Berlin. Der Bundesrechnungshof beklagt massive Steuerausfälle im Onlinehandel. Präsident Scheller hinterfragt auch Gehälter der Bahn-Manager.

Der Bundesrechnungshof in Bonn kontrolliert nicht nur die Ausgaben des Bundes, sondern spricht auch Missstände im Umgang mit Steuergeldern an. Behördenchef Kay Scheller genießt richterliche Unabhängigkeit.

Herr Scheller, Sie sind der Chefcontroller der Bundesregierung. Wie hat der Bund in diesem Jahr gewirtschaftet?

Kay Scheller: Der Bund hat zum vierten Mal in Folge die schwarze Null erreicht. Die Einnahmen decken die Ausgaben ab. Das ist eine gute Bilanz, auch weil die Umstände günstig sind. Die Konsolidierung gelingt anstrengungslos. Die Effekte kommen von außen. Schließlich haben sich die Zinslasten seit 2008 halbiert, und die Steuereinnahmen sprudeln. Auch der Arbeitsmarkt ist stabil und die Ausgaben für Arbeitssuchende sind geringer als noch vor Jahren.

Wie viel Verlass ist auf diese bequeme Situation?

Die Zinslasten können sich schnell wieder ändern, wenn das Zinsniveau steigt. Jetzt wäre die beste Ausgangsposition, um Altschulden zu tilgen. Der Bund könnte damit viel mehr für die kommenden Generationen tun.

Damit die guten Einnahmen auch künftig gesichert sind, ist eine agile Steuerverwaltung vonnöten. Ist der Staat hier gut aufgestellt?

Die Steuerverwaltung ist nicht überall gut aufgestellt. Wir stellen immer wieder Mängel bei der IT fest. Dann gibt es ganze Felder, in denen die Steuerverwaltung auf Einnahmen verzichtet. Besonders beim internationalen Handel im Internet entgehen dem Staat Steuereinnahmen. Hier geht es um einen Milliardenmarkt. Doch der Bund hat 2013 gerade mal 28 Millionen Euro verbucht. Daran sehen wir: Das Internet ist eine Steueroase. Wir können nur ahnen, wie groß der Markt wirklich ist.

Durch den internationalen Handel im Internet gingen dem Staat erhebliche Steuereinnahmen verloren, kritisiert der Bundesrechnungshof.
Durch den internationalen Handel im Internet gingen dem Staat erhebliche Steuereinnahmen verloren, kritisiert der Bundesrechnungshof. © imago/Eibner | imago stock&people

Welche Bereiche im Onlinegeschäft meinen Sie konkret?

Betroffen ist etwa der Handel mit Software, Spielen, Musik, die als rein digitale Produkte verkauft werden. Es ist praktisch vom Belieben des Unternehmers abhängig, ob er die Produkte deklariert oder nicht. Beim Verkauf in Deutschland fallen 19 Prozent Umsatzsteuer an. Es findet aber keine steuerliche Kontrolle statt. Die Steuerausfälle dürften erheblich sein.

Warum findet keine Kontrolle statt?

Das Bundeszentralamt für Steuern hat bislang kaum Mittel, diesem Phänomen nachzugehen. Der Bund hat kein Konzept, um die notwendigen Fahndungseinheiten in Abstimmung mit den Ländern aufzubauen. Auch fehlen die geeigneten Werkzeuge für Ermittlungen im Internet. Der Staat muss wissen, wer hier eigentlich was verkauft. Ich verstehe auch nicht, warum die großen Wirtschaftsverbände nicht längst Alarm schlagen. Hier gerät doch der Wettbewerb in Schieflage.

Brauchen wir mehr Steuerfahnder?

Im Bereich des Onlinehandels brauchen wir zunächst eine Marktuntersuchung und dann ein Fahndungskonzept. Bei der Betriebsprüfung und der Lohnsteuer-Außenprüfung sehe ich die rückläufige Prüfungsquote kritisch. Hier gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Bei der Lohnsteuer-Außenprüfung haben wir in einigen Fällen festgestellt, dass die nachlassende Prüfungsquote mit einem Stellenabbau zusammenfiel. Hier müssen wir zu einer einheitlichen, von Standards geprägten Vorgehensweise kommen.

Sie haben vor Kurzem kritisiert, dass der Bund seiner Aufsichtspflicht bei seinen Beteiligungen nicht akribisch genug nachgeht. Die größte Beteiligung ist die Deutsche Bahn als 100-prozentige Tochter – und die macht Verluste.

In den kommenden vier Jahren soll die Deutsche Bahn AG 2,4 Milliarden Euro zusätzlich aus dem Bundeshaushalt erhalten: eine Kapitalerhöhung von einer Milliarde Euro und der Verzicht des Bundes auf seine Dividende. Die Bahn macht bei Ersatzinvestitionen des Bundes leider nicht ausreichend transparent, ob sie die Bundesmittel wirtschaftlich und sparsam einsetzt. Wir sehen sehr kritisch, dass hier jedes Jahr drei bis vier Milliarden Euro an Steuergeld in die Bahn fließen, ohne dass die Bahninfrastruktur wesentlich verbessert wird. Beispiel Eisenbahnbrücken. Die Zustandsbewertungen verschlechtern sich. Gleichzeitig nimmt das Durchschnittsalter zu.

Milliarden Euro an Steuergeldern fließen in die Bahn, ohne dass die Infrastruktur verbessert werde, bemängelt Rechnungshof-Präsident Kay Scheller.
Milliarden Euro an Steuergeldern fließen in die Bahn, ohne dass die Infrastruktur verbessert werde, bemängelt Rechnungshof-Präsident Kay Scheller. © dpa | Jan Woitas

Müsste das Bundesverkehrsministerium der Bahn mehr auf die Finger schauen?

Ja, wir fordern schon seit 2008 ein wirksames Vertragscontrolling durch das Bundesministerium, da die Zuwendungen des Bundes auf vertraglicher Grundlage an die Bahn gegeben werden. Natürlich muss bei der Bahn der Kosten-Nutzen-Aufwand stimmen. Im Rahmen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Bahn erwarten wir, dass die Bahn wirtschaftlich arbeitet. Kritisch sehe ich, dass der Bundesrechnungshof hier keine umfassenden Prüfungsrechte hat. Die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bahn können wir uns nicht anschauen.

Die Bahn hat im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro Verlust gemacht, sie hängt dauerhaft am Tropf des Bundes. Die Vorstände erhalten trotzdem Millionengehälter. Ist das dem Steuerzahler gegenüber zu rechtfertigen?

Der Bund ist zu 100 Prozent Eigner der Bahn. Das heißt, der Bund hat auch eine Verantwortung dafür, dass die Gehälter bei dem Staatsunternehmen maßvoll sein müssen. Ich habe volles Verständnis dafür, wenn diese Vergütungen diskutiert werden.

Erhebliche Zweifel an der Kosten-Nutzen-Rechnung gibt es auch an der Pkw-Maut von Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Wie bewerten Sie die Pläne?

Wir haben zur Kosten-Nutzen-Rechnung des Verkehrsministeriums keine eigenen Prüfungserkenntnisse. Wir sehen den Aufwand für die Kontrolle der Mauterhebung kritisch. Die Einnahmeprognose ist mit erheblichen Risiken verbunden. Wir bezweifeln auch den geplanten Einführungszeitpunkt im Jahr 2018.

Könnte die Pkw-Maut am Ende zu Ausweichverkehr auf Bundes- und Landesstraßen führen?

Wenn die Bedingungen der Pkw-Maut nicht stimmen, dann bekommen wir ein Problem mit dem Ausweichverkehr. So wie in Frankreich, wo regelmäßig die Mautstrecken umfahren werden, darf es bei uns nicht werden. Beim Lkw-Verkehr haben wir in Deutschland das Problem derzeit nicht. Zudem werden immer mehr Bundesstraßen mautpflichtig.