Kaum Kontrollen, große Armut: In Bulgarien haben die Verbrecher leichtes Spiel. Tausende Jugendliche leben auf der Straße, Familien bieten ihre Kinder zum Kauf an.

"Möchten Sie unsere Jungen kennenlernen? Jede Woche bieten wir etwas Neues an!" Was genau unter "neu" zu verstehen war, das ging aus der Internet-Werbung für "tolle Partys" in der bulgarischen Hauptstadt Sofia nicht hervor. Nur die Eingeweihten wussten, dass es sich um "frisches Fleisch" handelte, um neue Mädchen und Jungen. Es waren Kinderhändler, die sich hinter dieser Webseite versteckten, die kleine Jungs wie Ware behandelten. Die Bande, die das Geschäft mit den Kindern organisiert hat, ist hinter Gittern. Drei Männer zwischen 25 und 50 Jahren wurden jetzt verhaftet. Der Kinderhandel aber ist längst nicht besiegt.

Wurden Kinder aus Bulgarien auch in Hamburg zum Sex angeboten? Noch ist die Dimension des Verbrechens unklar, noch stehen die Ermittlungen am Anfang. Doch wenn sich bewahrheitet, was Kripo und Staatsanwaltschaft den Verdächtigen vorwerfen, dann beschaffte sich ein Kinderhändler- und Kinderschänderring (wie berichtet) von St. Georg aus wohl jahrelang Kinder vor allem in Osteuropa. Er fand dort leichte Opfer. In Ländern wie Bulgarien und Rumänien ist die Not der Familien und Kinder teilweise noch immer so groß, dass Verkauf oder Verleih kleiner Kinder und Jugendlicher als akzeptable Methode gilt, das eigene Leben zu retten. Tausende Kinder leben auf der Straße. Von dort ist der Weg für die Betroffenen in westeuropäische Großstädte und die Betten der Kunden erschreckend kurz. Kinderhandel in Deutschland - und die Spur nach Bulgarien.

Das Land ist immer noch führend auf der schwarzen Liste der Länder mit den meisten Kindern, die Opfer dieses abscheulichen Verbrechens werden. Die von Händlern, Zwischenhändlern und Kunden wie Ware hin- und hergeschoben werden. Das geht aus verschiedenen internationalen Studien hervor, die vor einigen Tagen vom Zentrum für europäische Jugendprogramme in der Stadt Plovdiv vorgestellt wurden. An die Stelle der Verhafteten sind andere Täter getreten, das System funktioniert weiterhin prächtig.

Gefährdet sind vor allem Roma-Kinder, aber auch solche von verarmten Familien. Davon gibt es viele. Für sie sind das schnelle Geld und das Versprechen eines aufregenden Lebens eine nicht zu unterschätzende Versuchung. Eine, der nicht alle widerstehen können. Hunderte, Tausende Roma-Kinder tummeln sich auf den Straßen und an Bahnhöfen. Zu oft kümmern sich die Eltern gar nicht um die Kleinen.

60 bis 360 Leva (etwa 30 bis 180 Euro) haben die Kunden der zerschlagenen Pädophilen-Bande, die in Sofia Partys organisierte, für die Dienste der Jungen bezahlt. Am Anfang bemühten die Menschenhändler sich, das Vertrauen der Kinder zu gewinnen. Nicht aus Fürsorge. Ihnen ging es allein darum, die Opfer später leichter handhaben zu können, es noch leichter mit ihnen zu haben.

Die Jungen wurden zu Feiern eingeladen, auf denen Alkohol in rauen Mengen angeboten wurde. Einige bekamen unbemerkt Drogen ins Glas gekippt. Später taten die Männer, die zu den Partys kamen, das, was für sie den Reiz der Feier ausmachte. Das Beisammensein wurde zur pädophilen Missbrauchs-Party. Die Opfer wurden vergewaltigt. In Sofia wie anderswo. Auch der vergangene Woche in Hamburg aufgeflogene mutmaßliche Kinderschänderring soll Partys dieser Art organisiert haben.

Verabredungen für derartige Feierlichkeiten treffen einschlägige Kreise meist im Internet. So war es auch in Sofia: Die Jungen wurden ihnen in Hotels geliefert. Für Stammkunden gab es Ermäßigungen und Sonderangebote. Etwa 30 Euro haben die Pädophilen für eine Stunde bezahlt. Die Hälfte des Geldes sollten die Jungen ihren Vermittlern abgeben.

In drei Monaten warben die Zuhälter 15 Jungen. Täglich gingen etwa 30 bis 40 Kundenanfragen ein. Manchmal helfen auch die Eltern. Eine Familie in Nordbulgarien verkaufte ihre 15-jährige Tochter einem serbischen Zuhälter. 5000 Euro zahlte der Mann den Eltern. Dafür durfte er das Mädchen für sechs Monate mit nach Österreich nehmen. Der Zuhälter versprach den Eltern, dass die Tochter "im Westen sehr gut verdienen" werde. In Österreich wurde das Kind gezwungen, sich zu prostituieren. Wehren konnte die 15-Jährige sich nicht, da ihre Eltern die "Reise" zugesagt hatten. Verdächtige und Beschuldigte für Menschenhandel dieser Art gibt es in Bulgarien viele. Doch die Zahl der Verurteilten ist gering. Die Gründe: Im bulgarischen Strafgesetzbuch sind für Fälle dieser "modernen" Verbrechen zum Teil keine geeigneten Paragrafen zu finden. Und die Wahrheitsfindung im Gericht erweist sich oft als schwierig. Beweise gibt es selten.

Dass Kinder in Bulgarien so leicht zu haben sind, heizt die Nachfrage an. Mit ihnen lässt sich Geld verdienen. Beim Betteln, als Sexobjekte. Bettlerbanden mit bulgarischen Kindern waren massiv in Wien, aber auch in Hamburg unterwegs. Dass es in Europa praktisch keine Grenzen mehr gibt, macht es den Menschenhändlern noch leichter.

Und etwas Exotik - "Ostblock-Lämmchen" werden die Kinder mit den meist tiefdunklen Augen in der Szene gern genannt - ist für die Pädophilen willkommen.

Vor Ort können sich Kinderhändler und Kinderschänder ihre Opfer meist ganz leicht aussuchen. So wie es der dort namhafte Abgeordnete der rechtsextremen Partei Ataka, Wladimir Kusov, gemacht hat. Er ist der erste Parlamentarier im Land, der für Pädophilie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. 2007 erhielt er drei Jahre Haft. Kusov sprach Roma-Kinder in Straßencafes in der Nähe des Bahnhofs Podujane in Sofia an. Vor Gericht wies er zunächst alle Missbrauchsvorwürfe zurück. Doch Zeugen gab es genug. So schilderte der 13-jährige Nikolaj, wie er von dem Politiker gezwungen wurde, ihn in der Nähe des Bahnhofs oral zu befriedigen. Ob Kusov auch in den Kinderhandel verstrickt ist, ließ sich nicht nachweisen.

In anderen Fällen blieb die Justiz erfolglos: Wladimir Z., ein Discjockey aus Sofia, war im Januar 2008 verhaftet, kurz darauf aber wieder entlassen worden. Z. betrieb eine Webseite, auf der er sich als Organisator von Kinderpartys mit vielen Spielen, Tanzabenden mit Salsa und Karaoke anbot - alles einschließlich Videoaufzeichnungen. Auf den Computern des Mannes waren indes nicht nur fröhliche Kinderpartys zu sehen. Er hortete und verschickte Bildmaterial und Filme mit Sex- und Gewaltszenen Erwachsener mit Kindern zwischen drei und zehn Jahren. Per Internet-Telefon kommunizierte Z. mit Gleichgesinnten aus aller Welt und ließ ihnen sein Material zukommen. Fahnder der kanadischen Polizei enttarnten ihn schließlich als aktives Mitglied eines pädophilen Tauschrings.

"Frischfleisch", so glauben Kenner der bulgarischen Kinderhändler-Szene, holen sich Täter zum Teil auch in den zahllosen Kinderheimen. Die Kontrollen gelten dort zum Teil als lasch, die Zustände sind nicht selten katastrophal. Ein Fall mit tragischem Ende: Der Pädophile Assen St. unterhielt in einer bulgarischen Kleinstadt eine Beziehung zu einer 15-Jährigen. Beim Versuch, das Mädchen auf der Straße zu erschießen, tötete er dessen Freundin, verletzte die 15-Jährige und einen weiteren Jungen. Der Täter (67) beging Selbstmord. Danach stellte sich heraus, dass er seit Jahren zahlreiche Heimkinder missbraucht hatte.

Noch ist vollkommen unklar, ob die Hamburger Kripo die Identität der Kinder, die von den mutmaßlichen Menschenhändlern um Reinhold F. missbraucht worden sein sollen, wird klären können. Die Recherchen beginnen erst. Verdächtige im Ausland gibt es (noch) nicht. "Es liegt eine Menge Arbeit vor den Ermittlern", sagt ein Polizeisprecher.


* Ina Dimitrova (41) ist Redakteurin bei der zweitgrößten bulgarischen Tageszeitung "24 Tchassa" (24 Stunden) und ist eigens nach Hamburg gereist, um hier Hintergründe des gerade aufgeflogenen Pädophilenrings zu recherchieren. Gestern besuchte sie die Abendblatt-Redaktion - und erklärte sich spontan bereit, an diesem Beitrag mitzuwirken.