Berlin. Die Landtagswahl von Schwerin zeigt: Die CDU überzeugt Wähler in den Bundesländern nicht mehr. Es ist der Abschied einer Volkspartei.

Eigentlich könnten sie eine Veteranengruppe aufmachen – Jürgen Rüttgers, Erwin Teufel, David McAllister, Ole von Beust oder Bernhard Vogel. Sie alle waren einmal Ministerpräsidenten. Jeder von ihnen steht für ein Bundesland, in dem die CDU nicht länger den Regierungschef stellt. Ist die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Königin ohne Land?

Das Wahldebakel der CDU und der Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern waren keine Schicksalsschläge. Die Demoskopen hatten das Ergebnis vorausgesagt. Es gibt auch keinen Erkenntnismangel: „Die AfD hat diejenigen angesprochen, die grundsätzlich mit ‚der Politik‘, ‚den Parteien‘ und ‚den Politikern‘ unzufrieden sind. Wie bei allen Protestparteien muss es klimatisch ein Katalysatorthema geben: Und dies ist bei diesen Wahlen die Flüchtlingspolitik.“ So fiel die Wahlanalyse der CDU nahestehenden Konrad-Adenauer-Stiftung bereits im März aus. Damals hatten die Christdemokraten in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg Boden verloren.

Koalitionspartner der SPD steht noch nicht fest

Im Prinzip könnte die Stiftung die Analyse neu auflegen. Die Kluft zum Wähler ist nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Sieht man einmal von Bayern ab, wo die herrschende CSU auf Distanz zur CDU-Kanzlerin in Berlin geht, regieren die Christdemokraten noch in sieben Ländern. Und, noch wichtiger: In nur vier Ländern (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Saarland) kommt der Ministerpräsident aus ihren Reihen.

In Baden-Württemberg ist die CDU nur Juniorpartner der Grünen. In Mecklenburg-Vorpommern kann die SPD seit Sonntag ohne die CDU regieren, wenn sie sich für die Linke entscheidet. In Berlin, wo in zwei Wochen eine Wahl ansteht, ist das keine Frage mehr, sondern das erklärte Ziel der Sozialdemokraten. Die Verzwergung der Merkel-Partei muss noch lange nicht zu Ende sein.

Merkel übernimmt die Verantwortung

Noch 2009 hielt der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers die Union für die einzig verbliebene Volkspartei. Wenn man ihn heute darauf anspricht, klingt Rüttgers schon anders. „Das Selbstverständnis einer Volkspartei hängt nicht allein von Wahlergebnissen ab. Aber es hängt davon ab, ob sie überall in der Gesellschaft vertreten ist. Das ist man mit 19 Prozent natürlich nicht mehr“, sagte Rüttgers dieser Redaktion. Er mahnt: „Wer die intellektuelle Hoheit verloren hat – in der Schulden-, Euro- und Flüchtlingskrise –, muss versuchen, programmatisch der Wählerschaft zu sagen, wo man hin will und was die Ziele sind.“

Die Kanzlerin weiß, dass alle auf sie schauen. „Der Ausgang der Landtagswahl steht für sich“, sagte Merkel am Montag auf dem G20-Gipfel in China vor ihrem Rückflug, „natürlich hat das was mit der Flüchtlingspolitik zu tun.“ Sie sei Parteichefin und Kanzlerin, „in den Augen der Menschen kann man das nicht trennen. Deshalb bin ich natürlich auch verantwortlich.“

Der Weckruf für die Union, von dem die CSU sprach, hat vorerst allerdings keine dramatischen Folgen. Dieselbe Merkel betonte in China nämlich, „ich halte dennoch die Entscheidungen, so wie sie getroffen wurden, für richtig.“ Von Selbstkritik ist die Kanzlerin weit entfernt, ebenso von einem Politikwechsel. Unklar ist, wie die CDU Vertrauen zurückgewinnen will, ohne ihren Kritikern entgegenzukommen.

In der CDU gibt es erstmal keine Analyse der Landtagswahl

Die CDU gibt darauf drei Antworten. Sie will erstens besser erklären und zweitens um Geduld bitten. „Wir haben viel gemacht, es braucht Zeit, bis die Maßnahmen wirken“, sagte Generalsekretär Peter Tauber. Drittens ringt sie um eine größere Geschlossenheit. „Die Wähler der Union wollen nicht, dass wir uns streiten“, sagte Kanzleramtschef Peter Altmaier. Das ging an die Adresse der CSU, die kurzfristig Grund zur Schadenfreude haben könnte – sie hat Merkels Flüchtlingspolitik stets kritisiert –, langfristig aber genauso betroffen wäre. Die Schwäche der CDU mindert auch die Machtaussichten der CSU bei der Bundestagswahl 2017.

Noch von China aus hat Merkel in einer Schaltkonferenz mit dem CDU-Vorstand den Ausgang der Wahl beraten. Generalsekretär Peter Tauber beteuerte hinterher, „Angela Merkel hat uns durch viele Krisen geführt, sie wird es auch diesmal tun“. Eine gründliche Analyse hat die Partei am Montag erst mal vertagt – mit Rücksicht auf Merkels Verpflichtung in China und mit Blick auf die Berlin-Wahl in zwei Wochen. Jede Selbstzerfleischung würde die Wahlaussichten der Parteifreunde in der Hauptstadt verschlechtern.

Nach der Berliner Senatswahl sollen die Ergebnisse ausgewertet werden

Aber für die Tage nach dem Urnengang hat der konservative Berliner Kreis einen „Aufschlag“ angekündigt. Bis dahin hält der Zusammenschluss konservativer Abgeordneter still. Mit Kritik ist im Herbst schon zu rechnen, mit einem „Aufstand“ indes nicht.

Eine häufige Kritik an Merkel lautet, dass die CDU mit ihr immer weiter nach links gerückt sei und dass die Chefin dabei den konservativen Flügel vernachlässigt habe. Vor allem müsste die CDU eine Antwort auf die Wähler finden, die ihr aus Wut und Angst weglaufen. Aus Wut darüber, dass der Staat sich um die Rettung der Banken und der Griechen sowie um die Lösung der Flüchtlingskrise gekümmert hat, während sie sich um sichere Arbeitsplätze und bezahlbare Wohnungen sorgen müssen; und aus Angst davor, dass die Flüchtlinge ihre Billigkonkurrenz von morgen sein werden, die Jobs für den Mindestlohn oder weniger erledigen.

Altmaiers Soufflé-Theorie zur AfD fiel in sich zusammen

Parteipolitisch drängend ist die bessere Einbindung des konservativen Flügels sowie eine Strategie zur Abgrenzung von der AfD. Schon das kostet Überwindung. Noch vor wenigen Monaten war Merkels Vertrauter Altmaier überzeugt davon, dass die AfD eine „reine Protestpartei“ sei und dass ihre Umfragewerte zusammenfallen würden „wie ein Soufflé“, sobald die Flüchtlingssituation sich ordne.

Das Soufflé aber fiel nicht zusammen, sondern nur Altmaiers Theorie. Jürgen Rüttgers erinnerte daran, dass die AfD bereits 2013 bei der Bundestagswahl 4,7 Prozent der Stimmen geholt hat. „Die etablierten Parteien haben den Kampf mit ihr nicht aufgenommen“, beklagte er.

Bundespolitische Themen haben Landtagswahl bestimmt

Das ist bis heute sein Eindruck. Er erkannte es unter anderem daran, „dass alle Parteien noch am Wahlabend in Mecklenburg-Vorpommern darüber ­geklagt haben, dass ein bundespolitisches Thema – die Flüchtlingskrise – die­ Landespolitik überdeckt hätte. Aber nicht die Parteien geben vor, worum es bei einer Wahl geht.“ Sondern die Bürger.