Berlin. Viele kennen das Gefühl, dass sich die Welt um sie dreht, schwankt oder kippt. Schwindel kann viele unterschiedliche Ursachen haben.

Schwindelig fühlt sich nicht nur derjenige, der von großer Höhe herabblickt: „Das Gefühl, dass sich die Welt um sie dreht, schwankt oder kippt, gehört zu den häufigsten Klagen von Patienten“, sagt der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Rainer Frerich. Das Gleichgewichtsorgan sitzt zwar im Ohr, dennoch sind Frerich und seine Kollegen nicht immer die richtigen Ansprechpartner. Auch Nerven- und Herzspezialisten helfen bei der Suche nach den Hintergründen, die vielfältig sein können. Für diese Detektivarbeit wurden inzwischen sogar spezielle Schwindelambulanzen gegründet.

Was ist Schwindel?

Diese Frage wird von Patienten unterschiedlich beantwortet – sie empfinden, dass die Welt sich dreht oder schwankt. Sie stehen oder gehen unsicher, fühlen sich kraftlos oder sehen verschwommen. „So unterschiedlich wie die Empfindungen können auch die Ursachen dieses Symptoms sein“, erklärt HNO-Arzt Dr. Rainer Frerich.

Generell sprechen Experten von einer Störung des Gleichgewichtssinns, die dazu führt, dass man sich nicht sicher auf den Beinen fühlt und die Orientierung im Raum verloren geht. Das kann so weit gehen, dass man zu fallen meint, Übelkeit in sich aufsteigen fühlt und erbrechen muss. „Das Gehirn kann Informationen der Sinnesorgane nicht miteinander in Einklang bringen“, bringt es Rainer Frerich auf den Punkt. Das kann kurzfristig der Fall sein, aber auch chronisch werden.

Wie kommt es dazu?

Eine ganze Bandbreite von Gründen kann hinter Schwindelgefühlen stecken – daher arbeiten inzwischen Ärzte verschiedener Fachrichtungen Hand in Hand, um Auslöser herauszufinden.

Einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen beispielsweise spezielle Schwindelambulanzen. Neben dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt können auch der Neurologe und Kardiologe (Nervenarzt und Herzspezialist) zurate gezogen werden. Mithilfe gezielter Fragen finden sie heraus, unter welcher Form von Schwindel der Patient leidet. „Dabei analysieren wir mit dem Patienten, wie häufig dieses Gefühl auftaucht, wie es sich äußert und wie lange es andauert“, sagt Professor Wolfgang Steinke, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Marien Hospital Düsseldorf.

Bei einer klinischen Untersuchung wird zusätzlich überprüft, wie jemand geht und ob er dazu neigt, zu fallen. Weitere Untersuchungen können folgen – etwa ein EKG (Elektrokardiografie), um möglichen Herzproblemen auf die Spur zu kommen, oder Gleichgewichtsprüfungen etwa durch Gehörgangspülungen beim HNO-Arzt.

Wo finden sich die Ursachen?

Oft ist das Innenohr erkrankt, in dem das Gleichgewichtsorgan sitzt. „Deshalb ist der HNO-Arzt meist die erste Anlaufadresse“, weiß Frerich. Aber es gibt noch eine Reihe anderer schwindelerregender Erkrankungen, die das Kleinhirn, die Augen oder das Kreislaufsystem betreffen können. Dazu gehören etwa Herzrhythmusstörungen. Auch Krankheiten des Muskelapparates und des Nervensystems, etwa eine Polyneuropathie, können Schwindel verursachen – ebenso wie psychische Probleme. Professor Steinke: „Nicht selten empfinden ältere Menschen mit einer Parkinson- oder Demenzerkrankung die Tatsache, dass sie nicht sicher auf den Beinen stehen, als Schwindel.“ Er weiß: Auch Medikamente wie Blutdrucksenker oder Antidepressiva können solche Gefühle auslösen.

Was sind häufige Gründe?

Oft tritt sekundenlang der sogenannte Lagerungsschwindel auf. Die Spezialambulanz der Neurologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität stellte ihn bei etwa 17 Prozent von rund 18.000 untersuchten Patienten fest. „Die Menschen merken ihn, wenn sie den Kopf bewegen. Also wenn sie sich beispielsweise im Bett herumdrehen“, erklärt HNO-Experte Frerich. Sekundenlang dreht sich die Welt, man fängt an zu schwitzen und bekommt Angst. „Die Ursache sind Kalzitsteinchen (Otolithen), die sich im Ohr gelöst haben und in der Lymphe der Bogengänge umherschwimmen“, sagt Frerich und führt als Vergleich eine Schneekugel an, die geschüttelt wird. Der Reiz, der dabei ausgelöst wird, führt dazu, dass das Gehirn eine falsche Information bekommt.

Neurologe Wolfgang Steinke bekommt es hingegen häufig mit Schwindelvarianten zu tun, die durch Angststörungen ausgelöst werden (Phobischer Schwankschwindel) oder mit Kopfschmerzen und Migräne einhergehen. „Sie können Minuten, aber auch Stunden andauern“, sagt der Experte. Zu den kardiologischen Ursachen zählt Herzspezialist Professor Rolf Michael Klein, Chefarzt am Augusta-Krankenhaus Düsseldorf, neben Rhythmusstörungen auch ein Auf und Ab beim Blutdruck oder einen Herzinfarkt.

Wie können Therapien aussehen?

Die Behandlung richtet sich nach der Schwindelursache – zuweilen kann ein Wechsel des Antidepressivums das Problem beseitigen. Gegen den Lagerungsschwindel helfen laut Rainer Frerich nur krankengymnastische Übungen – etwa solche, bei denen man sich seitlich auf eine weiche Unterlage fallen lässt. Neurologe Steinke verordnet bei einem Schwindel, verursacht durch Angststörungen, nicht nur Medikamente, sondern oft auch eine Verhaltenstherapie. Empfindet ein Migränepatient, dass sich die Welt um ihn dreht, kann er die Symptome unter anderem mit Schmerzmitteln wie Paracetamol behandeln und vorbeugend Betablocker nehmen. Herzprobleme bedürfen einer individuellen Therapie, die man mit seinem Kardiologen abstimmen sollte – hilfreich kann etwa eine gute Blutdruckeinstellung sein.

Wann wird Schwindel gefährlich?

„Wenn er akut kommt, begleitet von Kopfschmerzen, und der Patient Lähmungserscheinungen hat, Arme oder Beine nicht mehr koordiniert bewegen kann oder Doppelbilder vor Augen sieht – dann sollte man sofort den Notruf 112 wählen“, empfiehlt der Nervenspezialist Professor Steinke. Denn das können Anzeichen eines zentral-vestibulären Schwindels sein, der nicht nur durch Multiple Sklerose, eine chronische Entzündung des Nervensystems, sondern auch durch einen Schlaganfall versucht werden kann.