Düsseldorf/Essen. Die nächste Hürde auf dem Weg zu einer neuen Landesregierung in NRW ist genommen: CDU und Grüne sagen Ja zu Koalitionsverhandlungen. Schon am Dienstag sollen sie starten.

Das erste schwarz-grüne Bündnis in Nordrhein-Westfalen rückt näher.

Die Führungsgremien beider Parteien warfen am Sonntag in getrennten Sitzungen ihr ganzes Gewicht in die Waagschale und stimmten geschlossen dafür, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen.

CDU: Papier "insgesamt eine tragfähige Grundlage"

Die CDU sei der Auffassung, dass das in den vergangenen Tagen erarbeitete zwölfseitige Sondierungspapier mit gemeinsamen Zielen beider Seiten "insgesamt eine tragfähige Grundlage" dafür sei, sagte Landesparteichef und Ministerpräsident Hendrik Wüst nach der Sitzung. Zwei Wochen nach der Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland wollen die beiden Wahlsieger keine Zeit verlieren: Schon am Dienstag sollen die Gespräche in Düsseldorf starten.

Die CDU hatte bei der Wahl mit 35,7 Prozent die meisten Stimmen bekommen - sogar mit ungewöhnlich starken neun Punkten Abstand auf die mit historischem Tiefstwert abgestrafte NRW-SPD. Die sehr selbstbewusst auftretenden Grünen haben ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2017 auf 18,2 Prozent fast verdreifacht.

Während die CDU mit ihrem rund 100-köpfigen erweiterten Landesvorstand in ihrer Düsseldorfer Parteizentrale hinter verschlossenen Türen tagte, diskutierten die Grünen bei einem kleinen Parteitag in Essen auf offener Bühne. Doch eine große kontroverse Redeschlacht blieb aus.

Lob von den Grünen

Selbst die kritische Grünen-Landtagsfraktionschefin Verena Schäffer, die NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im Parlament häufig in die Zange nimmt, lobte das von insgesamt 22 Landespolitikern beider Seiten erarbeitete Sondierungsergebnis nahezu überschwänglich: "Als Bürgerrechtlerin, als Innenpolitikerin stehe ich voll und ganz hinter diesem Papier, weil es wirklich gut ist."

Weder Wüst noch Reul, die ebenso wie Schäffer der Sondierungsdelegation angehörten, wollten sich dazu äußern, ob die innere Sicherheit - oder andere Resorts wie etwa Schule, Klimaschutz, Verkehrspolitik - bislang "Knackpunkte" gewesen seien. "Natürlich haben wir uns aufeinander zubewegt", sagte Wüst, betonte aber vor allem die Gemeinsamkeiten. Die CDU wolle ihre Verantwortung wahrnehmen, "eine stabile Regierung für Nordrhein-Westfalen zu bilden".

Auch die Parteichefin und Spitzenkandidatin der Grünen, Mona Neubaur, deren politisches Gewicht durch den großen Wahlerfolg innerparteilich enorm gewachsen ist, sparte nicht mit werbenden Worten an ihre Basis. "Was jetzt als Chance vor uns liegt, ist, dass wir uns mit einer CDU über einer Brücke die Hand reichen und lagerübergreifende Lösungen finden", betonte sie nachdrücklich vor rund 100 Delegierten in Essen.

Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die Klimakrise seien zwar nicht die sonnigsten Zeiten, um Verantwortung zu übernehmen. Die Grünen - die in NRW seit 1995, mit Unterbrechungen, mehreren rot-grünen Koalitionen angehört hatten - seien aber bereit. "Und ehrlich gesagt haben wir auch alle richtig Bock darauf", sagte Neubaur.

Kritik von der Grünen Jugend

Die meisten Delegierten folgten ihr in dieser Einschätzung. Laute Kritik gab es, wie erwartet, lediglich von der Grünen Jugend. "Wollen wir das Klima retten, die Verkehrswende bezahlen und für bezahlbaren Wohnraum sorgen, brauchen wir Geld", stellte ihre Landessprecherin Nicola Dichant fest. "Dieses Geld wollen wir als Grüne Jugend sehen - konkret und fundiert ausformuliert."

Weil das bislang nicht der Fall sei, könne die Jugendorganisation den Koalitionsverhandlungen nicht zustimmen. Am Ende fiel der Protest in dem einst als ausgesprochen links verorteten Landesverband aber eher brav aus: sieben Enthaltungen, keine Gegenstimmen.

Die bislang vor allem als Kontrahenten im Parlament und Wahlkampf aufgetretenen beiden Parteien werden in den kommenden Wochen allerdings noch viel Konkretes liefern müssen, um ihre skizzierten Absichten zu unterlegen. Ein klimaneutrales Industrieland soll NRW werden, weniger Flächen verbrauchen, alle Kinder optimal mit modernster digitaler Technik fördern und in Ausbildung bringen. Doch 14 Überschriften in dem mit hehren Zielen gefüllten Sondierungspapier verlangen nach Konzepten, Haushaltszahlen, verbindlichen Umsetzungsdaten.

Da dürfte der Teufel noch im Detail liegen - nicht zuletzt im Kapitel "Finanzen", das nicht weniger postuliert als die Schuldenbremse einzuhalten, aber "gleichzeitig konsequent und nachhaltig" in Bildung, Infrastruktur, sozialen Zusammenhalt und Klimaschutz zu investieren.

Grünen-Fraktionschefin Schäffer schwant bereits: "Da liegt noch eine Menge Arbeit vor uns." Allerdings gab es von beiden Schauplätzen am Wochenende so gut wie keine realistischen Perspektiven für den unterlegenen SPD-Spitzenkandidaten Thomas Kutschaty, dass Schwarz-Grün die Hürden nicht nehmen und eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP in Nordrhein-Westfalen doch noch kommen könnte.

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