Berlin. Die Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren erreicht nach den Anschlägen eine neue Dimension. Die SPD warnt vor Panikmache.

Ursula von der Leyen demonstriert Entschlossenheit: Nach den Anschlägen von Würzburg, München und Ansbach lässt die Verteidigungsministerin keinen Zweifel mehr daran, dass die Bundeswehr sich auf Anti-Terror-Einsätze im Inland vorbereitet.

„Ja“, antwortet die CDU-Politikerin knapp auf eine Frage danach und fügt an, im Spätsommer werde mit der Innenministerkonferenz der Länder festgelegt, welche Einsatz-Szenarien die Armee üben müsse. „Im Ernstfall müssen die Alarmketten stehen, die Zuständigkeiten klar sein und genug Personal zur Verfügung stehen“, betont die Ministerin in der „Bild“-Zeitung.

Es werde eine Stabsübung geben, die das Zusammenspiel zwischen dem Bund und den Polizeibehörden mehrerer Länder auf die Probe stelle. Das Saarland, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt wollen sich beteiligen. Alle hofften ja, dass es nie zu einem „Großszenario“ kommt, das einen solchen Einsatz erforderlich mache. Die Anschläge in Paris hätten aber allen die Augen geöffnet. „Mir ist die Skepsis jetzt lieber als später der Vorwurf, wir seien nicht vorbereitet gewesen.“

Grundgesetzänderung wird von der CSU forciert

Der Koalitionspartner geht jedoch auf die Barrikaden: SPD-Generalsekretärin Katarina Barley warnt die CDU-Ministerin davor, einen Inlandseinsatz der Bundeswehr vorzubereiten. „Mit der SPD wird es keine Militarisierung unserer öffentlichen Sicherheit geben“, sagt Barley unserer Redaktion. „Frau von der Leyen sollte auf diejenigen hören, die sich mit dem Thema öffentliche Sicherheit in Deutschland auskennen. Das sind unsere Polizistinnen und Polizisten.“ Von denen befürworte niemand einen Einsatz der Bundeswehr als Hilfspolizei. „Anstatt über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu sprechen, sollten wir weiter daran arbeiten, unsere Polizei zu stärken.“

Von der Leyen selbst weiß um die Aversion der SPD und der Opposition gegen das Thema. Sie betont daher die Wichtigkeit einer Diskussion, sagt aber auch: „Prinzipiell hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass im Ex­tremfall auch Militär angefordert werden kann.“

In Bayern will man über die Ankündigung von der Leyens noch hinausgehen. Die CSU hält eine Grundgesetzänderung schon seit Langem für notwendig, um einen Inlandseinsatz der Soldaten sowie zur Grenzsicherung zu ermöglichen oder zu erleichtern. „Wir wollen eine Rechtsgrundlage für den Einsatz der Bundeswehr im Innern“, betont denn auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. „Es ist bayerische Mentalität, Dinge durchzusetzen, die wir für richtig halten.“ Während des Amoklaufs in München wurden bereits rund 100 Feldjäger und Sanitäter in Bereitschaft versetzt und wären wohl zum Einsatz gekommen, wenn es sich um eine große Terrorlage mit Anschlägen an mehreren Orten gehandelt hätte.

Neues Weißbuch hatte gerade für Beruhigung gesorgt

Eigentlich war in der Grundgesetz-Debatte nach Jahren der Diskussion gerade ein Kompromiss gefunden worden. Erst Mitte Juli hatte die Regierung ein neues Weißbuch der Bundeswehr präsentiert. Darin wurde ausdrücklich die Tür für einen „heimischen“ Einsatz einen Spalt weit geöffnet. Danach ist der Einsatz der Armee im Landesinneren auch bei schweren Anschlägen und nicht nur bei anderweitigen Unglücksfällen möglich. Konkret angesprochen werden dabei genau die Terrorlagen.

Einer, der qua Amt vor allem die Bedürfnisse der Truppe im Blick haben muss, ist der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels. Er ist auf Ausgleich bedacht und hält eine Änderung des Grundgesetzes für nicht nötig. „Das Gesetz setzt zu Recht hohe Hürden für einen Einsatz im Inneren, aber in vier Artikeln wird klar definiert, dass und wann ein Einsatz im Inneren bereits jetzt möglich ist. Die Aufregung darum ist unnötig“, sagt der SPD-Politiker unserer Redaktion. Bartels hebt außerdem die mannigfachen Einsätze der Truppe im Ausland hervor und warnt davor, die Soldaten zur Ersatzpolizei werden zu lassen.

„Die Bundeswehr ist nicht die Personalreserve der Polizei, sie hat genug Aufgaben und sucht auch nicht nach neuen.“ Er wirbt vielmehr für eine Aufstockung des Personals der Polizei. Allerdings hält Bartels die angekündigte gemeinsame Stabsübung von Bund und Polizeibehörden der Länder für „richtig“. „Wenn es Lagen gibt, die einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren rechtfertigen, dann muss man drauf auch vorbereitet sein“, so der Wehrbeauftragte.

In Bevölkerung sind Einsätzen der Truppe im Inneren umstritten

In der Bevölkerung sind Anti-Terror-Einsätze im Inneren ebenfalls umstritten: Einer aktuellen Yougov-Umfrage wünschen sich zwar 65 Prozent der Bürger mehr Polizeipräsenz, aber nur 57 Prozent sind für eine Änderung des Grundgesetzes, um Bundeswehreinsätze im Inland zu erleichtern.

Ob ein Terrorangriff eine „katastrophische Dimension“ habe und damit einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Grundgesetzes darstelle, „kann nur anhand der konkreten Umstände im jeweiligen Einzelfall bewertet werden“, wand sich denn auch ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Montag, der das Interview der Ministerin noch einmal erläutern sollte.

Heißt übersetzt: Der Streit zwischen den Parteien geht weiter, eine Klarstellung im Grundgesetz wird es erstmal nicht geben. Im Fall eines großen Terroranschlags in Deutschland ist ein Hilfseinsatz der Bundeswehr trotzdem wahrscheinlich.