mehr mit. Sie ging von Arzt zu Arzt, doch erst nach 15 Jahren erhielt der Grund für die Beschwerden einen Namen. Carsten Buhmann bestätigt diese Erfahrung: „Wir wissen aus Untersuchungen, dass Patienten durchaus zehn bis fünfzehn Jahre vor der Diagnose erkranken.“ Neben dem verminderten Geruchsempfinden seien auch unklare Depressionen und REM-Schlafstörungen Hinweise auf eine mögliche spätere Parkinson-Erkrankung. Die Menschen schlagen und treten im Schlaf um sich. „Das heißt aber nicht, dass jeder Parkinson entwickelt, der unter diesem ‚Gewaltschlaf‘ leidet“, betont Buhmann.

Im Schnitt sind Betroffene Ende 60

Parkinson ist eine Krankheit des Alters. Im Schnitt sind die Betroffenen Ende 60, Anfang 70. Doch es trifft auch jüngere Menschen, Carsten Buhmann betreut in der Ambulanz am UKE Patienten in den 20ern und 30ern. „Das sind häufig Patienten, die eine genetische Disposition haben“, erklärt er. Immerhin diesen Hinweis gibt es: Manchmal sind die Gene für die Erkrankung verantwortlich. In diesen Fällen können Ärzte den Verlauf der Erkrankung relativ gut voraussagen. Das ist sonst kaum möglich. Manche Erkrankte leben bis zu 20 Jahre ohne ausgeprägte Probleme und brauchen kaum Medikamente. Andere werden sehr früh steif, zittern, verlieren an Gedächtnisleistung.

Doch eines gilt für alle Betroffenen: An Parkinson stirbt man nicht. Es sind die Komplikationen, die die Krankheit mit sich bringt und gerade älteren Patienten zu schaffen machen. „Die Überlebenszeit der Parkinson-Patienten ist, wenn überhaupt, leichtgradig verkürzt gegenüber der Normalbevölkerung“, erklärt Buhmann. Einige Wissenschaftler sprechen von einer Verkürzung von drei bis fünf Jahren, andere sehen überhaupt keine kürzere Lebenserwartung.

Dopamin wird mit Medikamenten ersetzt

Behandelt wird Parkinson seit den 60er-Jahren mit Medikamenten, die das fehlende Dopamin ersetzen. Entweder mit einer Vorstufe des Botenstoffs, dem L-Dopa, oder mit einem Dopamin-Ersatzstoff. „Zusätzlich erhalten die Patienten noch andere Substanzgruppen, denn das Gehirn funktioniert wie eine Waage: Fehlt ein Botenstoff, sind andere im Übergewicht“, erklärt Carsten Buhmann. Außerdem werden die durch Parkinson verursachten Leiden wie Depressionen, Psychosen, Schlaf- und Kreislaufstörungen behandelt. Bei manchen Patienten bietet sich auch die Implantation eines Hirnschrittmachers an, der das Zittern und die Bewegungsstörungen verbessern kann.

Das Wichtigste, da sind sich Neurologe Buhmann und Liane Mittag einig, ist die Akzeptanz der Krankheit. Sie anzunehmen, ohne zu vergleichen, was früher doch so viel besser ging. „Du musst dir Hilfe holen, alleine bewältigt man das Leben mit Parkinson nicht“, sagt Liane Mittag, die heute stellvertretende Landesbeauftragte Brandenburg bei der Deutschen Parkinson Vereinigung ist. Auch sie hat Tage, an denen sie wütend wird, wenn die steifen Finger den Knopf ihrer Bluse nicht schließen können oder das Abzählen des Kleingeldes an der Kasse die umstehenden Kunden seufzen lässt. An anderen Tagen denkt sie nicht einmal an die Krankheit. „Man muss sehr viel für sich selbst tun“, rät sie Betroffenen.

Tanzen hat positiven Effekt

Zum Beispiel: tanzen. Diese Form der Bewegung hat einen wissenschaftlich erwiesenen positiven Effekt. Die Musik ist der externe Trigger, der eine Bewegung initiiert. „Es gibt Patienten, die können keinen Schritt vorwärts machen. Setzen sie sich aber einen Kopfhörer mit rhythmischer Musik auf, laufen sie fast wie ein Gesunder“, erzählt Buhmann. Vor einigen Jahren untersuchten Forscher die Wirkung von Tai-Chi und schafften es mit ihrer Studie ins renommierte „New England Journal of Medicine“, so deutlich waren die Effekte. „Jede Bewegung ist besser als keine“, rät Buhmann und empfiehlt mindestens dreimal die Woche Sport. Auch Liane Mittag beginnt den Tag mit Bewegung, 15 Minuten zu Musik. Sie macht Wasser- und Krankengymnastik und geht zur Ergotherapie. Eine hohe Lebensqualität, sagt die 61-Jährige, könne man sich trotz der Krankheit erarbeiten.