Berlin. Schon vor Wochen hatte die Bundeskanzlerin harte Corona-Wintermonate vorausgesagt. Jetzt zeigt sich: Mit den bisherigen Einschränkungen lassen sich die Infektionszahlen nicht nach unten drücken. Und Weihnachten rückt näher. Für Angela Merkel gibt es nur eine Lösung.

Eine weitere Verschärfung des coronabedingten Teil-Lockdowns wird angesichts steigender Infektions- und Todeszahlen zunehmend wahrscheinlicher. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte am Mittwoch weitergehende Beschränkungen noch vor Weihnachten.

"Die Zahl der Kontakte ist zu hoch. Die Reduktion der Kontakte ist nicht ausreichend", warnte sie im Bundestag in der Generaldebatte zum Bundeshaushalt 2021. "Wir sind in einer entscheidenden, vielleicht in der entscheidenden Phase der Pandemie-Bekämpfung." Alarmiert ist die Kanzlerin unter anderem wegen eines neuen Höchststandes von 590 Todesfällen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.

Auch aus den Ländern wird der Ruf nach schärferen Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens lauter. Im Raum steht eine neue Schaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten, die allerdings wegen des EU-Gipfels in Brüssel an diesem Donnerstag und Freitag frühestens am Wochenende stattfinden könnte. Alle Seiten seien im Gespräch, sagte Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz in Berlin. Sie könne im Moment aber noch keinen Termin nennen.

Merkel betonte im Bundestag, selbst wenn man Länder mit sehr starkem Anstieg wie Sachsen herausrechne, gebe es einen Anstieg bei den Neuinfektionen. Und 590 Todesfälle am Tag seien nicht akzeptabel. "Und weil die Zahlen so sind, wie sie sind, müssen wir etwas tun, und zwar Bund und Länder gemeinsam." Es müsse verhindert werden, dass die Infektionszahlen wieder ein exponentielles Wachstum erreichen. Das Ziel heiße nicht, nach Tagen zu rechnen, sondern nach Resultat. "Sonst entgleitet uns die Pandemie wieder und wieder." Ziel bleibe es, auf 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen herunter zu kommen.

Die Kanzlerin stellte sich ausdrücklich hinter die Empfehlungen der Leopoldina vom Vortag. Die Politik tue gut daran, die Empfehlungen der Wissenschaft "auch wirklich ernst zu nehmen". Die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina hatte gefordert, die Feiertage und den Jahreswechsel für einen harten Lockdown zu nutzen. In einem ersten Schritt sollten Kinder ab dem 14. Dezember nicht mehr in die Schulen gehen, möglich seien Aufgaben zu Hause. Vom 24. Dezember bis mindestens zum 10. Januar 2021 sollte dann in ganz Deutschland das öffentliche Leben weitgehend ruhen, auch Geschäfte außer für den täglichen Bedarf sollten geschlossen bleiben.

Merkel betonte, wenn die Wissenschaft "uns geradezu anfleht", vor Weihnachten und vor dem Besuch bei den Großeltern eine Woche Kontaktreduzierung vorzunehmen, dann müsse man noch einmal darüber nachdenken, die Schulferien schon vor dem 19. Dezember beginnen zu lassen.

Am Vortag hatte schon das von der zweiten Corona-Welle besonders hart getroffene Land Sachsen eine Verschärfung der Schutzmaßnahmen angekündigt. Am Mittwoch plädierte auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig dafür, deren Land bislang vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen ist. "Auch Mecklenburg-Vorpommern bekommt die zweite Welle heftig ab und wir müssen uns weiter gegen diese zweite Welle rüsten", sagte die SPD-Politikerin im Landtag in Schwerin. Sie plädierte dafür, "dass sich die Kanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder noch möglichst in dieser Woche beraten, wie wir zu strengeren Maßnahmen kommen".

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt appellierte im Bundestag an die Länder: "Setzen Sie sich mit dem Bund zusammen und finden Sie vor Weihnachten Lösungen, wie wir die Kontakte reduzieren können." Anderenfalls drohe die Gefahr, dass das Virus an den Feiertagen bei der älteren Generation eingeschleppt werde.

In der Debatte verteidigte Merkel die hohe Neuverschuldung von fast 180 Milliarden Euro im Haushalt. In dieser besonderen Situation der Pandemie müsse der Staat auch besonders handeln, sagte sie. "Und das drückt dieser Haushalt aus."

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner kritisierte dagegen die Höhe der Neuverschuldung als völlig überzogen. Es sei möglich, diese zu halbieren - "und zwar ohne Voodoo und Zaubertricks". Deutschland dürfe nicht mehr Schulden machen als unbedingt notwendig und müsse so Stabilitätsanker in der Europäischen Union bleiben. "Wir haben eine fiskalische Vorbildfunktion für Andere in Europa", sagte der FDP-Fraktionschef: "Die Corona-Krise darf nicht der Ausgangspunkt der nächsten Euro-Schuldenkrise werden." Lindner forderte auch mehr Berechenbarkeit der staatlichen Strategie in der Corona-Krise.

Die AfD stellte sich strikt gegen die staatliche Corona-Politik. "Auch nach einem Dreivierteljahr stochern Sie immer noch im Nebel und klammern sich an die untaugliche Holzhammermethode "Lockdown", die mehr Kollateralschäden anrichtet als Nutzen im Kampf gegen das Coronavirus", sagte Fraktionschefin Alice Weidel an die Adresse der Bundesregierung.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte, einen "klaren Stufenplan" für den Kampf gegen die Pandemie und klare gesellschaftliche Prioritäten. "Von einer Ministerpräsidentenrunde zur nächsten uns zu hangeln, das kann so nicht weitergehen." Baerbock verlangte ferner, die Corona-Krise und die Hilfspakete für ein Umsteuern in der Politik zu nutzen. "Mit den Milliardenpaketen muss jetzt auch der Grundstein dafür gelegt werden, dass es in Zukunft besser wird." So müsse man etwa im Gesundheitssystem stärker auf Vorsorge setzen und die nötigen Milliardenhilfen für die Wirtschaft nutzen, um eine drastische Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen zu erreichen.

Die Linke warf der Bundesregierung eine falsche Prioritätensetzung bei den Staatsausgaben vor. "Ihre Politik, die treibt seit Jahren den Keil der sozialen Spaltung immer tiefer in unsere Gesellschaft, und so machen Sie auch in dieser Pandemie weiter", sagte Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. Sie erneuerte die Forderung der Linken nach einer einmaligen Vermögensabgabe für "Superreiche, Multimillionäre und Milliardäre" in der Corona-Krise.

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