Berlin. Ist Milch nun gesund oder nicht? Deutsche Forscher haben jetzt 400 internationale Studien ausgewertet – mit erfreulichem Ergebnis.

„Drei Gläser Milch am Tag können tödlich sein“, „Milch schützt die Knochen“, „Milch erhöht das Krebs-Risiko“ – kaum ein Grundnahrungsmittel ist so umstritten wie die Milch. Auch auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin, die am Freitag für Besucher öffnet, ist sie wieder ein zentrales Thema. Milch-Gegner machen sie für Krebs, Schlaganfall und Osteoporose verantwortlich. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt sie dagegen als wichtigen Ernährungsbaustein. Für Verbraucher eine schwierige Situation. Denn an Studien, die diese oder jene Wirkung belegen, mangelt es nicht. Das Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) hat in Kooperation mit dem Max-Rubner-Institut (MRI) 400 weltweit publizierte Studien untersucht, um dem Mythos Milch auf den Grund zu gehen.

Vor welchen Krankheiten schützt Milch?

Ein 200-Milliliter-Glas handelsüblicher Kuh-Vollmilch, das sind ein paar Spurenelemente, 6 Gramm Eiweiß, 0,2 Gramm Kochsalz, 10 Gramm Zucker, 7 Gramm Fett, knapp 88 Prozent Wasser – und 4,2 Gramm gesättigte Fettsäuren, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen können, indem sie die Werte des schädlichen LDL-Cholesterins in die Höhe treiben. „Eine fettarme Ernährung ohne Milchprodukte kann nicht nur Herzkrankheiten vorbeugen, sondern kann sie sogar wieder rückgängig machen“, behauptet etwa die Tierschutzorganisation Peta auf ihrer Homepage.

Doch die Botschaft der Wissenschaftler ist eine andere: „Milch schützt eher vor Herzkreislauferkrankungen und hat einen positiven Einfluss auf den Blutdruck, das zeigt unsere gemeinsam mit dem MRI durchgeführte Recherche“, sagt Simone Hörrlein, Lebensmittelchemikerin beim KErn.

Der Grund: Zwar enthalten Milch, Joghurt und Co. gesättigte Fettsäuren, deren negative Effekte dürften aber nicht isoliert betrachtet werden, denn es komme auch auf die Zusammensetzung des Lebensmittels und vor allem auf die verzehrte Menge an, so Hörrlein. „Milchfett enthält nicht nur ungesättigte Fettsäuren, sondern auch zahlreiche andere Fettstoffe, die mit positiven Eigenschaften in Verbindung gebracht werden“, sagt Hörrlein. Im Falle von Milch seien die Auswirkungen auf den Cholesterinspiegel nicht so ungünstig wie häufig angenommen. Der Verzehr von Magermilch, Joghurt oder Käse senke den Cholesterinspiegel teils sogar und damit auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Calcium ist gut für die Knochen

Dass Calcium aus Milcherzeugnissen die Knochen stärkt, gilt als gesichert. Dennoch finde sich vor allem im Internet immer wieder die Behauptung, die Knochenerkrankung Osteoporose sowie auch Knochenfrakturen wären in Milchnationen häufiger anzutreffen als in Ländern mit wenig Milchkonsum, sagt Hörrlein. Das habe viele Ursachen, der Milchverzehr sei jedoch keine davon. Osteoporose tritt meist im Alter auf. „Auf Grund der höheren Lebenserwartung ist das Krankheitsbild in westlichen Nationen weiter verbreitet“, so Hörrlein. Daneben spielen auch Faktoren wie Körpergröße und Gewicht, aber auch etwa der in Industrienationen weiter verbreitete Konsum von Alkohol und Tabak eine Rolle.

Das sind mögliche Unverträglichkeiten

Ein häufiges Argument von Tierschutz-Organisationen: Kühe sind eine andere Spezies, ihre Milch zu trinken ist unnatürlich. Dann hätte der Mensch jedoch kaum Lebensmittel zur Verfügung, antwortet Hörrlein. „Auch Früchte dienen etwa primär zur Fortpflanzung von Bäumen.“ Auch das Argument, Milch eigne sich nur für Babys, lassen die Wissenschaftler nicht gelten. In den knapp 8000 Jahren, in denen Menschen schon artfremde Milch trinken, habe es „Veränderungen im Laktase-Gen im Verlauf der Evolution“ gegeben, die auch Erwachsenen die Verdauung von Milchzucker ermöglichen. Hörrlein: „In Deutschland vertragen bis zu 15 Prozent Milch nicht gut.“ Bei ihnen fehlt das Verdauungsenzym Laktase oder ist nicht ausreichend aktiv. Der Milchzucker (Laktose) gelangt dann ungespalten in den Darm und sorgt für Blähungen und Bauchgrummeln.

Milch und die Entstehung von Krebs

Welche Rolle Milch und Milchprodukte bei der Krebsentstehung spielen, ist stark umstritten, eine Aussage für sämtliche Krebsarten lässt sich nicht pauschal treffen. Für einzelne Erkrankungen aber ist die Datenlage aus Sicht der Ernährungsexperten von KErn und MRI gut gesichert.

So etwa beim Darmkrebs: Demnach belegen Studien der DGE und des World Cancer Research Fund International, „dass der Verzehr von Milch das Risiko für Dickdarmkrebs verringern kann“ – und das schon ab 200 Milliliter pro Tag. Auch bei Brustkrebs sprechen „diverse Studien für einen schützenden Effekt durch fettarme Milchprodukte“, so die Wissenschaftler. Einige Untersuchungen zeigen eine Verringerung des Brustkrebsrisikos, wenn die Probanden Calcium aus 25 Gramm Käse pro Tag zu sich nahmen. Eine Meta-Studie chinesischer Forscher mit über einer Millionen Teilnehmern wies schon 2011 darauf hin, dass Milchprodukte das Brustkrebsrisiko senken könnten.

Ausnahme Prostatakrebs

Anders ist die Lage bei Prostatakrebs. Eine hohe Zufuhr von Calcium erhöhe „wahrscheinlich“ das Krebsrisiko, stellt ein Bericht des World Cancer Research Fund International fest – allerdings erst ab einer Verzehrsmenge von etwa 1,5 Gramm pro Tag. „Das entspricht 1,25 Liter Milch oder 140 Gramm Hartkäse“, stellen die Autoren von KErn und MRI fest. Sie führen weitere Studien an, die zwar einen Zusammenhang zwischen Prostatakrebsrisiko und Calciumgehalt im Blut belegen, direkt Rückschlüsse auf Calcium, das aus der Nahrung aufgenommen wird, jedoch nicht zulassen. Ihr Urteil: „noch unklar“. Die Experten raten Männern, bei denen Familienangehörige bereits an Prostatakrebs erkrankt sind, es bei zwei bis drei Portionen Milch pro Tag zu belassen.

Keine Verschlechterung von Erkältungssymptomen

„Der Mythos ‘Verschleimung der Atemwege’ stammt aus dem 12. Jahrhundert, Ärzte empfahlen Asthma-Patienten damals auf Milch zu verzichten“, sagt Hörrlein. Heute findet sich dieses Argument auf nicht wissenschaftlichen Internetseiten wieder, wie etwa dem Milch-Gegner-Blog www.milchlos.de: „Der erheblich höhere Eiweißgehalt der Milch heutzutage ist mit ein Grund für Asthma“, heißt es dort. Die Ernährungswissenschaftler vom KErn räumen damit klar auf: „Dass Milch zu einer Verschleimung von Atemwegen führt, ist eine Legende“.

Die Annahme hält sich hartnäckig, denn wenn die Proteine in der Milch beim Kontakt mit dem Speichel im Mund ausflocken, kann tatsächlich ein schleimiges Gefühl entstehen. Trotzdem können Erkältete beruhigt zur heißen Milch mit Honig greifen: „Die Verschlechterung von Erkältungs- und Schnupfensymptomen ließ sich in diversen Studien nicht bestätigen“, sagt Hörrlein.

Einen Vorwurf der Milchgegner können die Wissenschaftler allerdings bislang nicht entkräften: Hoher Milchkonsum könnte Akne begünstigen. Dazu gebe es „schlüssige Hypothesen“, meint Hörrlein. Studien, die den Zusammenhang belegen, fehlen aber ebenso.