Berlin. Aal oder Makrele dürften laut Greenpeace nicht mehr auf den Tisch. Fischwirtschaft und die Umweltorganisation WWF sind anderer Meinung.

Alaska-Seelachs ist der beliebteste Fisch der Deutschen, rund 252.000 Tonnen vertilgen sie pro Jahr. Dabei sollten sie ihn eigentlich gar nicht essen. Zumindest, wenn es nach dem neuen Fischratgeber von Greenpeace geht. Alaska-Seelachs ist eine von 18 Fischarten, bei denen die Umweltschützer ohne Ausnahme raten: „Finger weg, nicht nachhaltig.“ Die Einschätzungen der Konkurrenz-Organisation WWF sowie der Deutschen Fischwirtschaft weichen teils deutlich von dem Ratgeber ab. Auch andere Verbraucherschützer sehen einige Empfehlungen kritisch.

Unter den Top 20 der hierzulande meistverzehrten See- und Süßwasserfische sind noch einige andere Kandidaten, die nach Einschätzung von Greenpeace auf keinen Fall im Einkaufswagen landen sollten. Dazu zählen etwa Rotbarsch, Makrele, Seeteufel und schwarzer Seehecht. Nur einen einzigen Fisch könnten die Deutschen ohne schlechtes Gewissen verzehren: den Karpfen. „Auch Hering und Afrikanischer Wels sind vertretbar, wenn man die im Ratgeber aufgeführten Ausnahmen beachtet“, sagt Meeres-Expertin Sandra Schöttner von Greenpeace. So dürfe Hering etwa nicht aus dem Nordostatlantik oder dem Nordwestatlantik stammen. Sämtliche anderen Fische seien nach Ansicht der Umweltschützer gar nicht oder nur sehr eingeschränkt zu empfehlen.

Schwer zu befolgende Ratschläge

Zur Orientierung geben die Umweltschützer für jeden nicht empfehlenswerten Fisch eine Nummer an. Diese bezeichnet jeweils einen bestimmten Abschnitt der Weltmeere, in dem die Befischung der jeweiligen Art nachhaltig betrieben wird. Auf der Verpackung von frischem und Tiefkühl-Fisch darf aber nach EU-Recht beispielsweise auch schlicht „Nordostatlantik“ stehen. Macht ein Anbieter nicht freiwillig genauere Angaben, wird es für Verbraucher schwer, die Greenpeace-Ratschläge zu befolgen.

Auch in puncto Fangmethoden sind die Greenpeace-Empfehlungen nicht leicht umzusetzen. So halten die Umweltschützer den Verzehr der heimischen Nordsee-Scholle für bedenklich. „Sie wird mit Grundschleppnetzen gefangen, die den Meeresgrund umpflügen“, sagt Schöttner. „Im Pazifik werden derzeit alternative Fangnetze für den Schollenfang getestet. Deshalb empfehlen wir Pazifische Schollen, die mit den sogenannten Ring- oder Snurrewaden gefangen wurden.“ Umweltbewusste Verbraucher können damit wenig anfangen, weil Schollen aus dem Pazifik in Deutschland kaum angeboten werden. Greenpeace setzt darauf, dass Kunden danach fragen und damit das Angebot und den hiesigen Schollenfang beeinflussen.

Zertifizierter Fisch als Alternative?

So viel Detailwissen möchte die deutsche Fischwirtschaft ihrer Kundschaft nicht abverlangen. Sie gibt als Orientierungspunkt nur den Zustand der unterschiedlichen Fischbestände an – und kommt folgerichtig zu anderen Ergebnissen. „Der Rat, europäische Scholle nicht mehr zu kaufen, ist ein Schlag ins Gesicht der Fischer, die nachhaltig fischen“, kritisiert Matthias Keller, Geschäftsführer vom Fisch-Informationszentrum.

Greenpeace prangere etwa an, dass 61,3 Prozent der weltweiten Fischbestände bis an die Grenze befischt seien. Doch das sei kein negativer Aspekt, sondern zeige, dass eine optimale Nutzung vorliege. „Einen Fisch nicht mehr zu kaufen, ist nicht der richtige Weg, um Nachhaltigkeit zu fördern“, erklärt Keller, „Verbraucher müssen ihren Einfluss geltend machen und nachhaltige Fischerei fördern.“ Etwa mit dem Kauf von Fischen, die das Nachhaltigkeits-Siegel für Fischereien des Marine Stewardship Council (MSC) tragen.

Die Organisation vermeldete in dieser Woche: „Bei ihrem beliebtesten Speisefisch, dem Alaska-Seelachs, können Verbraucher weiterhin guten Gewissens zugreifen – vorausgesetzt er ist mit dem MSC-Siegel gekennzeichnet.“ Im Fischratgeber der Umweltstiftung WWF ist zu lesen, dass Alaska-Seelachs in fünf von sechs Fangregionen nachhaltig befischt werde. Aber es gebe eine Region (westlicher Teil der westlichen Beringsee), die überfischt sei. Zudem schränkt der WWF ein: „Durch Umweltveränderungen variieren die Bestandsgrößen von Jahr zu Jahr.“ Die Alaska-Seelachs-Fischerei sei „ein Pionier in Sachen Nachhaltigkeit“, betont der MSC. Greenpeace sieht das ganz anders.

Verschiedene Bewertungskriterien

„Alaska-Seelachs schmeckt den Deutschen besonders gut, davon abzuraten fällt uns nicht leicht“, sagt Schöttner, „ aber die Fangmethoden richten teils große Schäden an.“ Das schwere Geschirr der Grundschleppnetze dringe in den Boden ein und schädige zum Beispiel Muschelbänke oder andere Bewohner des Meeresgrundes.

Auch für die anderslautende Empfehlung des WWF hat Greenpeace eine Erklärung: „Das MSC-Siegel wurde vom WWF mitgegründet. Sobald es eine zertifizierte Fischerei gibt, gibt es auch in dem WWF-Fischratgeber eine entsprechende Empfehlung“, sagt Schöttner, „wir bewerten unabhängig von Gütesiegeln.“ Zwar lägen beiden Organisationen die gleichen wissenschaftlichen Daten vor, doch die Bewertungskriterien würden unterschiedlich gewichtet.

„Das MSC-Siegel für den Alaska-Seelachs sehen wir beispielsweise sehr kritisch“, sagt Schöttner. Es gebe derzeit kein Siegel, das hundertprozentig vertrauenswürdig sei. Siegel seien grundsätzlich eine positive Entwicklung, denn sie sorgten dafür, dass Verbraucher sich mit Nachhaltigkeit beschäftigten. Schöttner: „Zum anderen tragen sie vielfach dazu bei, dass Produkte mit Label gekauft werden, ohne genauer hinzuschauen. Wer wirklich zum Schutz der Meere beitragen möchte, muss sich jedoch manchmal auch Mühe geben.“

Gemeinsame Lösung fehlt

Für Verbraucher, aber auch für Verbraucherschützer eine schwierige Situation. „Wir sind auch ratlos. Wir kritisieren seit vielen Jahren, dass sich Greenpeace und WWF nicht an einen Tisch setzen, um eine gemeinsame Empfehlung auszusprechen“, sagt Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg. Viele Verbraucher seien verwirrt und auch Kindergärtgen und Schulen würden oft nachfragen, nach welcher Empfehlung sie sich nun bei der Verpflegung richten sollen. „Bei Greenpeace bleibt sehr wenig Auswahl, die Einschätzung ist sehr restriktiv“, sagt Schwartau, „der Handel stützt sich darum eher auf den WWF und dessen Empfehlungen für MSC-zertifizierte Produkte.“

Auch die Verbraucherzentralen empfehlen den MSC-Standard, denn „er geht in die richtige Richtung und ist immer noch besser als nichts“, sagt Schwartau. Die Verbraucherschützerin richtet ihren Vorwurf an eine andere Stelle: „Das ist Politikversagen. Die Umweltschutzorganisationen haben eigene Interessen und teils zu wenig den Verbraucher im Blick. Aber von der Politik aus müsste ein Nachhaltigkeitslabel etabliert werden, vergleichbar mit dem Bio-Label.“ In Sichtweite sei so eine Entwicklung aber bislang nicht.