Berlin. Bilanz statt Aufbruch: Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nach der Ankündigung ihrer erneuten Kandidatur noch nicht im Angriffsmodus.

Eine bessere Bühne gibt es nicht: Drei Tage nach der Ankündigung Angela Merkels, wieder als Kanzlerkandidatin für die CDU antreten zu wollen, steht die Generaldebatte über den Haushalt 2017 im Bundestag an. Der traditionelle Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition bietet die beste Gelegenheit, die eigene Arbeit zu erklären, einen thematischen Aufbruch zu verkünden. Ideal für die Bundeskanzlerin, in den Wahlkampfmodus zu schalten und sich vom Koalitionspartner abzugrenzen.

Doch der Angriff auf den politischen Gegner fällt bei Merkel erstmal aus. Auch bahnbrechende Impulse für den „nicht einfachen Wahlkampf“ (Zitat Merkel) oder eine fundierte Erklärung der eigenen Regierungsarbeit gibt es am Mittwoch im Bundestag nicht. Stattdessen unternimmt die Regierungschefin in ihrer 40-minütigen Rede einen Schnelldurchlauf von der Außen- bis zur Sozialpolitik.

Merkel spricht frei, aber ohne große Emotionen

„Viele Menschen machen sich in diesen Tagen Sorgen um die Stabilität unserer so gewohnten Ordnung“, stellt Merkel nüchtern fest. Grundpfeiler des westlichen politischen Systems wie der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat, die soziale Marktwirtschaft und das Gewaltmonopol des Staates, seien nicht mehr so selbstverständlich „wie das eine Weile lang schien“. Für eine Frau, die seit 26 Jahren in der Politik ist, müsste diese Feststellung mehr als ein Alarmzeichen sein.

Doch die 62-Jährige beschränkt sich darauf, großen Linien für das Land aufzuzeigen: Achtung der Werte wie Freiheit und Recht – ohne den künftigen US-Präsidenten Donald Trump namentlich zu erwähnen. Den nötigen „Gesprächsfaden“ mit der Türkei, die Kritik an Russlands Kriegspolitik in Syrien, die Chancen der Globalisierung, die Notwendigkeit internationaler Handelsabkommen.

Die Probleme spart Merkel aus

Die CDU-Vorsitzende stellt das Positive heraus, will beruhigen: Deutschland als Bastion in unruhigen Zeiten, mit einer gesunden Wirtschaft, beherrschbaren Arbeitslosenzahlen und einem Haushalt der schwarzen Null. Ihr Fazit: „Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut wie im Augenblick“.

Kein Wort zur erstarkten rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD), der angespannten Lage der inneren Sicherheit, der zunehmenden Kluft zwischen den Gesellschaftsschichten, der ungeklärten Frage der Integration. Stattdessen spricht die Kanzlerin das Thema Digitalisierung an, es liegt ihr am Herzen. Dieser dramatische Wandel biete bei allen Sorgen auch Vorteile, sagt Merkel. Etwa, wenn etwas einfacher werde wie beim Autofahren. Doch es gelingt ihr nicht, das in einfache Sätze zu kleiden, „Disruptive Technologien in der Automobilindustrie und ihre Chancen“ – das muss man auf Marktplätzen erstmal übersetzen.

Flüchtlingspolitik kurz gestreift

Auch die veränderte Mediennutzung erwähnt sie. Es sei ein völlig anderes mediales Umfeld entstanden. „Wir müssen wissen: Um Menschen zu erreichen, um Menschen zu begeistern, müssen wir mit diesen Phänomen umgehen und – wo notwendig – sie auch regeln.“ Die Schülerinnen auf der Besuchertribüne schauen sich während dieser Ausführungen fragend an.

Die Flüchtlingspolitik, zuletzt das größte politische Projekt, wird mit einem Lob an die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen kurz gestreift. Sie kündigt einen harten Kurs denjenigen gegenüber an, die in Deutschland kein Asyl zugesprochen bekommen. Sie müssten das Land auch schnell wieder verlassen. Hier gibt es Beifall, auch von der SPD. Merkel spricht frei, wirkt für ihre Verhältnisse recht gelöst. Sie geht auf die Zwischenrufe etwa von der Linken ein. Doch die große, mitreißende Rede ist nun mal ihre Sache nicht. Das hat sich nicht geändert, auch mit dem vierten Wahlkampf vor Augen nicht. Es fehlt die direkte Ansprache an ihr Volk.

Harmonie in der großen Koalition

Doch Merkel ist die nicht die Einzige, die noch nicht auf Wahlkampf umgestellt hat. Die nach außen getragene Harmonie auf der Regierungsbank ist groß während der 202. Sitzung. Merkel und Noch-Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprechen lange miteinander, Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Finanzminister Wolfgang Schäuble studieren gemeinsam Akten. In Merkels Rede fällt kein böses Wort in Richtung Koalitionspartner, im Gegenteil, sie lobt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann.

Oppermann wiederum liefert sich das spannendste Wortgefecht an diesem Plenartag, ausgerechnet mit der Linken. Der derzeit einzigen Möglichkeit für die Sozialdemokraten, den Kanzler zu stellen. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht wirft der Regierung eine falsche Politik vor. „Offenbar hat ja selbst noch ein Donald Trump wirtschaftspolitisch mehr drauf als Sie.“ Oppermann hält dagegen. „Früher hieß es: Proletarier aller Länder vereinigt euch. Heute heißt es: Populisten aller Länder vereinigt euch.“ Und setzt nach: „Sie wollen Frauke Petry im Deutschen Bundestag überflüssig machen.“

Merkel in grün-schwarzem Look

Was bleibt? Gedanken über die Kleiderwahl der Kanzlerin. Merkel tritt in ungewohnt grünem Blazer und schwarzer Hose vor die Abgeordneten. Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionschef, sagt in seiner Rede, ein Merkelsches ,Weiter so’ bringe das Land nicht voran. Aber: „All das ist politisch änderbar.“ Von Schwarz-Grün? Anzeichen dafür sucht man bislang jenseits der Garderobe jedenfalls vergebens.