Berlin. Die Bundesregierung will, dass deutsche Unternehmen die Standards bei Menschenrechten auch bei ihren Zulieferern im Ausland beachten. Doch das Prinzip Freiwilligkeit gerät nach einer neuen Befragung unter Druck. Viele Unternehmen antworten der Regierung nicht einmal.

Ausbeuterische Kinderarbeit, Hungerlöhne, Umweltschäden: Seit langem werden die Produktionsbedingungen in Entwicklungsländern in Afrika oder Asien angeprangert.

Oft als Billigprodukte landen Schokolade, Schuhe, Kleidung oder Kaffee in deutschen Läden. Doch wie verantwortlich sind deutsche Unternehmen für Missstände bei oft unübersichtlichen Lieferketten?

Bisher gibt es freiwillige Selbstverpflichtungen - die reichen aber nicht aus, sind Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) überzeugt. Sie wollen nun gesetzliche Vorhaben erreichen. "Es ist Zeit zu handeln", sagte Müller am Dienstag in Berlin.

Hintergrund ist eine erneute Befragung von deutschen Firmen. Konkret meldeten von rund 2250 befragten Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten nur 455 Firmen gültige Antworten zurück. Es habe 91 "Erfüller" gegeben, die die Standards einhalten, sagte Müller. "Die Erfüllerquote liegt bei 22 Prozent. Bei der ersten Befragung lag sie bei 18 Prozent." Der Prozess sei damit "kläglich gescheitert".

Worum es geht, zeigt Müller an Beispielen: Er hält eine Jeans hoch, die er von einer Reise aus Bangladesch mitgebracht hat - produziert nach fairen Kriterien, Kosten: 7 Euro im Einkauf. Ohne diese Standards koste die Jeans für den Handel im Einkauf 5 Euro. Dann geht es um Teebeutel aus Indien, Müller war auch dort unterwegs. Die Teebeutel würden produziert wie in "Kolonialzeiten", die Frauen in der Produktion dort arbeiteten 12 Stunden täglich in der Hitze und verdienten 1 Dollar pro Tag. Der Teebeutel koste dann in deutschen Läden 1,5 Cent - würde er 2 Cent kosten, würde das viel ändern vor Ort. Und bei Besuchen habe er Zustände erlebt wie in einer frühkapitalistischen Hölle: "Da standen Frauen in Chemikalien, da gab es keinen Atemschutz."

Müller klagt an, spricht von einer "dramatischen" Ausbeutung von Mensch und Natur in Entwicklungsländern: "Wenn ich es nicht weiß, tut es nicht weh - das gilt nicht mehr." Heil sagt, der Wohlstand in Deutschland und anderen Industrieländern könne nicht zu Lasten dieser Länder gehen: "An Verantwortung für Menschenrechte geht kein Weg vorbei."

Bis August schon wollen die beiden Minister nun Eckpunkte für ein Gesetz ins Kabinett bringen. Damit sollen größere Firmen dafür verantwortlich gemacht werden, dass entlang der globalen Lieferkette soziale und ökologische Mindeststandards eingehalten werden. Oder wie Heil es ausdrückt: es soll sichergestellt werden, dass die Schokolade, die in Deutschland in den Einkaufswagen kommt, fair hergestellt wird. Bei Verstößen sollen deutsche Firmen auch haften.

Müller und Heil pochen auf Absprachen im Koalitionsvertrag. Dieser sieht vor: zeigt sich in einer Überprüfung, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werde die Koalition national gesetzlich tätig - und werde sich für eine EU-weite Regelung einsetzen. Allerdings: Ein Gesetz ist in der schwarz-roten Koalition auch vor dem Hintergrund der Corona-Krise umstritten - es droht nun also Streit in der Bundesregierung.

Vor allem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gilt als skeptisch und befürchtet Belastungen für deutsche Firmen im internationalen Wettbewerb - gerade zu Corona-Zeiten. Altmaier sagte, die Ergebnisse würden nun jetzt von der gesamten Bundesregierung sorgfältig analysiert. "Wir werden genau prüfen, welche Lücken es gibt und wie wir unsere deutsche Ratspräsidentschaft nutzen können, um EU-weit zu einer verantwortungsvollen Gestaltung von Liefer- und Wertschöpfungsketten zu kommen. Ich setze mich für eine zügige europäische Lösung ein, um einen nationalen Flickenteppich und die damit verbundenen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU zu vermeiden."

Spitzenverbände der Wirtschaft laufen Sturm gegen ein nationales Lieferkettengesetz. In einer Erklärung hieß es auch unter Verweis auf die Corona-Krise, "nationale Sonderwege mit nationalen Belastungen" müssten vermieden werden, um die ohnehin schwierige Wirtschaftserholung nicht noch mehr zu verzögern.

Die deutsche Wirtschaft verhalte sich bei ihren Aktivitäten im Ausland vorbildlich und fühle sich auch dort den Menschenrechten verpflichtet, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, im Deutschlandfunk. "Da hat sich in den letzten 10, 15 Jahren enormes getan, und die deutschen Unternehmen sind da an der Spitze." Es sei aber problematisch, wenn Unternehmen für Missstände aufkommen müssten, die auf Dritte zurückzuführen seien und nicht in ihrem eigenen Verschulden lägen. Dies sei unter keinen Umständen zu akzeptieren.

Heil machte allerdings deutlich, man werde nichts Unmögliches von den Firmen verlangen. Es gehe nicht darum, sie für etwas haften lassen, für das sie nicht verantwortlich seien. Und das Gesetz solle nur gelten für größere Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten.

Der Minister verwies auch auf eine Reihe von Unternehmen, die sich für verbindliche Vorgaben einsetzen - darunter Hapag-Lloyd, Nestlé Deutschland, Ritter Sport und Tchibo. Sie hatten sich bereits Ende des vergangenen Jahres in einer Erklärung für gesetzliche Regelungen stark gemacht.

Verbraucher würden von verpflichtenden Mindeststandards bei Menschenrechten und Umweltschutz profitieren, ist Expertin Kathrin Krause vom Verbraucherzentrale Bundesverband überzeugt: "Als Verbraucher muss ich mich darauf verlassen können, dass mein Einkauf keine Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörungen fördert."

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