Berlin/Dresden. Nach der Eskalation bei der Einheitsfeier stellen sich viele Fragen. Was hätten die Beamten bei den Demonstrationen noch tun können?

Die Nachricht der großen Feier zur deutschen Einheit hätte eine andere sein sollen: Was erreicht wurde. Wie viel der Frieden in Europa wert ist. Wie stark ein geeintes Deutschland sein kann. So etwas. Doch die Nachricht ist am Tag nach der Feier mit Kanzlerin, Bundespräsident und Hunderten Ehrengästen eine andere: Politik und Medien debattieren über eine Versammlung der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung mit fast 5000 Teilnehmern.

Viele riefen „Volksverräter!“ und „Haut ab!“, einige kamen bis auf wenige Meter an Angela Merkel und andere Spitzenleute des Staats heran und beschimpften sie. Was bleibt, sind Bilder pöbelnder Demonstranten – unmittelbar am Festgelände. Und eine Debatte über den Einsatz der Polizei. Noch nie sorgte ein Einheitsfest für so viel Wirbel. Ausgerechnet in Dresden, der stolzen Landeshauptstadt, diesem Ort der Hochkultur und des Bürgertums.

Ein Polizist hat eine Erklärung der Pegida-Demonstranten vorgelesen

Vor dem Beginn der Pegida-Demonstration am Montag in Dresden verlas ein Polizist die Versammlungsauflagen. Normalerweise macht dies ein Demonstrant. Doch weil die Lautsprecheranlage von Pegida kaputt gewesen sein soll, übernahm das ein Polizist. Er mache das „gerne“, soll der Beamte gesagt haben. Und er schließt mit dem Satz: „Wir wünschen einen erfolgreichen Tag für Sie.“ Ein Staatsbeamter wünscht einer pöbelnden „Merkel-muss-weg!“-Menge, in der vereinzelt Neonazis mitlaufen, gutes Gelingen. Die Pegida-Leute applaudieren. Und rufen: „Eins, zwei, drei, danke Polizei.“

Auch über eine andere Szene von der Einheitsfeier in Dresden debattiert die Republik am Tag danach: Ein paar Dutzend Männer und Frauen pöbelten Bundespräsident und Bundeskanzlerin an, rufen immer wieder „Lügenpack“. Sie sind nur ein paar Meter von Joachim Gauck und Angela Merkel entfernt. Einige brüllen Beleidigungen, von denen „Stinktier“ am harmlosesten ist. Der Ton der Radikalen übertönt die Botschaft der vielen friedlichen Bürger, die in Dresden die Einheit feierten.

Lutz Bachmann rief zu dem Protest auf

Präsident Gauck sprach am Tag danach von einem „Regentag in Dresden“. Hätte es so kommen müssen – zu den direkten Pöbeleien und der Versammlung der Pegida-Leute direkt am Festgelände? Man muss auf der Suche nach Antworten ein paar Tage zurückblicken: Anhänger von Pegida und deren Frontmann Lutz Bachmann rufen zum Protest auf, manche nennen ihren geplanten Protest bloß „Raucherpause“.

Eine offizielle Demonstration war nur vor dem Hauptbahnhof angemeldet, nicht aber für den Platz an der Frauenkirche oder an der Semperoper, wo der Staatsakt stattfand. Als Pegida-Anhänger vom Bahnhof zum Festgelände zogen, konnte die Polizei deutlich schwieriger Auflagen für die spontane Versammlung durchsetzen – wie etwa einen Abstand zum Festakt und der Kanzlerin. Doch auch spontane Demonstrationen seien von der Verfassung geschützt, sagt Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Ein Polizist wünscht den Demonstranten einen „erfolgreichen Tag“

Die Polizei Dresden lobte den Einsatz und teilte mit, dass „der Spagat zwischen einem bürgernahen bunten Fest und der erforderlichen Sicherheit gelungen“ sei. Der Polizist, der Pegida einen „erfolgreichen Tag“ gewünscht hatte, wurde laut Behörde ins Polizeipräsidium beordert. Der Beamte kam nicht aus Sachsen, sondern im Rahmen der Einsatzhilfe von der niedersächsischen Polizei, bestätigte ein Sprecher der Polizeidirektion Niedersachsen.

Polizeigewerkschafter Malchow kritisierte das Verhalten des Polizisten: „Die Polizei ist verpflichtet, neutral zu sein. Hier hat offenbar ein Beamter diese Grenze klar überschritten. Das schadet dem Image der Polizei.“

Schon in der Vergangenheit strebte Pegida die Solidarisierung ihrer rechten Bewegung mit der Polizei an. Auf Kundgebungen dankt Frontmann Bachmann häufig über das Mikrofon auf der Bühne den Beamten für ihren Einsatz. Polizeigewerkschafter Malchow hält die „Streicheleinheiten“ für die Polizei durch Pegida für fatal. Seit Jahren würden die Beamten bundesweit Überstunden machen, Aufgaben der Polizei würden wachsen, gleichzeitig Stellen gestrichen. „Erst durch den Aufstieg der AfD und die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht stellen die Regierungen neue Polizisten ein. Das ist ein fatales Signal, denn Polizisten bekommen das Gefühl, dass ihre Forderungen erst jetzt durch die Rechtspopulisten Gehör finden.“

Sympathie mit der rechten Bewegung bei der Polizei?

Wie weit geht die Sympathie – und haben sich Allianzen einzelner Beamter mit der rechten Bewegung gebildet? Auch hier steht Sachsen im Fokus. Bachmann veröffentlichte im September 2015 auf seiner Facebook-Seite interne Polizeidokumente, offenbar durchgesteckt von einem Beamten. Bachmann behauptet, regelmäßig Faxe oder E-Mails mit internen Informationen von der Polizei zu bekommen.

Im Sommer 2015 wird Alexander Kurth, einem bekannten Leipziger Neonazi, das Mobiltelefon geklaut, Protokolle von Kurths Handy-Chats belegen den Kontakt zu einem Polizisten. Einer zeigt darin Sympathien für Legida, gibt weiter, wo sich seine eigene Einheit während der fremdenfeindlichen Legida-Demonstrationen befindet. Der Beamte wurde mittlerweile versetzt, ein Disziplinarverfahren gab es nicht. Es waren nicht die einzigen Fälle, in denen sächsische Beamte durch Verbindungen zum extrem rechten Milieu auffielen.

Rechtsextremer postet auf Twitter interne Polizei-Fotos

Vor ein paar Monaten fragte der sächsische Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD), „ob die Sympathien für Pegida und AfD innerhalb der sächsischen Polizei größer sind als im Bevölkerungsdurchschnitt“. Die rechtsextreme Leipziger NPD postete im Januar auf Twitter Fotos von internen Polizeiakten und Einsatzfotos. Der Polizeisprecher sagte: „Es liegt ein brauner Schatten über der Polizeidirektion Leipzig.“ Später zog er diese Äußerung zurück.

Vor Pegida, vor der Fluchtkrise und den fremdenfeindlichen Ausschreitungen blickten nationale und internationale Medien selten auf die Sicherheitslage in Sachsen. Das ist längst anders.

Schlagzeilen machten 2015 Rechtsextreme in Heidenau. Flüchtlinge sollten in einem Baumarkt untergebracht werden, Rechte warfen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper. Die Polizei setzte Tränengas ein. 31 Beamte wurden verletzt. Im Oktober 2015 trugen Pegida-Demonstranten in Dresden Galgen vor sich her – reserviert für Merkel und ihren Vizekanzler Sigmar Gabriel.

Der Druck vor allem auf die sächsische Justiz, Polizei und CDU-Regierung ist hoch. Und er wuchs noch einmal stark an, als in den Tagen vor der Einheitsfeier unbekannte Täter einen Sprengsatz vor einer Dresdner Moschee detonieren ließen. Auf einmal berichtete sogar die „New York Times“ über die Gewalt. Die Erwartungen und der Druck seien „enorm hoch“ gewesen, erklärte Dresdens Polizeipräsident Horst Kretzschmar am Tag nach der Feier. Einer Feier, von der in diesen Tagen nur wenige Bilder des von vielen friedlich gefeierten Fests im Gedächtnis bleiben.