München. Vor etwas mehr als einem Jahr machte das Gutachten zu sexueller Gewalt im Erzbistum München und Freising Schlagzeilen, jetzt ist die juristische Aufarbeitung abgeschlossen.

Mehr als 40 Verdachtsfälle, hochrangige Beschuldigte - doch keine Anklage: Die Staatsanwaltschaft München I hat nach der Vorstellung des Gutachtens zu sexueller Gewalt im Erzbistum München und Freising ihre Ermittlungen gegen die früheren Erzbischöfe Kardinal Joseph Ratzinger und Kardinal Friedrich Wetter wegen des Verdachts der Beihilfe eingestellt.

„Drei (damals) noch lebende kirchliche Personalverantwortliche“ seien während der Ermittlungen „als Beschuldigte eingetragen“ worden. Neben dem emeritierten Papst Benedikt XVI., der als Kardinal Ratzinger von 1977 bis 1982 Erzbischof war, und seinem Nachfolger Wetter betraf das den Angaben zufolge auch den ehemaligen Generalvikar Gerhard Gruber. Die Ermittlungen „ergaben jeweils keinen hinreichenden Verdacht strafbaren Handelns der Personalverantwortlichen“.

Die Behörde hatte die Ermittlungen ausgehend von dem 2022 vorgestellten Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) aufgenommen und 45 Fälle geprüft, in denen hochrangige Kirchenvertreter verdächtigt wurden, durch ihr Fehlverhalten im Umgang mit Tätern Beihilfe zu Missbrauchstaten geleistet zu haben. „Es standen mögliche Beihilfehandlungen der Personalverantwortlichen im Raum“, sagt Staatsanwältin Angela Miechielsen. Unterstützt wurde die Behörde von einer Ermittlungsgruppe der Polizei, der „EG Kelch“.

Verjährung eingetreten

Wie die Staatsanwaltschaft mitteilt, wurde mit 39 dieser Fälle ein Großteil sofort eingestellt, sechs Fälle wurden intensiver geprüft - darunter auch der Fall des Wiederholungstäters Priester H., der wegen Missbrauchs aus dem Bistum Essen zu der Zeit in das Münchner Bistum versetzt wurde und dort immer wieder Kinder missbrauchte, als Ratzinger dort Erzbischof war.

In diesem Fall (Fall 41 aus dem WSW-Gutachten) sei Ratzinger als Beschuldigter geführt worden, sagt Staatsanwältin Miechielsen - ebenso im Fall eines weiteren Missbrauchstäters (Fall 40). Weil aber die Taten dieser Priester inzwischen verjährt waren, gilt das auch für den möglichen Vorwurf der Beihilfe zu diesen Taten. Das ist der Grund für die Einstellung des Verfahrens. Ob und inwiefern der spätere Papst damals eine Straftat begangen hat, wurde also nicht mehr untersucht: „Sobald Verjährung eingetreten ist, ermitteln wir nicht mehr weiter.“

Ratzinger-Biograf Peter Seewald wertet das Ergebnis der Ermittlungen unterdessen als Bestätigung der Aussagen des emeritierten Papstes. Schon das WSW-Gutachten habe „keinen einzigen Beweis für ein Fehlverhalten oder für eine Mithilfe des früheren Erzbischofs von München bei einer Vertuschung“ enthalten. In dem Gutachten war Ratzinger in mehreren Fällen persönliches Fehlverhalten vorgeworfen worden.

Kardinal Wetter galt in fünf Verfahren als Beschuldigter - ebenso der frühere Generalvikar Gruber. In einem dieser Verfahren ging es um einen inzwischen gestorbenen Krankenhausseelsorger in Rosenheim, der im Verdacht stand, Ministranten missbraucht zu haben - und um möglicherweise noch nicht verjährte Fälle Anfang der 2000er Jahre.

Auf der Suche nach dem Giftschrank

Im Zusammenhang mit diesem Fall - der Nummer 26 aus dem Missbrauchsgutachten - hatte die Staatsanwaltschaft auch Mitte Februar Räume des Erzbistums München und des Erzbischöflichen Palais durchsucht. Ziel war es dabei, den sogenannten Giftschrank zu finden, in dem Informationen zu Missbrauchstätern weggeschlossen wurden. Der sei aber 2011 aufgelöst, die Unterlagen den entsprechenden Personalakten zugeordnet worden - das habe auch der amtierende Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, bestätigt.

Ihm und seinem Erzbistum stellt die Staatsanwaltschaft ein gutes Zeugnis aus. Die Kooperationsbereitschaft sei groß gewesen. Oberstaatsanwalt Hans Kornprobst spricht sogar von „unbedingtem Aufklärungswillen“. Es habe nie den Verdacht gegeben, „dass da irgendwas nicht vollständig sein könnte“.

Kornprobst wehrt sich gegen Vorwürfe, seine Behörde sei jahrelang viel zu sanft umgegangen mit der Kirche. „Wieso sollten wir ausgerechnet bei der Kirche besondere Milde walten lassen?“, fragt er.

Kritiker werfen der Staatsanwaltschaft vor, sie hätte schon 2010 - nachdem das erste Missbrauchsgutachten für die Erzdiözese zwar erstellt, aber nicht veröffentlicht worden war - die Herausgabe der Kirchenakten verlangen sollen.

Die Ansicht teilt Kornprobst zwar rückblickend - er sagt aber auch, in dem Gutachten sei vieles nur so schwammig formuliert gewesen, dass es für einen Anfangsverdacht, der nötig ist, um Ermittlungen aufzunehmen, nicht gereicht hätte. Er sagt, die Ermittlungen hätten auch damals schon „strafrechtlich keine wesentlich anderen Ergebnisse“ gebracht.

Im Fall Priester H. wäre ein Fall zwar erst 2012 verjährt gewesen - zwei Jahre nach Erstellung des ersten Gutachtens. Allerdings wurde das Verfahren schon im Mai 2010 von der Staatsanwaltschaft München II eingestellt, weil Angaben des Geschädigten widersprüchlich waren, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagt.