Berlin. Am Donnerstag entscheidet die zuständige EU-Behörde über die weitere Verwendung des Astrazeneca-Impfstoffs. Erst danach soll geklärt werden, wie es mit den Corona-Impfungen in Deutschland weitergeht.

Der kurzfristig abgesagte Impfgipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird wohl noch in dieser Woche nachgeholt.

Die Telefonkonferenz mit den Regierungschefs der Bundesländer werde zeitnah stattfinden - "möglicherweise schon am Freitag", sagte ein Regierungssprecher am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Dann dürfte auch die Einschätzung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Sicherheit des Impfstoffs von Astrazeneca vorliegen.

Wegen möglicher Gesundheitsrisiken sind Impfungen mit dem Astrazeneca-Stoff in Deutschland seit Montag ausgesetzt. Dies hatte auch zur Absage des eigentlich für diesen Mittwoch geplanten Impfgipfels geführt. Die Vertagung - zunächst sogar ohne neuen Termin - hatte bei der Opposition für Empörung gesorgt.

Von einer "schweren Fehlentscheidung" sprach etwa der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. "Unsere Forderung ist es, dass der Impfgipfel umgehend stattfindet." Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Genau in solch unklaren Situationen braucht es dringend mehr Austausch und Koordination." Ähnlich äußerte sich Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte: "Wann, wenn nicht jetzt, muss über das Impfdebakel gesprochen werden?"

Bei den Bund-Länder-Beratungen soll es vor allem um die Frage gehen, wann auch Hausärzte auf breiter Front mitimpfen. Ursprünglich war dies spätestens für die Woche nach dem 19. April vorgesehen - dies ist nun aber ungewiss. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Impfungen mit Astrazeneca am Montag vorsichtshalber gestoppt. Hintergrund waren Berichte über Blutgerinnsel in zeitlichem Zusammenhang mit dem Impfprozess. Auch viele andere europäische Länder spritzen den Stoff des britisch-schwedischen Herstellers derzeit nicht mehr.

Die EMA in Amsterdam will am Donnerstag eine Empfehlung zur weiteren Verwendung abgeben. Bis zum Abschluss der laufenden Untersuchungen hält EMA-Chefin Emer Cooke den Nutzen des Astrazeneca-Produkts allerdings für größer als die Gefahren. Wenn man Millionen Menschen impfe, sei es unausweichlich, dass man anschließend seltene oder ernsthafte Vorkommnisse von Erkrankungen habe, sagte Cooke. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat offenbar keine Bedenken. Auf die Frage, ob sie sich den Astrazeneca-Impfstoff verabreichen lassen würde, antwortete ihr Sprecher: "Natürlich."

Vom Konkurrenten Biontech/Pfizer soll die Europäische Union kurzfristig weitere zehn Millionen Dosen Impfstoff bekommen. Damit seien allein von diesem Hersteller im zweiten Quartal insgesamt 200 Millionen Impfdosen für die 27 EU-Staaten zu erwarten, teilte von der Leyen mit.

In Deutschland hatte das für die Impfstoff-Sicherheit zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) eine Aussetzung der Impfungen mit Astrazeneca empfohlen. "Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger wollen sich darauf verlassen, dass die Impfstoffe, die wir anbieten, sicher sind und wirksam sind", sagte Präsident Klaus Cichutek in der ARD.

Nach Angaben aus dem Gesundheitsministerium wurden in Deutschland bis Dienstagabend insgesamt acht Fälle mit Thrombosen (Blutgerinnseln) der Hirnvenen in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung gemeldet. Zuvor war nur von sieben Fällen die Rede gewesen, davon drei mit tödlichem Ausgang. Die Zahl der Fälle ist demnach statistisch signifikant höher als in der Bevölkerung ohne Impfung.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: "Wenn Astrazeneca ganz ausfallen würde, wäre es für Europa eine ganz bittere Sache." Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hält einen Zusammenhang zwischen den Astrazeneca-Impfungen und den Thrombosen für sehr wahrscheinlich, plädierte in der ARD aber trotzdem für eine Fortsetzung. Seine Fraktionskollegin Bärbel Bas widersprach mit Hinweis auf das Paul-Ehrlich-Institut. "Wenn es empfiehlt, Impfungen mit Astrazeneca auszusetzen, dann sollte man dem folgen", sagte Bas dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hofft auf eine weitere Nutzung des umstrittenen Impfstoffs. Die Entscheidung darüber dürfe aber nicht politisch getroffen werden, sondern müsse rein fachlich sein. Unter Medizinern gibt es jedoch ebenfalls keine einheitliche Meinung. Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, warb idafür, die Impfungen parallel zur Überprüfung der Einzelfälle fortzusetzen. Der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, sagte hingegen dem RND, er könne nachvollziehen, dass man prüfe, bevor man weiter impfe.

Auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, nahm Spahn in Schutz. "Hätte er sich als Gesundheitsminister über die fachliche Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts hinwegsetzen sollen?", fragte Gassen im "Handelsblatt". Allein im Hochinzidenzland Thüringen fallen durch den Impfstopp allerdings täglich rund 2800 Impftermine aus. In Berlin entsteht nach Worten des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) ebenfalls eine "Riesenlücke".

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