Berlin. Thomas de Maizière bedankt sich bei den Syrern, die in Leipzig den Terrorverdächtigen stellten. Bekommen sie das Bundesverdienstkreuz?
Thomas de Maizière ist kein Knurrer. Aber diese Frage behagt dem Innenminister nicht, das zeigt er auch. „Ich habe nicht die Absicht, Ihnen meine zukünftigen Termine mitzuteilen.“ Die Journalisten sollen nicht erfahren, ob er mit den drei Syrern reden wird, die in Leipzig einen terrorverdächtigen Landsmann gestellt, gefesselt und den Sicherheitsbehörden übergeben haben.
Der CDU-Politiker will auch nicht erklären, warum gerade sein Dank auffällig spät kam, erst am Mittwoch, nach zwei Tagen: „Über Motive muss ich keine Auskunft geben.“ Vor allem weicht der Minister der Frage aus, ob die drei Männer das Bundesverdienstkreuz bekommen sollten – längst ist eine Diskussion darüber entbrannt. Eine Anregung an den Bundespräsidenten könne jedermann geben, erklärt er nur. Wir haben verstanden: Der Herr Minister ist genervt.
Sechs Prozent der Migranten-Ausweise mangelhaft
Neben ihm sitzt Frank-Jürgen Weise. Demnächst scheidet der Mann, der auch Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist, als Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus. Weise ist Kritik gewohnt. Er hat gelernt, mit ihr umzugehen, etwa mit dem Vorwurf, dass seine Behörde die Flüchtlinge nicht richtig durchcheckt. Weise bedauert, dass solche kritischen Themen im vorwurfsvollen Ton erörtert würden, gibt dann aber zu, dass sechs Prozent der Dokumente „nicht in Ordnung“ seien.
Die Pässe der Flüchtlinge werden nach seiner Darstellung geprüft. Sobald ein Verdachtsmoment vorliege, würden sie an die Zentrale weitergeleitet und dort von Spezialisten untersucht. Ein Verdachtsmoment liegt zum Beispiel vor, wenn die Angaben im Dokument nicht zu dem passen, „was ein Mensch uns erzählt“. Gefälschte, manipulierte Ausweispapiere würden automatisch an die Polizei gemeldet, versichert Weise.
Weise soll Beauftragter des Ministers für Flüchtlinge werden
Dass Bayern neulich zu völlig anderen Ergebnissen kam, erklärt er sich damit, dass die Zuwanderer mitunter dem BAMF ihre Papiere verschweigen, aber der örtlichen Ausländerbehörde vorlegen. Sie wissen nämlich genau, dass das BAMF die Dokumente überprüft, die Ausländerbehörde aber damit überfordert ist. Als der Freistaat stichprobenartig die Angaben beim BAMF und bei den Ausländerbehörden nebeneinanderstellt, zeigten sich die Widersprüche.
Weise rechtfertigt sich wortreich, smart lässt er sich nicht anmerken, wie unglücklich das Timing ist. Eigentlich tritt der Innenminister mit ihm auf, um ihm für eine „Erfolgsgeschichte“ (de Maizière über das BAMF) zu danken. Mehr noch: Weise soll Beauftragter des Ministers für Flüchtlingsfragen werden.
BAMF hat für de Maizière „Großartiges geleistet“
Nur noch 213.000 Menschen seien von Januar bis September nach Deutschland gekommen, referiert de Maizière. Damit sei „die Trendwende beim Thema Flüchtlinge erreicht“. Spätestens Ende des ersten Quartals 2017 will das BAMF sogar alle Altfälle abgearbeitet haben. Zwar drei Monate später als ursprünglich versprochen, aber für de Maizière hat die Behörde trotzdem „Großartiges geleistet“. Von einem Journalisten wird Weise allerdings nicht zum großartigen Job befragt, sondern danach, ob er wohl „den Mund zu voll“ genommen habe.
Noch mehr als die Medien nerven den Minister womöglich die eigenen Parteifreunde. Der Vorsitzende des Innenausschusses, Ansgar Heveling (CDU), forderte, über die Asylanträge der drei Bezwinger des Terrorverdächtigen zu entscheiden. De Maizière klärt nüchtern auf, dass über ihre Fälle längst entschieden worden sei.
Forderung nach Sicherheitschecks
Die Parteifreunde von der CSU rufen derweil nach schärferen Gesetzen: Sicherheitschecks, besserer Datenaustausch zwischen BAMF, Polizei, Geheimdiensten. Aber die Regelungslücke, die sie ausmachen, „sehe ich im Moment noch nicht“, bekennt de Maizière. „Aber ich habe offene Ohren.“ Will heißen: Er würde sich eines Besseren belehren lassen.
De Maizière schaut in seine Papiere und verweist auf mehrere Paragrafen. Er will damit belegen, dass die Behörden längst alle Daten untereinander austauschen dürfen, nur „an der Umsetzung wird mit Hochdruck gearbeitet“. Seit Jahren arbeite das BAMF beim Gemeinsamen Anti-Terror-Zentrum in Berlin-Treptow mit. Dschaber al-Bakr, der Verdächtige aus Chemnitz, war von den Sicherheitsbehörden überprüft worden.
Keine Details von de Maizière zu Chemnitz
Seine Daten seien 2015 abgeglichen worden, „allerdings ohne Treffer“, berichtet der Innenminister, „es steht ja auch noch gar nicht fest, wann es dort zu einer Radikalisierung gekommen ist“. De Maizière ist dagegen, nachträglich die Fälle aller 900.000 Flüchtlinge aus dem Jahr 2015 zu überprüfen; wenn, dann im Verdachtsfall, „das ist der richtige Weg“.
Terrorverdächtiger al-Bakr ist tot
Zum Chemnitzer Fall selbst will sich der Minister nicht äußern, erst recht nicht zu tatsächlichen oder vermeintlichen Fahndungspannen – die Ermittlungen seien Sache der Justiz und der Länder. Unklar bleibt bis zum Schluss sein Umgang mit den drei hilfreichen Syrern. Einmal sagt de Maizière, diese Menschen sollten ein gutes Leben in Deutschland führen können. Im Klartext: Man soll sie in Ruhe lassen. Je mehr man sie verehrt, feiert und öffentlich zeigt, desto schwerer fällt die Rückkehr zur Normalität, desto größer könnte vor allem die Gefahr von Racheakten sein.
De Maizière hält sich bei Verdienstkreuz-Frage zurück
Warum er der Frage nach dem Bundesverdienstkreuz ausweicht, kann man nur ahnen. Beim Innenminister muss man auf den Wortlaut seines Dankes achten: Wenn Menschen bei einer Fahndung hülfen, unter Umständen auch unter Gefahr für sich selbst, „verdient ein solches Verhalten Lob und Anerkennung“. Das gilt für jeden, der Zivilcourage zeigt, nicht nur für die drei Syrer. De Maizière will sich nicht vorhalten lassen, sie anders als andere zu behandeln.
Für den SPD-Politiker Johannes Kahrs haben die Syrer gezeigt, dass sie angekommen seien. „Mehr Integration ist kaum vorstellbar.“ Kahrs ist einer von mehreren Politikern, die sich das Bundesverdienstkreuz für die drei Syrer wünschen. Was sie getan hätten, sagte er „Bild“, zeuge „von tiefem Respekt gegenüber ihren deutschen Gastgebern“. De Maizière hält sich da lieber zurück.