Karlsruhe. Wie viel Eigentum darf man besitzen, wenn man staatliche Leistungen in Anspruch nimmt? Das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe hat dazu nun eine Entscheidung gefasst.

Kein Hartz IV bei (zu) großem Haus: Vorgaben zur maximalen Größe von Wohneigentum für Empfänger solcher staatlichen Leistungen sind laut dem Bundesverfassungsgericht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Das gilt auch, wenn in einer Wohnung oder einem Haus einst eine ganze Familie wohnte - die Kinder aber inzwischen ausgezogen sind. Dann sinkt die Quadratmeterzahl, die für den Bezug staatlicher Leistungen als angemessen gilt. Es komme nur auf die aktuelle Bewohnerzahl an, entschied das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe (Az. 1 BvL 12/20). Der Sozialverband VdK kritisierte dies und setzt auf Reformpläne der Bundesregierung.

Knackpunkt: "Angemessene Größe"

Es geht um das sogenannte Schonvermögen - also Freibeträge beim Vermögen, die man nach dem Sozialrecht nicht zum Bestreiten seines Lebensunterhalts einsetzen muss. Im Sozialgesetzbuch (SGB) II ist geregelt, welches Vermögen bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu berücksichtigen ist. Nicht dazu zählt etwa "ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung". Das Sozialgericht im niedersächsischen Aurich wollte wissen, ob die Regel verfassungskonform ist. Gemäß Grundgesetz stehen zum Beispiel Familien unter besonderem Schutz des Staates.

Das Verfassungsgericht entschied, mit der gängigen Praxis würden den Betroffenen keine Leistungen verwehrt, die sie zur Existenzsicherung benötigten. "Denn sie verfügen über Wohneigentum, das sie einsetzen und damit ihren Bedarf selbst sichern können." Der Erste Senat um Gerichtspräsident Stephan Harbarth erklärte, das Verfassungsgericht könne nicht prüfen, "ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat".

Sechs Kinder zogen nach und nach aus

Im konkreten Fall ging es um ein Ehepaar, das mit sechs Kindern ein von ihm erbautes Haus bewohnte. Der Nachwuchs zog nach und nach aus. Die Klägerin und ihr Mann wohnten seit dem Frühjahr 2013 allein dort.

Als die Frau 2018 Hartz IV wollte, wurde der Antrag abgelehnt. Die Begründung: Grundstück und Haus stellten kein Schonvermögen im Sinne des SGB II dar, da sie nicht von angemessener Größe seien. Das Haus hat nach Angaben des Sozialgerichts eine Wohnfläche von 143,69 Quadratmetern. Als angemessen gelten demzufolge für einen Zwei-Personen-Haushalt allerdings höchstens 90 Quadratmeter.

Das Bundessozialgericht hatte 2016 in einem Urteil dargelegt, dass eine Wohnungsgröße von 130 Quadratmetern für eine vierköpfige Familie die Obergrenze sei. Leben weniger Menschen in der Wohnung, seien davon 20 Quadratmeter pro Person abzuziehen.

Kritik vom Sozialverband VdK

VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte: "Das Bundesverfassungsgericht hat die große Chance vertan, die starre Regelung an die wirklichen Bedürfnisse der Menschen und der aktuellen Situation auf dem Wohnungsmarkt anzupassen." Die Regelung werde der Lebenssituation vieler Leute nicht gerecht. "Ältere zum Beispiel haben ihre Kinder in den Wohnungen oder Häusern großgezogen. Ziehen die Kinder dann aus, ist es oft völlig illusorisch, eine kleinere bezahlbare Wohnung zu finden, denn die gibt es auf dem angespannten Wohnungsmarkt nicht."

Die Politik habe erkannt, dass die Regelung für die Betroffenen ein großes Problem sei. "Deshalb war die Entscheidung der Bundesregierung richtig, während der Corona-Pandemie keine Prüfung der Wohnkosten und des selbstgenutzten Wohneigentums vorzunehmen", sagte Bentele. Das sollte darum unbedingt im neuen Bürgergeld fortgeführt werden.

Bürgergeld soll kommen

Langzeitarbeitslose sollen nach den Plänen der Ampel-Koalition im Bund statt Hartz IV ein Bürgergeld bekommen. In den ersten zwei Bezugsjahren soll die Prüfung des Vermögens oder der Wohnung wegfallen. Wer durch das Bürgergeld aufgefangen wird, soll sich vorerst nicht um das Ersparte und die Wohnsituation sorgen müssen.

Julia Wagner vom Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland machte deutlich, dass Betroffene nicht zwangsläufig gezwungen seien, die ganze Immobilie zu verkaufen und in eine kleine Wohnung zu ziehen. Andere Lösungen könnten die Teilung des Grundstücks oder des Hauses sein sowie Untermieter zu suchen. "Das Sozialleistungssystem versucht, den Spagat zwischen der Erhaltung des Wohneigentums - auch zur Altersvorsorge – und der sozialen Gerechtigkeit zu absolvieren", so Wagner. "Dies gelingt durch diese Norm jedoch nur bedingt, auch wenn die Verfassungsrichter sie als verfassungskonform beurteilen."

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