Magdeburg/Berlin. Erst nach einem zweiten Wahlgang wurde Reiner Haseloff Sachsen-Anhalts Ministerpräsident. Abweichler werden in Reihen der CDU vermutet.

Reiner Haseloff ist noch einmal mit dem Schrecken davongekommen. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt brauchte bei seiner Wahl im Landtag einen zweiten Anlauf. Im ersten Wahldurchgang fiel er durch. Dem CDU-Politiker fehlten fünf Stimmen – er bekam nur 41 Stimmen. Die absolute Mehrheit liegt im Landtag bei 46 Stimmen. Im zweiten Versuch klappte es dann. 47 Abgeordnete stimmten für Haseloff – eine Stimme mehr als CDU, SPD und Grüne Abgeordnete haben. Ein holpriger Start.

Die Abweichler sind nicht bekannt – die Wahl war geheim. Doch sie werden in den Reihen der Partei des Ministerpräsidenten vermutet. Niemand wollte diese Koalition, sie musste aus staatspolitischer Verantwortung geschmiedet werden. Es gibt einige CDU-Abgeordnete, die sich lieber von der rechtspopulistischen AfD hätten tolerieren lassen, anstatt mit den verhassten Grünen ein Bündnis einzugehen. Das hatte vor der Wahl zu Nervosität bei Haseloff geführt. So sagte seine Frau Gabriele, die Anspannung bei ihrem Mann sei seit dem Vorabend schon groß gewesen.

Das Spiel erinnert an das Ende von Heide Simonis

Die CDU reagierte zerknirscht auf den Fehlstart. „Ich hätte es mir anders gewünscht“, sagte Fraktionschef Siegfried Borgwardt. Für ihn steht aber nicht fest, dass die Abweichler aus den Reihen der CDU stammten.

Der Fehlstart der Kenia-Koalition erinnert an den „Heide-Mörder“. 2005 scheiterte Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) in vier Wahlgängen. CDU-Mann Peter Harry Carstensen wurde Ministerpräsident einer großen Koalition. Bis heute ist unklar, wer Simonis seine Stimme verweigerte. Der „Heide-Mörder“ wird in den Reihen der SPD vermutet. Wahrscheinlich hatte ein Genosse noch eine Rechnung mit Simonis offen.

Auch in Rheinland-Pfalz sind die Mehrheitsverhältnisse knapp: SPD, FDP und Grüne haben nur eine Stimme über den Durst. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) wird vor der Wahl wohl ein paar unruhige Nächte verbringen.

Eine Zeit der ungewöhnlichen, komplizierten Koalitionen

In Magdeburg regiert jetzt zum ersten Mal eine Kenia-Koalition in einem deutschen Bundesland. Zu einer sogenannten großen Koalition hatte es nicht mehr gereicht. CDU und SPD brauchten die Grünen. Grund sind die starken populistischen Parteien rechts und links der Mitte: Die AfD bekam bei der Wahl im März 24,2 Prozent, die Linke 16,3.

In Deutschland scheint jetzt eine Zeit der ungewöhnlichen, komplizierten Koalitionen anzubrechen: In Baden-Württemberg gibt es zum ersten Mal Grün-Schwarz, in Rheinland-Pfalz zum ersten Mal seit Längerem eine Ampel.

Die Parteien zeigen eine neue Flexibilität

Die Parteien passen sich dem Wählerwillen notgedrungen an. Es herrscht eine neue Flexibilität, Koalitionsaussagen sind aus der Mode. So sind die Grünen mittlerweile eine multikoalitionsfähige Partei, ähnlich wie die SPD. Sie regiert in den Ländern in verschiedenen Konstellationen mit CDU, SPD, FDP und der Linken.

Wahlforscher wie Manfred Güllner glauben, dass die Deutschen sich in Zukunft auf komplizierte Koalitionen einstellen müssen. „Seit Jahren beobachten wir einen Vertrauens- und Bedeutungsverlust bei Union und SPD“, sagt der Chef des Umfrageinstituts Forsa dieser Zeitung. „Man kann also die immer komplizierter werdenden Koalitionen nicht nur auf das Erstarken der AfD zurückführen.“

Güllner warnt die neue Regierung davor, sich zu zerfleischen

Viel hält die neue Koalition in Sachsen-Anhalt nicht zusammen. Der Kitt besteht darin, dass die Parteien der demokratischen Mitte nicht anders können. Sie müssen das parlamentarische Chaos verhindern. Doch das ist gefährlich: Je mehr Einheitsbrei CDU, SPD und Grüne liefern, desto mehr Wähler könnten sich in Zukunft für die Ränder entscheiden.

Güllner sieht jedoch nicht, dass durch komplizierte Koalitionen automatisch die Demokratie in Gefahr ist. „Wenn die neue Regierung sich nicht zerfleischt, sondern ordentlich regiert, kann der Aufstieg der AfD gebremst werden“, sagt er. Die Parteien müssten sich um das kümmern, was die Menschen wirklich bewege.

Reiner Haseloff gibt sich jedenfalls trotz der ersten Schlappe zuversichtlich. „Diese Koalition wird ein Erfolg werden“, sagte er nach seiner Wahl.