Berlin. Der anatolische Schwabe Cem Özdemir, Bayer Anton Hofreiter und der Norddeutsche Robert Habeck ringen um die grüne Spitzenkandidatur.

Es ist ein Trio, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Der türkischstämmige Schwabe Cem Özdemir, der deftige Oberbayer Anton Hofreiter und der kernige Norddeutsche Robert Habeck – sie ringen um die Vorherrschaft bei den Grünen. Parteichef Özdemir verkündete am Wochenende, dass er Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl 2017 werden möchte.

Es könnte ein spannender Dreikampf werden, obwohl der beliebteste Grüne gar nicht antritt: Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg, bastelt gerade nach seinem großen Wahlsieg an einer grün-schwarzen Koalition. Seit Kurzem ist er in Umfragen der populärste Politiker des Landes.

Die besten Chancen bei der Urwahl, die Ende des Jahres ansteht, hat wahrscheinlich Cem Özdemir. Er verknüpft oft seine Herkunft mit politischen Zielen. So spricht er in seinem Bewerbungsfilm auf YouTube auch über seine Eltern. Er ist seit fast acht Jahren Parteichef, viele Menschen kennen ihn. Özdemir werden wohl viele Parteimitglieder einen guten Wahlkampf zutrauen.

Wer nicht zwei Realo-Kandidaten will, wird Anton Hofreiter wählen

Özdemirs Problem: Er steht klar für Schwarz-Grün. Ebenso wie die zweite Spitzenkandidatin: Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gilt als gesetzt, weil wahrscheinlich keine zweite Frau zur Urwahl antreten wird. Parteichefin Simone Peter, die politisch links steht, sagte zwar zuletzt, sie halte sich eine Kandidatur offen. Doch bei den Grünen rechnet niemand damit. Özdemir und Göring-Eckardt, das wären also zwei aus dem bürgerlichen Realo-Flügel. Darauf angesprochen sagte Özdemir am Wochenende: „Draußen interessiert sich kein Schwein dafür, wer welchem Parteiflügel angehört.“

Doch niemand weiß, wie die 61.000 Parteimitglieder ticken. Vielleicht gibt es auch eine Mehrheit für Anton Hofreiter, den derben Oberbayern mit den langen blonden Haaren, der von den Kandidaten am weitesten links steht – eben weil man nicht mit einem Duo Göring-Eckardt/Özdemir signalisieren will, dass das mit Schwarz-Grün schon in Ordnung geht. Hofreiter steht eher für Rot-Rot-Grün, versteht sich gut mit Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Doch das Zeitfenster für Rot-Rot-Grün im Bund ist zugeschlagen. Zwar hätte ein solches Bündnis im aktuellen Bundestag eine Mehrheit – aber nicht in den aktuellen Umfragen. Die SPD ist einfach zu schwach.

Habeck ist betont lässig, ein Mann wie aus der Jever-Werbung

Bundesweit am wenigsten bekannt ist Robert Habeck, Umweltminister und Vizeministerpräsident von Schleswig-Holstein. Er wäre ein Kompromisskandidat, der sich weder dem Realo- noch dem Fundi-Flügel zuordnen will. Diese Unabhängigkeit ist seine Chance. Habeck ähnelt dem Mann, der sich in der Jever-Werbung in die Düne fallen lässt. Ein Typ aus dem Norden, betont lässig, Dreitagebart. Er lässt gern mehrere Knöpfe seines Hemdes offen, hat Romane geschrieben. Sein Vorteil: Er weiß, wie man eine Koalition schmiedet. Und er hat Regierungserfahrung.

Klar ist auf jeden Fall: Wettbewerb kann die Grünen nur besser machen. Aktuell äußert sich zu fast jedem Thema das Quartett aus zwei Parteichefs und zwei Fraktionschef – das geht oft genug unter. Zwei Spitzenkandidaten würden mehr Aufmerksamkeit bekommen und das komplizierte grüne Machtgefüge überdecken. Auch ist der Vorwahlkampf ein gutes Training für die Kandidaten. Und der Gewinner geht mit Rückenwind in den Wahlkampf.

2017 geht es für die Grünen um einiges. Es bietet sich eine historische Chance auf ein schwarz-grünes Bündnis. Auch wenn es bei den Grünen Vorbehalte und sogar Angst vor der CSU gibt, viel spricht dafür: Der Zeitgeist ist irgendwie grün und öko, nicht nur in den Großstädten. In der CDU sind viele offen für Schwarz-Grün. In Baden-Württemberg sind die Grünen stärkste Partei. In Sachsen-Anhalt gibt es eine Koalition mit CDU und SPD, so sind die Grünen in zehn von 16 Bundesländern an der Regierung beteiligt, was ihnen noch mehr Gewicht im Bundesrat gibt. Parteiinterner Zoff ist selten geworden. Die Drogenäffäre um Volker Beck interessiert niemanden mehr so wirklich.

Nach Fukushima eine historische Chance versemmelt

Und auch in den Umfragen sieht es gut aus. Die Grünen liegen bei 13, 14 Prozent. Und rücken immer näher an die SPD heran, die bei 20, 21 Prozent verortet wird. Zwölf Jahre nach dem Ende von Rot-Grün könnte die Ökopartei 2017 wieder mitregieren in der Hauptstadt. Wer jetzt die Urwahl für sich entscheidet, könnte also nach einem erfolgreichen Wahlkampf und einer Koalitionsbildung einen einflussreichen Ministerposten bekommen.

Doch so weit ist es noch lange nicht. Auch 2011 gab es eine historische Chance. Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima wurde Kretschmann Ministerpräsident, die Grünen lagen bei mehr als 20 Prozent, viele sprachen von einer neuen Volkspartei. Doch dann versemmelte das Spitzenduo Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt den Wahlkampf 2013 mit Themen wie Steuererhöhung und Veggie-Day.