Berlin. Klimaneutralität bis 2030 in Berlin - ist das überhaupt möglich? Franziska Giffey und Kai Wegner geben eine klare Antwort.

Berlins CDU-Landeschef Kai Wegner hat sich klar gegen die Ziele eines für Sonntag geplanten Volksentscheids für Klimaneutralität bis 2030 ausgesprochen. „Wir haben eine Verantwortung für die Zukunft dieser Stadt, und da geht es natürlich um Klimaschutz“, sagte Wegner am Freitag vor Beginn einer neuen Runde der Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD.

„Aber wir haben auch eine Verantwortung für die Bezahlbarkeit dieser Stadt, wir haben eine Verantwortung für die Versorgungssicherheit, was Energie angeht“, so der CDU-Politiker. „Und ich glaube, dass die Ziele des Volksentscheides hier deutlich zu weit gehen. Die Ziele sind nicht realistisch erreichbar bis 2030.“

Franziska Giffey: "Das muss man den Leuten auch klipp und klar erklären"

Berlins Regierende Bürgermeisterin und SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey teilt diese Einschätzung: „Wir finden wichtig, dass das Thema vorangebracht wird, aber es ist nicht möglich, dass Berlin bis 2030 klimaneutral ist. Und das muss man den Leuten auch klipp und klar erklären. Alles andere ist Augenwischerei“, sagte Giffey.

Klimaneutralität bis 2030 sei weder mit Blick auf die Gebäude noch mit Blick auf die Verkehrssituation realistisch, sagte die SPD-Politikerin. Selbst mit Blick auf die landeseigenen Fahrzeugflotten etwa bei Feuerwehr, Technischem Hilfswerk oder der Rettungsdienste sei das nicht zu schaffen. „Die werden nicht bis 2030 alle klimaneutral sein.“

Wunsch-Koalitionäre setzen auf „Sondervermögen“

Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD: CDU-Chef Kai Wegner (M.) mit den SPD-Vorsitzenden Franziska Giffey (l.) und Raed Saleh führen die Dach-Arbeitsgruppe an.
Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD: CDU-Chef Kai Wegner (M.) mit den SPD-Vorsitzenden Franziska Giffey (l.) und Raed Saleh führen die Dach-Arbeitsgruppe an. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Der SPD-Co-Landesvorsitzende Raed Saleh wies auf das Sondervermögen für mehr Klimaschutz von zunächst fünf Milliarden Euro hin, das CDU und SPD bei den Koalitionsverhandlungen verabredet haben: „Meine These ist: Andere Bundesländer werden das kopieren. Sie werden dem Berliner Modell für mehr Klimaschutz folgen.“ Er sei überzeugt, dass das Modell bereits jetzt überall diskutiert werde. „Und dass am Ende alle Bundesländer einen ähnlichen Weg gehen. Von daher ist der Weg, den Berlin eingeschlagen hat, auch ein großes Klimaschutzpaket für ganz Deutschland.“

Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030: alle Infos in der Übersicht

NameVolksentscheid über
ein klimaneutrales Berlin
ab 2030
OrtBerlin
Termin26. März 2023
Zeitraum8 bis 18 Uhr
Wahlberechtigte2.431.772 Personen
Wahlvoraussetzungin Berlin gemeldet, über 18 Jahre, deutsch
Erforderliche Ja-Stimmen608.000 Stimmen

Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz © Geert Vanden Wijngaert/AP

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht die Ziele der Initiatoren des Volksentscheids skeptisch. „Ich bin fest davon überzeugt, dass das, was die Bundesregierung sich vorgenommen hat, genau der richtige Weg ist, nämlich dafür zu sorgen, dass wir unser Land technologisch modernisieren“, sagte Scholz am Samstag. „Da helfen fiktive Daten, die man nicht einhalten kann, nichts. (...) Das geht nur, indem man tatsächlich dafür Sorge trägt, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden, so dass wir 2045 klimaneutral wirtschaften können und trotzdem ein wirtschaftlich starkes Land sind.“

Auch die Industrie- und Handelskammer erklärte, Klimaneutralität in Berlin sei angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen „nicht realistisch umsetzbar“. Ähnlich sehen das auch diverse Klima- und Umweltwissenschaftler.

Am Brandenburger Tor gab es einen Tag vor dem Volksentscheid eine Demo und ein Konzert.
Am Brandenburger Tor gab es einen Tag vor dem Volksentscheid eine Demo und ein Konzert. © Getty Images

Unterstützer des Volksentscheids hatten sich am Samstag vor dem Brandenburger Tor zu einer Kundgebung mit verschiedenen Konzerteinlagen versammelt. Das musikalische Programm reichte von der deutschen Band Element of Crime über die Musikerin Annett Louisan, der Alternative-Rock-Band Beatsteaks bis hin zu Pianist Igor Levit.

Volksentscheid in Berlin: Nötig sind 608.000 Ja-Stimmen

Rund 2,4 Millionen Menschen können am Sonntag bei einem Volksentscheid über mehr Tempo beim Klimaschutz abstimmen. Das Bündnis „Klimaneustart“ will erreichen, dass Berlin sich verpflichtet, bis 2030 und nicht wie bislang vorgesehen bis 2045 klimaneutral zu werden. Dafür soll das Energiewendegesetz des Landes geändert werden.

Um das zu schaffen, muss eine Mehrheit der Wähler dafür stimmen, mindestens aber 25 Prozent der Wahlberechtigten. Nötig sind also rund 608.000 Ja-Stimmen. Gelingt das, gilt das Gesetz als beschlossen und tritt in Kraft. Den Volksentscheid erzwungen hatte das Bündnis mit einer viermonatigen Unterschriftensammlung, bei der im Vorjahr rund 260.000 Menschen für das Ansinnen unterschrieben.

Klimaneutralität bedeutet, dass keine Treibhausgase emittiert werden, die über jene hinausgehen, die zum Beispiel durch die Natur aufgenommen werden. Dafür müssten die klimaschädlichen Emissionen etwa von Verbrennerautos, Flugzeugen, Heizungen, Kraftwerken oder Industriebetrieben um etwa 95 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden.

Die Antwort auf die Frage, wie genau das bis 2030 in Berlin erreicht werden soll, überlässt die Initiative bewusst der Politik. Die wichtigsten Stellschrauben sind bekannt: energetische Sanierung von Gebäuden, fossilfreie Energie- und Wärmeerzeugung, Ausbau des ÖPNV und emissionsfreie Autos vor allem mit E-Antrieb. Nötig wären dafür allein in Berlin Investitionen in zwei- oder dreistelliger Milliardenhöhe - unabhängig vom Jahresziel der Klimaneutralität.

Die EU will bis 2050 klimaneutral werden

Zum Vergleich: Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die EU will bis 2050 so weit sein. Entsprechend viel Skepsis herrscht bei der Frage vor, ob Berlin das bereits bis 2030 schaffen kann. Die Initiatoren des Volksentscheids und ihre Unterstützer bei Umweltorganisationen, dem Mieterverein, Initiativen und in der Kulturszene, aber zuletzt auch bei Grünen und Linken bejahen das.

Im Falle eines Erfolgs der Abstimmung stünde Berlin mit strengerem Klimaziel nicht allein da. Nach Angaben des Vereins German Zero visieren in Deutschland etwa 70 Städte das Ziel an, bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden. Auf europäischer Ebene unterstützt die EU-Kommission 100 Kommunen, die bis 2030 an der „EU-Mission für klimaneutrale und intelligente Städte“ teilnehmen.

In Berlin gab es laut Wahlleitung bisher sieben Volksentscheide, denen nicht immer wie am Sonntag ein konkreter Gesetzentwurf zugrunde lag. Die letzten Abstimmungen 2021 über die Enteignung großer Wohnungskonzerne (ohne Gesetzentwurf), 2017 zum Weiterbetrieb des Flughafens Tegel (ohne Gesetzentwurf) und 2014 zum Erhalt des Tempelhofer Feldes (mit Gesetzentwurf) waren erfolgreich. Tegel wurde dennoch geschlossen.