Berlin. Der Bund hat 2015 ein dickes Plus gemacht. Nun fordern die Länder mehr Geld für Flüchtlinge – und der FDP-Chef Steuerentlastungen.

Wolfgang Schäuble hat allen Grund zur Zufriedenheit. Sein Ziel, den Bundeshaushalt mit einer schwarzen Null abzuschließen, hat der Bundesfinanzminister (CDU) für das Jahr 2015 nicht nur erreicht, sondern mit einem dicken Plus sogar übererfüllt. Der deutsche Staat hat im vergangenen Jahr rund 19,4 Milliarden Euro mehr eingenommen als ausgegeben – und damit gut doppelt so viel wie im Vorjahr.

„Das ist absolut gesehen der höchste Überschuss, den der Staat seit der deutschen Wiedervereinigung erzielte“, attestierte das Statistische Bundesamt am Dienstag der Bundesregierung. Der Haushaltsüberschuss im wiedervereinten Deutschland lag mit 0,9 Prozent prozentual nur ein einziges Mal höher: Im Jahr 2000, als die Versteigerung der UMTS-Mobilfunklizenzen dem Staat hohe Milliardengewinne einbrachte. Der Überschuss in Zahlen lag damals jedoch bei „nur“ 18,2 Milliarden Euro.

Deutscher Schuldenberg bleibt mit 1,3 Billionen Euro hoch

Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt ergibt sich so ein Überschuss von 0,6 Prozent. Damit erfüllt Deutschland im Gegensatz zu anderen großen Euro-Ländern wie Frankreich (-3,7 Prozent) oder Spanien (-4,8 Prozent) die Drei-Prozent-Schuldenobergrenze – und verstößt damit in diesem Bereich nicht mehr gegen die Maastricht-Kriterien. Und doch bleibt die Verschuldung hoch: Die Bundesrepublik sitzt auf einem Schuldenberg von 1,3 Billionen Euro.

Hauptgründe für die komfortable Einnahmensituation von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen war 2015 die gute Konjunktur. Die deutsche Wirtschaft legte im Gesamtjahr 2015 um 1,7 Prozent zu. Angesichts niedriger Zinsen neigen die Bürger zunehmend dazu, ihr Geld für schöne oder nützliche Dinge auszugeben, anstatt es auf die hohe Kante zu legen. Durch steigende Tariflöhne und sinkende Benzin- und Heizölkosten bleibt den Menschen darüber hinaus mehr Geld zum Ausgeben im Portemonnaie. So gaben die Verbraucher im vierten Quartal des vergangenen Jahres 0,2 Prozent mehr aus als im Vorquartal, berichten die Statistiker. Aber auch der Staat sorgte mit seinen Milliardenausgaben zur Schaffung von Unterkünften und der Versorgung der Flüchtlinge für eine Sonderkonjunktur. Die Staatsausgaben erhöhten sich zum Jahresende kräftig um 1,0 Prozent.

Schäuble will Rücklagen auffüllen

Was soll nun mit dem Überschuss geschehen? Wolfgang Schäuble will mit den Milliarden vor allem seine Rücklagen auffüllen, aus denen die Flüchtlingszuwanderung mitfinanziert werden soll, wie der Christdemokrat im Januar bekannt gab: „Wir werden die Rücklage dringend brauchen, um die zusätzlichen Leistungen zur Unterbringung und Integration der Flüchtlinge zu finanzieren.“ Bislang war eine Rücklage von 6,1 Milliarden Euro als zusätzliche Reserve geplant. Nach bisherigen Plänen steuert der Bund 2016 fast acht Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise bei. 4,3 Milliarden Euro sollen Länder und Kommunen erhalten, weitere 3,3 Milliarden Euro wurden als zusätzliche Ausgaben in den Haushalt eingestellt – unter anderem für Hartz-IV-Kosten für die Flüchtlinge.

Die Bereitschaft für mehr Hilfen weckt insbesondere bei den Finanzministern der Bundesländer neue Hoffnungen. So fordern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Schleswig-Holstein deutlich mehr Geld vom Bund für die Versorgung von Flüchtlingen. Deutschland sollte seinen Finanzierungsanteil auf mindestens 50 Prozent der tatsächlichen Kosten aufstocken, lautet die Forderung. Derzeit sei der Anteil nicht einmal halb so hoch. Laut NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) müssten die Länder zur Integration der Flüchtlinge in diesem Jahr 20 bis 25 Milliarden Euro aufwenden. Doch der Bund beteilige sich aktuell daran nur mit etwa vier Milliarden Euro, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“.

Lindner erinnert an Soli-Versprechen

Doch Schäuble gibt seinen Länderkollegen einen Korb. Vielmehr verweist er auf die Überschüsse der Bundesländer, die mit einem Plus von 400 Millionen Euro das Jahr 2015 abgeschlossen haben, nach einem Defizit von 600 Millionen Euro im Vorjahr. Die Gemeinden erzielten sogar 3,9 Milliarden Euro Überschüsse. Schäuble lehnte die Begehren ab, verspricht aber Anpassungen zum Jahresende, die sich an der tatsächlichen Flüchtlingszahl orientieren.

Wünscht sich Steuerentlastungen als Folge des Haushaltsplus’: FDP-Chef Christian Lindner.
Wünscht sich Steuerentlastungen als Folge des Haushaltsplus’: FDP-Chef Christian Lindner. © dpa | Maja Hitij

Die Liberalen fordern unterdessen Entlastungen für alle Steuerzahler. „Es ist ein Gebot der Fairness, die Menschen, die diesen Überschuss erarbeitet haben, durch eine moderate Entlastung daran zu beteiligen“, sagte FDP-Chef Christian Lindner unserer Redaktion. Lindner befürwortet an erster Stelle die Bekämpfung der kalten Progression: „Die Untätigkeit der großen Koalition in dieser Frage steigert die Ungerechtigkeit im Steuersystem und bestraft die fleißigen Arbeiter und Angestellten.“ Zudem müsse das Versprechen eingehalten werden, den Solidaritätszuschlag 2019 auslaufen zu lassen. „Diese milden Entlastungen würden auch der Binnenkonjunktur in diesen unsicheren Zeiten wichtige Impulse geben“, sagte Lindner. Zudem sollte die Bundesregierung mehr Geld in Zukunftsthemen wie Bildung und digitale Infrastruktur investieren.

Ökonom rät von Steuergeschenken ab

Angesichts der vielen Wünsche schütteln Ökonomen nur den Kopf. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), Michael Hüther, warnt geradezu davor, die erzielten Haushaltsüberschüsse durch Mehrausgaben und Steuergeschenke zu verteilen. „Eine Verteilung von Überschüssen ist nur verantwortlich, wenn ein Land tragfähige Schulden hat und keine Belastungsverschärfungen in der Zukunft drohen. Beides ist derzeit nicht gegeben. Deutschland ist hoch verschuldet. Mit einer Verschuldungsquote von über 70 Prozent des Bruttoinlandproduktes liegen wir deutlich über den Maastricht-Kriterien. Zudem sind wir eine alternde und trotz aller Zuwanderung schrumpfende Bevölkerung. Insofern sollte die Zeit genutzt werden, Schuldenbestände zu reduzieren“, sagte er unserer Redaktion.

Allein durch die niedrigen Zinsen konnte der Bund im vergangenen Jahr 20 Milliarden Euro an Zinsen einsparen, rechnet der Ökonom vor. Schuldenabbau bringt also auch zusätzliche Einsparungen und neue Spielräume. Hüther geht davon aus, dass Bundesfinanzminister Schäuble sein Ziel der „schwarzen Null“ in diesem Jahr durchaus wieder erreichen könnte. „Die Konjunktur läuft gut, der Konsum brummt. Für dieses Jahr ist ein ausgeglichener Haushalt plausibel.“

Diese Worte sind natürlich Wasser auf die Mühlen des Bundesfinanzministers. Für Deutschlands obersten Kassenwart soll das Jahr 2015 keine Eintagsfliege bleiben. Auch für die nächsten Jahre will Schäuble „wenn irgendwie möglich“ ohne neue Schulden auskommen – und seine „schwarze Null“ erreichen. Eines müsse klar sein, so der kühle Rechner Anfang Februar: „Wir können uns nicht mehr alles und jedes leisten.“