Berlin. Der Terroranschlag mit einem Lastwagen war für Anis Amri nur der Plan B. Ursprünglich wollte er zusammen mit anderen Islamisten eine Bombe an einem belebten Ort zünden. Das verhinderte - eher zufällig - die Polizei.

Der spätere Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri soll 2016 ein Berliner Einkaufszentrum als Ziel für einen Sprengstoffanschlag ausgespäht haben. Das geht aus Unterlagen von Ermittlern hervor, die das ARD-Magazin "Kontraste", die "Berliner Morgenpost" und der RBB einsehen konnten.

Dass Amri gemeinsam mit einem französischen Islamisten und dem inzwischen in Deutschland angeklagten Kaukasus-Russen Magomed-Ali C. ein Sprengstoffattentat geplant hatte, ist schon länger bekannt. Neu ist aber, dass der inzwischen in Frankreich inhaftierte Clément B. damals bei Instagram ein Foto des "Gesundbrunnen-Centers" eingestellt hatte. Amri soll sich einen Tag später länger in dem Einkaufszentrum aufgehalten haben, wie eine Auswertung der Standortdaten seines Handys ergab.

Das Terror-Trio ließ von dem Sprengstoff-Plan dann doch ab. Und zwar weil die Polizei dem Islamisten aus Dagestan im Oktober 2016 einen Besuch abstattete. Allerdings nur um ihm zu sagen, dass man ihn als radikalen Islamisten auf dem Schirm habe.

Dass in der Wohnung Material für eine Bombe lagerte, wusste die Berliner Polizei damals nach eigener Aussage nicht. Was aus dem Sprengstoff wurde, ist unbekannt. Amri kaperte am 19. Dezember 2016 einen Lastwagen, raste auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche und tötete insgesamt zwölf Menschen.

"Es wird einem schon mulmig zumute, wenn man über die potenziellen Auswirkungen eines Sprengstoffattentats am Berliner Gesundbrunnen nachdenkt", sagte die Grünen-Obfrau im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz, Irene Mihalic. Der Hinweis, dass eine koordinierte Anschlagserie in Berlin, Paris und Brüssel geplant worden sei, zeige zudem, dass gerade die europäische Vernetzung des islamistischen Terrorismus "noch erschreckend unterbelichtet ist".

Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser sagte, von der "Einzeltäterthese", die alle Ermittlungen nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz dominiert habe, sei nun nichts mehr übrig.

Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervorgeht, funktioniert der Austausch von Daten über islamistische Gefährder in Europa bis heute nur lückenhaft. Darin heißt es, die Übermittlung von Erkenntnissen "zu staatsschutzrelevantem Personenpotential von anderen EU-Mitgliedstaaten an Deutschland" erfolge auf Grundlage der dort geltenden Gesetze "und liegt in alleiniger Zuständigkeit des jeweiligen Staates".

Häufig kommt es erst nach einem Anschlag zu einer Übermittlung von Informationen. So erhielt das Bundeskriminalamt erst am Abend des 11. Dezembers 2018 Kenntnis darüber, dass der Attentäter Chérif Chekatt in Frankreich in einer Datei radikaler Islamisten geführt worden war. Chekatt hatte kurz zuvor in Straßburg fünf Menschen getötet. Vom Amtsgericht Singen war der Franzose im Oktober 2016 wegen schweren Diebstahls zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ende Februar 2017 wurde er nach Frankreich abgeschoben.

Wenig ergiebig war für den Amri-Untersuchungsausschuss am Donnerstagabend die nicht-öffentliche Vernehmung eines Dealers, der zusammen mit Amri in Berlin Drogen verkauft hatte. Der Tunesier, der wegen Drogenhandels im Gefängnis sitzt und demnächst abgeschoben werden soll, erschien den Mitgliedern des Ausschusses wenig glaubwürdig. Er behauptete nach Angaben von Teilnehmern der Sitzung, er habe von Amris Terrorplänen und dessen Begeisterung für die Ideologie der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) nichts gewusst.

Der Ausschuss möchte auch den im Februar 2017 abgeschobenen Tunesier Bilal Ben Ammar vernehmen. Er hatte sich am Vorabend des Anschlags mit Amri getroffen. Für den Tag des Anschlags hat er kein Alibi.

Aus Unterlagen der tunesischen Justiz, über die "Zeit Online" zuerst berichtete, geht hervor, dass Ben Ammar am 15. Juni 2017 und am 11. September des selben Jahres in seiner Heimat zu Terrorvorwürfen vernommen wurde. Er räumte ein, in einer deutschen Flüchtlingsunterkunft Kokain und Haschisch verkauft zu haben. Eine Beteiligung an der Finanzierung und Planung von terroristischen Aktivitäten stritt er ab. Er sagte, sein Treffen mit Amri in einem Restaurant am Vorabend des Anschlags habe nur dem Ziel gedient, Drogen zu übergeben.

Die Ermittler hielten ihm außerdem die Aussage eines anderen tunesischen Verdächtigen vor, der laut Vernehmungsprotokoll erklärt hatte, er habe gemeinsam mit Ben Ammar und zwei weiteren Tunesiern in das syrische IS-Gebiet reisen wollen. Der Imam einer Moschee in Berlin-Tempelhof habe ihnen Geld für die Reise gegeben. Ben Ammar stritt auch dies ab.

Wo sich Ben Ammar zur Zeit aufhält, ist nach Angaben des tunesischen Justizministeriums nicht bekannt. Der Bundesnachrichtendienst soll jedoch im März 2018 einen Hinweis erhalten haben, wonach er in Tunesien zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.