Berlin. Weiblich, männlich, divers - das deutsche Recht sieht drei mögliche Geschlechter vor. Wer seinen Eintrag ändern lassen will muss bislang relativ hohe Hürden überwinden. Das soll sich nun ändern.

Jeder Mensch in Deutschland soll sein Geschlecht und seinen Vornamen künftig selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern können. Das sieht ein in Berlin vorgestelltes Konzept der Bundesministerien für Justiz und Familie für ein neues Selbstbestimmungsgesetz vor, das Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) in Berlin vorstellten.

Es soll das Transsexuellengesetz ersetzen, das von vielen Menschen inzwischen als unzeitgemäß und diskriminierend empfunden wird. Wenn die Neuregelung so wie geplant umgesetzt wird, ist bei der Frage des Geschlechtseintrags und der Vornamen künftig unerheblich, ob es sich um einen transgeschlechtlichen, nicht-binären oder intergeschlechtlichen Menschen handelt. Gutachten zur sexuellen Identität oder ein ärztliches Attest sollen als Voraussetzung für eine solche Änderung dann nicht mehr verlangt werden.

Inter-Menschen sind Menschen, deren körperliches Geschlecht nicht der medizinischen Norm von männlichen oder weiblichen Körpern zugeordnet werden kann, sondern sich in einem Spektrum dazwischen bewegt. Als nicht-binär bezeichnet man Menschen, die weder eine männliche noch eine weibliche Geschlechtsidentität haben. Transmenschen fühlen sich dem Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugeschrieben wurde, nicht zugehörig.

Sonderregeln für Minderjährige

Für Minderjährige bis 14 Jahre sollen die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung beim Standesamt abgeben. Jugendliche ab 14 Jahren sollen die Erklärung selbst abgeben können, allerdings mit Zustimmung der Eltern. Zu möglichen strittigen Fällen für die Gruppe der Minderjährigen ab 14 Jahre heißt es in dem von den beiden Ministerien formulierten Eckpunkte-Papier: «Um die Persönlichkeitsrechte der jungen Menschen zu wahren, kann das Familiengericht in den Fällen, in denen die Sorgeberechtigten nicht zustimmen, orientiert am Kindeswohl - wie auch in anderen Konstellationen im Familienrecht - die Entscheidung der Eltern auf Antrag des Minderjährigen ersetzen.»

Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger, begrüßte die geplante Änderung. Er sagte, es «sollte unstrittig sein, dass auf nicht notwendige Zuordnungen und medizinisch nicht erforderliche Eingriffe verzichten werden kann». Auch der Lesben- und Schwulenverband äußerte sich generell positiv zu den Eckpunkten. Bundesvorstandsmitglied Alfonso Pantisano sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe jedoch, er sei verwundert, dass bei Jugendlichen die Sorgeberechtigten zustimmen müssten oder im Zweifel das Familiengericht. «Bei der Wahl der Religion oder des Berufs ist das auch nicht der Fall. Warum sollte es dann beim Geschlecht so sein?»

Einjährige Sperrfrist

Um sicherzustellen, dass hinter der personenstandsrechtlichen Änderung eine ernsthafte Entscheidung steht, ist eine einjährige Sperrfrist vorgesehen. Das bedeutet, dass der neue Geschlechtseintrag und der Vorname grundsätzlich für mindestens ein Jahr lang gilt.

Buschmann und Paus wiesen ausdrücklich darauf hin, ihr geplantes Gesetz werde keine Festlegung zu der Frage etwaiger körperlicher geschlechtsangleichender Maßnahmen enthalten. Solche Maßnahmen würden weiterhin auf Grundlage fachmedizinischer Regelungen entschieden. Auch auf die Entscheidung, wer im sportlichen Wettbewerb als Frau oder Mann antritt, soll die geplante Gesetzesänderung keine Auswirkungen haben. Das entschieden die Sportverbände, sagte Paus.

Transsexuellengesetz stammt von 1980

«Das Transsexuellengesetz stammt aus dem Jahr 1980 und ist für die Betroffenen entwürdigend», erklärte sie. Auf die Frage, was mit Frauen sei, die sich in der Sauna oder in der Umkleide beim Sport womöglich unsicher fühlten, wenn Menschen, die bisher Männer waren, diese Räume betreten, antwortete die Ministerin: «Transfrauen sind Frauen, und deswegen sehe ich da jetzt keinen weiteren Erörterungsbedarf.» In Frauenhäusern werde auch in Zukunft darauf geachtet, dass gewalttätige Menschen - gleich welchen Geschlechts - dort keinen Zugang hätten.

Transmenschen und nicht-binäre Menschen können ihren Geschlechtseintrag und den Vornamen aktuell nur per Gerichtsbeschluss ändern. Im Verfahren müssen zwei Sachverständigengutachten eingeholt werden. Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung können Änderungen zwar jetzt schon mit einer Erklärung beim Standesamt vornehmen. Allerdings werden dabei entweder ein ärztliches Attest oder eine Versicherung an Eides statt verlangt.

Buschmann: Schutz vor «Zwangs-Outing»

Buschmann sagte: «Das geltende Recht behandelt die betreffenden Personen wie Kranke. Dafür gibt es keine Rechtfertigung.» Das Kabinett soll nach dem Willen von Paus und Buschmann bis zum Jahresende über einen Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz beschließen.

Viele Menschen, die ihren Geschlechtseintrag ändern, gehen damit offen um. Wer das nicht tun möchte, werde vor einem «Zwangs-Outing» geschützt, sagte Buschmann. Falls diese sehr persönlichen Informationen von einem Behördenmitarbeiter «in die Öffentlichkeit gezerrt» wird, soll laut Buschmann ein Bußgeld fällig werden. Geplant sind außerdem Entschädigungsleistungen für trans- und intergeschlechtliche Menschen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen waren.

Opposition übt Kritik

Das Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags und des Namens müsse möglichst schonend und diskriminierungsfrei sein, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU). Die Bundesregierung schieße mit ihrem «Radikal-Vorschlag» aber weit über dieses Ziel hinaus. Die vorgesehene Möglichkeit zu einem jährlichen Wechsel von Geschlecht und Namen ohne Voraussetzung ist absurd. Sportvereine und Fitnessstudios könnten beispielsweise bislang als männlich eingetragenen Personen nicht ohne weiteres die Nutzung von Frauenumkleiden verwehren. Auch der Minderjährigenschutz komme viel zu kurz, beklagte Lindholz.

«Die vorgestellten Eckpunkte für ein Selbstbestimmungsgesetz sind unzweifelhaft ein gesellschaftlicher Meilenstein», lobte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte. Was fehle, sei der Ausbau von Hilfs- und Betreuungsangeboten für Betroffene und ihr Umfeld sowie eine breite Aufklärungskampagne, um gesellschaftliche Ängste abzubauen.

Die AfD stellte sich grundsätzlich gegen das Gesetzesvorhaben. Ihr stellvertretender Bundesvorsitzender Stephan Brandner sagte: «Biologie lässt sich nicht von Gesetzen einfach ausblenden und ist auch keine Frage von Mehrheiten.»