Bonn/Hannover. Jedes Jahr werden die beiden großen Kirchen in Deutschland etwas kleiner. Diesmal ist aber auffällig, dass die Zahl der Austritte stark gestiegen ist, besonders bei den Katholiken. Dafür dürfte es einen sehr konkreten Grund geben.

Die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland ist im vergangenen Jahr gestiegen. 216.000 Menschen hätten 2018 die katholische Kirche verlassen, teilte die Deutsche Bischofskonferenz am Freitag in Bonn mit.

Das sind 29 Prozent mehr Austritte als 2017. Insgesamt sank die Zahl der Katholiken in Deutschland im vergangenen Jahr um gut 300.000 auf 23 Millionen.

Bei den Protestanten traten 220.000 Menschen aus der Kirche aus, 11,6 Prozent mehr als 2017, teilte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover mit. Die Gesamtzahl der Protestanten verringerte sich um 1,8 Prozent auf gut 21 Millionen. Zu den Austritten kommen immer auch noch Sterbefälle und auf der anderen Seite Eintritte und Taufen. Durch die positive Entwicklung der Löhne und Einkommen sei das Kirchensteueraufkommen 2018 trotz des Rückgangs leicht auf 5,79 Milliarden Euro gestiegen.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sagte dazu, jeder Austritt schmerze. Allerdings könne man sich heute anders als früher völlig frei entscheiden, ob man in der Kirche bleiben wolle. "Wir sind dankbar für die vielen Menschen, die sich heute aus Überzeugung für die Mitgliedschaft in ihrer Kirche entscheiden."

Auf katholischer Seite bezeichnete der Sekretär der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, die Entwicklung als "besorgniserregend". Ein Grund für die gestiegene Zahl der Austritte sei sicher die im September veröffentlichte Missbrauchsstudie.

Dadurch sei eine große Debatte ausgelöst worden. "Viele glauben uns nicht mehr, dass wir konsequent und entschlossen gegen Täter vorgehen", erläuterte Langendörfer der Deutschen Presse-Agentur. Der Bischof von Münster, Felix Genn, sagte, nach der Veröffentlichung der Studie hätten viele wohl gedacht: "Jetzt reicht es mir endgültig." Die katholische Reformbewegung "Wir sind Kirche" bezeichnete die Austrittszahlen als "erschütternd".

Nach einer Projektionsstudie der Universität Freiburg werden die Mitgliederzahlen beider Kirchen bis 2060 um rund die Hälfte zurückgehen. Der Kirchenrechtsexperte Thomas Schüller betonte, Kirchenaustritte seien "kein Naturphänomen, sondern Ausdruck einer Entfremdung der Gläubigen von der Kirche und einer Glaubwürdigkeitskrise der Kirche selbst".

Der Kriminologe Christian Pfeiffer, selbst evangelischer Christ, regte eine Diskussion über die Kirchensteuer an. So seien die Kirchen in den USA - wo es keine Kirchensteuer gebe - viel lebendiger, sagte Pfeiffer der dpa. "Ein Grund dafür ist mit Sicherheit, dass sie es sich dort nicht auf dem Ruhekissen der Kirchensteuer bequem machen können." Sie müssten etwas unternehmen. "In Deutschland dagegen verlangweilen sich die Kirchen immer mehr. Die Pfarrer sind quasi verbeamtet. Vielleicht wäre es ein Befreiungsschlag, wenn sie sich von der Kirchensteuer befreien würden."