Im April 2019 begann in München der Terrorprozess gegen Jennifer W. Jetzt hat die Angeklagte ihr Schweigen gebrochen und sich erstmals zu den grauenvollen Vorwürfen geäußert.

München (dpa) – Fast zwei Jahre hat sie geschwiegen – jetzt hat die mutmaßliche IS-Terroristin Jennifer W. sich erstmals zu den grausigen Vorwürfen gegen sie geäußert.

Sie räumt die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ein, wie ihre Anwältin Seda Başay-Yıldız am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht (OLG) München betont. Auch zu dem furchtbaren Verdacht, sie habe dabei zugesehen, wie ein kleines, jesidisches Mädchen ungeschützt in praller Sonne verdurstete, nimmt sie in einer persönlichen Erklärung Stellung. Die Verlesung verfolgt die zierliche und sehr stille junge Frau regungs-, fast teilnahmslos.

Temperaturen von 45 Grad sollen im irakischen Falludscha geherrscht haben, als die kleine Rania starb. Angekettet in der prallen Sonne, ohne Wasser der sengenden Hitze ausgesetzt, so der grauenvolle Vorwurf der Bundesanwaltschaft, verdurstete das erst fünf Jahre alte Kind. Das kleine Mädchen gehörte der vom Islamischen Staat (IS) systematisch verfolgten Religionsgemeinschaft der Jesiden an. Das Kind soll aus einer Gruppe jesidischer Kriegsgefangener gekauft und als Sklavin gehalten worden sein. Laut Anklage war die Fünfjährige krank und hatte ins Bett gemacht. In der Sonne angekettet zu werden, sei die Strafe dafür gewesen.

Jennifer W. sieht den Vorfall, den sie in ihrer Einlassung mit der Überschrift "Der Tag" versehen hat, anders: "Nie kam es zu Bestrafungen mit der Sonne", betont sie. Zwar habe Rania an dem Tag ins Bett gemacht, ihr Mann habe sie aber ausgesperrt, weil sie sich nicht daran gehalten habe, im Hof zu bleiben, bis sie ihre Sachen gewaschen habe. Das Kind habe lernen sollen "zu hören". Als sie dennoch immer wieder an die Tür kam, habe er sie daher gefesselt. "Ihre Hände waren vorne an den Handgelenken zusammengebunden", sagt die Angeklagte. "Ich wollte ihr natürlich auf der Stelle helfen, wusste aber nicht, wie."

Sie habe gemerkt, dass es immer heißer und die Sonne stärker wurde. Darum habe sie versucht, ihren Mann, der mit seinem Handy beschäftigt gewesen sei, dazu zu bewegen, das Kind wieder ins Haus zu holen. Er sei aber aggressiv geworden, habe gesagt, das Ganze gehe sie nichts an. Immer wieder habe sie ihn gebeten, das Mädchen wieder reinzulassen. Sie habe währenddessen geputzt und mehrmals nach dem Kind geschaut. Sie sei "erschrocken, wie schnell sich ihr Zustand verschlechtert hatte".

Erst als die Kleine zusammensackte, sei er zu ihr gelaufen und habe sie losgebunden. Weil sie leblos blieb, sei er mit ihr aus dem Haus gelaufen und zu einem Krankenhaus gefahren. "Ich war geschockt", hieß es in der Erklärung der Angeklagten. Sie habe geweint und nicht schlafen können.

Bei seiner Rückkehr einige Tage später habe ihr Mann nicht gesagt, dass Rania gestorben sei, hieß es in der Erklärung der Angeklagten. Kurz nach diesem Ereignis sei das Paar aus dem Irak in die Türkei gereist. Von dort aus wurde Jennifer W. nach Deutschland abgeschoben, bei einem erneuten Ausreiseversuch Jahre später wurde sie dann festgenommen und schließlich angeklagt.

"Niemand hat je ein totes Kind gesehen", sagt Anwältin Başay-Yıldız. Auch nicht die Mutter des Mädchens, die als Hauptzeugin im Prozess ausgesagt, allerdings auch widersprüchliche Angaben gemacht hatte. Was die beiden Frauen gesehen hätten, sei ein Kind, das ins Krankenhaus gebracht wurde. Zwar habe Jennifer W. gewusst, dass Rania und Nora, die sie für ihre Tante und nicht die Mutter gehalten habe, Jesidinnen gewesen seien, sie sei aber davon ausgegangen, dass sie zum Islam konvertiert seien. Ihre Mandantin habe "kein Problem" mit Jesiden, so die Verteidigung.

Die 29 Jahre alte Frau aus Lohne in Niedersachsen ist wegen Mordes durch Unterlassen, Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Kriegsverbrechen angeklagt. Ihr damaliger Ehemann, der das Kind in der Sonne angekettet haben soll, steht in Frankfurt vor Gericht.

Der Prozess gegen Jennifer W. hatte 2019 Schlagzeilen gemacht, auch weil eine äußerst prominente Anwältin anfangs eine zentrale Rolle spielt: die Menschenrechtsexpertin Amal Clooney, die die Nebenklägerin und mutmaßliche Mutter des getöteten Mädchens vertritt, vor Gericht in München aber nie erschien. Vor dem Prozess ließ sie in einer gemeinsamen Erklärung der Nebenklage und der jesidischen Organisation Yazda verlauten: "Jesidische Opfer warten schon viel zu lange auf ihre Gelegenheit, vor Gericht auszusagen."

Der Prozess sollte eigentlich längst beendet sein. Doch erst Mitte Februar hatte das Gericht neue Prozesstermine angesetzt. Das Urteil könnte demnach womöglich am 18. Juni fallen - zwei Jahre und zwei Monate nach Prozessbeginn.

© dpa-infocom, dpa:210310-99-761542/5