Berlin. Will und Illner beschäftigten sich am Sonntag beide mit den Landtagswahlen. Die wichtigste Frage dabei: Wie umgehen mit der AfD?

Eigentlich müsste es bei diesen Wahlen um Schulen, Jobs, Verkehr und Innere Sicherheit gehen. Typische Landespolitik eben. Auch um Macht natürlich. Real aber geht es um das Mega-Thema Flüchtlingspolitik. Zwischen 12 und 24 Prozent – ehemalige Nichtwähler in Massen – haben das Kreuz bei den Rechtspopulisten gesetzt. Nicht unrichtig von Will wie von Illner, dies am Ende als einen Schlag ins Kontor von Merkel, Gabriel und Co. zu werten und nachzuhaken.

Auch, wenn AfD-Vize Alexander Gauland sich schon Minuten nach den ersten 18-Uhr-Prognosen mit klar verfassungswidrigen Sätzen („Wir wollen keine Flüchtlinge aufnehmen“) ans Publikum gewandt hat: Das eigentliche Krawallpotenzial des Abends scheint jetzt den beiden parallelen Talk-Shows überlassen. Auftritt Beatrix von Storch, Gräfin von Oldenburg, in der ARD. Auftritt Frauke Petry im ZDF. Das reicht in dieser Ballung fürs Quotensammeln, müssen die Programmplaner gedacht haben. Eigentlich.

AfD-Politiker lassen Provokationen abperlen

Doch wo bleibt der große Krawall nach dieser Schockwahl? Zwar setzen Ursula von der Leyen (CDU) und Ralf Stegner (SPD) bei Will mutig auf Attacke. „Sie haben vorgeschlagen, auf Frauen schießen zu dürfen“, geht die Bundesverteidigungsministerin auf die AfD-Spitzenfrau von Storch los. „Abscheulich. Dem darf sich eine zivilisierte Gesellschaft nicht anschließen“. Stegner sekundiert: „Sie sind mitverantwortlich dafür, dass bald in jeder zweiten Nacht eine Flüchtlingsunterkunft brennt“. Oder auch: „Heute wollen Sie die Asylgesetze außer Kraft setzen, morgen die freie Meinungsäußerung, übermorgen die Würde des Menschen“.

Stimmen zum Ausgang der Landtagswahlen

„Trotz Licht und Schatten muss man sagen, dass gestern ein schwerer Tag für die CDU war.“ (Die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel)
„Trotz Licht und Schatten muss man sagen, dass gestern ein schwerer Tag für die CDU war.“ (Die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel) © dpa | Michael Kappeler
„Das ist ja eine tektonische Verschiebung der politischen Landschaft in Deutschland.“ (Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer)
„Das ist ja eine tektonische Verschiebung der politischen Landschaft in Deutschland.“ (Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer) © dpa | Sven Hoppe
„Wir werden den Populisten nicht hinterherlaufen.“ (SPD-Chef Sigmar Gabriel)
„Wir werden den Populisten nicht hinterherlaufen.“ (SPD-Chef Sigmar Gabriel) © Getty Images | Axel Schmidt
„Unsere Wähler bilden einen ganz guten Querschnitt der Bevölkerung ab.“ (Der Co-Vorsitzende der AfD, Jörg Meuthen)
„Unsere Wähler bilden einen ganz guten Querschnitt der Bevölkerung ab.“ (Der Co-Vorsitzende der AfD, Jörg Meuthen) © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
„Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratische Alternative geben.“ (Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU))
„Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratische Alternative geben.“ (Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU)) © dpa | Michael Kappeler
„Die Bundesregierung verfolgt ihren flüchtlingspolitischen Kurs weiterhin mit aller Kraft im In- und Ausland.“ (Regierungssprecher Steffen Seibert)
„Die Bundesregierung verfolgt ihren flüchtlingspolitischen Kurs weiterhin mit aller Kraft im In- und Ausland.“ (Regierungssprecher Steffen Seibert) © imago/IPON | imago stock&people
„Ich sehe es nicht als ein existenzielles Problem der CDU, aber ich sehe es als Problem.“(Die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel über die AfD)
„Ich sehe es nicht als ein existenzielles Problem der CDU, aber ich sehe es als Problem.“(Die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel über die AfD) © dpa | Michael Kappeler
„Der zentrale Grund ist die Flüchtlingspolitik. Es hat überhaupt keinen Sinn, da vorbeizureden.“ (Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer)
„Der zentrale Grund ist die Flüchtlingspolitik. Es hat überhaupt keinen Sinn, da vorbeizureden.“ (Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer) © dpa | Sven Hoppe
„Baden-Württemberg ist natürlich viel grüner, als es der CDU zum Schluss aufgefallen ist. Deswegen musste sie irgendwann passen und war eben nicht mehr an der Regierung.“ (Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu der Behauptung, er stehe politisch der CDU nahe.)
„Baden-Württemberg ist natürlich viel grüner, als es der CDU zum Schluss aufgefallen ist. Deswegen musste sie irgendwann passen und war eben nicht mehr an der Regierung.“ (Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu der Behauptung, er stehe politisch der CDU nahe.) © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
„Das Abschneiden der AfD ist mehr als ein Denkzettel.“ (Bundesjustizminister Heiko Maas)
„Das Abschneiden der AfD ist mehr als ein Denkzettel.“ (Bundesjustizminister Heiko Maas) © dpa | Paul Zinken
„Wenn nicht Frau Dreyer, wem soll es dann gelingen, ein Dreier-Bündnis zu schmieden?“ (Die rheinland-pfälzische SPD-Wahlsiegerin Malu Dreyer scherzhaft über ihr Bestreben, eine Ampel mit Grünen und FDP zu schmieden)
„Wenn nicht Frau Dreyer, wem soll es dann gelingen, ein Dreier-Bündnis zu schmieden?“ (Die rheinland-pfälzische SPD-Wahlsiegerin Malu Dreyer scherzhaft über ihr Bestreben, eine Ampel mit Grünen und FDP zu schmieden) © REUTERS | STEFANIE LOOS
„Es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass der teilweise hohe Zuspruch für rückwärtsgewandte Parteien wie AfD oder Linke Investoren abschreckt.“ (Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo)
„Es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass der teilweise hohe Zuspruch für rückwärtsgewandte Parteien wie AfD oder Linke Investoren abschreckt.“ (Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo) © Reto Klar | Reto Klar
„Dass eine durch und durch rechtspopulistische Partei, die mitunter rechtsextreme Positionen duldet, derart viele Stimmen erhält, zeugt von einem erschreckenden Rechtsruck der Gesellschaft.“ (Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster)
„Dass eine durch und durch rechtspopulistische Partei, die mitunter rechtsextreme Positionen duldet, derart viele Stimmen erhält, zeugt von einem erschreckenden Rechtsruck der Gesellschaft.“ (Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster) © imago/Müller-Stauffenberg | imago stock&people
„Es ist ein dramatischer Fehler, dass die CDU von der bürgerlichen Mitte bis weit ins konservative Lager eine große Flanke offen gelassen hat.“ (Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer, in den „Stuttgarter Nachrichten“)
„Es ist ein dramatischer Fehler, dass die CDU von der bürgerlichen Mitte bis weit ins konservative Lager eine große Flanke offen gelassen hat.“ (Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer, in den „Stuttgarter Nachrichten“) © Dogma 360 Communications/Tom Bilger | Tom Bilger
„Alle waren sich einig (...), dass man sich argumentativ mit der AfD auseinandersetzen muss.“ (Die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel)
„Alle waren sich einig (...), dass man sich argumentativ mit der AfD auseinandersetzen muss.“ (Die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel) © REUTERS | STEFANIE LOOS
„Nur eine Veränderung der Politik wird die AfD überflüssig machen und den Spuk dieser Gruppierung beenden.“ (CSU-Chef Horst Seehofer in München zu den Ursachen der CDU-Wahlniederlagen und deren Folgen)
„Nur eine Veränderung der Politik wird die AfD überflüssig machen und den Spuk dieser Gruppierung beenden.“ (CSU-Chef Horst Seehofer in München zu den Ursachen der CDU-Wahlniederlagen und deren Folgen) © dpa | Sven Hoppe
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Kreide fressen. Provokationen abperlen lassen. So ist wohl die Absprache der AfD-Frauen an diesem Wahlabend-Talk. Die adlige Anwältin von Storch, die mit ihren „Schießbefehl“-Äußerungen gerade erst Furore gemacht hat, gibt sich selbst unter solch heftigen Angriffswellen eher harmlos – und als Retterin der politischen Hygiene: „Die AfD füllt eine Lücke“, stellt sie fest. Weil die Partei ja Nichtwähler an die Urne gebracht habe, „haben wir die Demokratie wieder lebendig gemacht“.

Auch Petry, die schon seit den Prognosen um 18 Uhr von Kamera zu Kamera gereicht worden war, bemüht sich auf dem anderen Kanal nach dem Durchmarsch ihrer Partei in Baden-Württemberg, Rheinland- Pfalz und vor allem Sachsen-Anhalt um ein ganz neues Image. Die Sächsin gibt sich, als hätte sie immer schon in der Runde zwischen etablierten Parteivertretern und Experten gesessen.

„Leute fühlen sich nicht ernst genommen“

Sie warnt – einerseits – zwar wie immer vor „illegaler Einwanderung“, mischte dann aber – andererseits – gerne in der detaillierten Sachdebatte mit, kündigt an, ihre „neue Partei“ werde nach Abhaken des Asylthemas auch bei der Familien- und Sozialpolitik das Wort nehmen. Sie folgt den Auseinandersetzungen der anderen mit wachen Augen – und lacht mit an Stellen, wo es einmal was zu lachen gibt. Kein Schreckgespenst. Ein ganz normaler Auftritt. Erstaunt muss Katrin Göring-Eckardt zur Kenntnis nehmen, dass die AfD-Frau bei der Einschätzung des türkischen Ministerpräsidenten sogar mit ihr auf einer Linie liegen könnte: „Herr Erdogan begeht Menschenrechts-Verletzungen en masse“, sagt Petry. Hätte die Grüne das anders ausgedrückt?

Natürlich haben bei Illner wie Will die Debatten über die Position der Kanzlerin, die Fehler von Frau Klöckner und die von Herrn Gabriel eine Rolle gespielt, von letzterem, weil er mit der Mahnung nach einem sozialen Ausgleich zur Flüchtlingspolitik eher doch der AfD in die Hände gespielt habe. Auch ging es um die Union. Hat sie nicht durch einen Rutsch nach links Platz auf der rechten Seite gelassen? Erstaunlich, wie der sozialdemokratische Fraktionschef im Bundestag, Thomas Oppermann, das sieht: „Rechts von der CDU ist ein politisches Vakuum entstanden“, klagt er. Ist das der Vorwurf, die SPD rücke seiner Partei zu nah auf die Pelle? Immerhin deckt sich der Sozialdemokrat hier im ZDF-Gespräch mit dem Tenor, den der christsoziale Wissenschaftler Heinrich Oberreuter zeitgleich in der ARD vorbringt: „Die Leute fühlen sich nicht ernst genommen. Die etablierte Politik hat eine erhebliche Bringschuld“.

Alles wird anders, sagt von der Leyen. Jetzt werde sich die AfD in den Landtagen bewähren müssen. Dann würden die Leute schon sehen, was sie da für eine Partei gewählt hätten. Frau von Storch lächelt dazu. Auch der späte Abend des Wahltags ist nicht unbedingt zu Ungunsten der Rechtspopulisten ausgegangen. Allein schon wegen der nicht geringen Redezeit für sie.