Berlin. Frank-Jürgen Weise hat derzeit eine Menge Druck. Nach der Bundesagentur für Arbeit soll er nun auch das BAMF auf Vordermann bringen.

Frank-Jürgen Weise hat einen Sinn für feine Ironie. Man kann diese Ironie nicht hören, nur sehen. Weises Augen werden dann ganz klein, drumherum bilden sich Lachfalten.

Zum Beispiel, wenn er gefragt wird, ob es genügend Deutschlehrer für Flüchtlinge gibt. Weise antwortet dann sachlich, es gebe da ein paar kleine Schwierigkeiten, die Preise für Deutschlehrer hätten sich ja zuletzt erhöht. Plötzlich: kleine Augen, Grinsen. Dann spricht er weiter, präzise, scheinbar humorlos.

Großer Druck auf Deutschlands bekanntesten Behördenchef

Der Druck auf Deutschlands bekanntesten Behördenchef ist riesig. Weise, früher Manager in der Autobranche und Sanierer der Bundesagentur für Arbeit, soll ein Wunder vollbringen. Er soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, so umkrempeln, dass es den Berg von Asylanträgen bewältigen kann – einen stetig größer werdenden Berg, aktuell sind es 360.000 Anträge. Und das sind nur die, die schon gestellt wurden. Weise selbst schätzt, dass weitere 300.000 registrierte Flüchtlinge um Asyl bitten. Pessimisten schätzen sogar, dass noch eine Million Anträge bearbeitet werden müssen.

Das ist etwa so, als wenn man einen Sandhaufen wegschaufeln müsste, auf den immer neuer Sand fällt. Weise würde das nie so sagen. Seine Sprache ist eine andere: „In der Gesamtzahl ist eine Verbesserung unserer Produktivität zu sehen“, sagt er. „Aber sie wird aufgefressen durch die größere Zahl an neu ankommenden Flüchtlingen.“ Produktivität. In einer Behörde?

Das BAMF ist der Dreh- und Angelpunkt der Flüchtlingskrise. „Viele Fragen würden sich gar nicht stellen, wenn die Anträge schneller bearbeitet werden“, hat Horst Seehofer (CSU) im Kreis der Ministerpräsidenten gesagt. Aber: „Wenn es jemand schafft, dann Weise.“ Die Prognose, die der Behördenchef jüngst abgegeben habe, „stimmt mich zuversichtlich.“ Am Freitag will Weise in Berlin selbst über den aktuellen Stand berichten.

Behördenchef selbst hat andere für den Job vorgeschlagen

Aber kann ein Manager einer Behörde wirklich zeigen, wie sie ihren Job machen soll? Wie bringt man Beamte auf Trab, die sich erst vernachlässigt und jetzt überfordert fühlen? Und warum tut sich ein 64-Jähriger das nach einem erfolgreichen Arbeitsleben an?

Weise hat sich um den Job nicht gerissen. Er wollte nicht der Supermann sein, der die Aktenberge beim BAMF wegzaubert. Und kein Buhmann, wenn es mit dem Zaubern nicht klappt. Er hat andere vorgeschlagen für den Job. „Ich habe geahnt, dass das politisch intensiv wird“, sagt er. Sekundengrinsen. „Politisch“, das bedeutet in Weises Sprache „nicht an der Sache orientiert“.

Es war eine Mischung aus Herausforderung und Pflichtgefühl, weshalb er den Job angenommen hat. Und vielleicht auch Scham, dass ein Land wie Deutschland es nicht schafft, Flüchtlinge menschenwürdig zu behandeln.

Weise brachte Arbeitsagentur auf Vordermann

Weise, verheiratet, zwei Kinder, studierter Betriebswirt und ausgebildeter Soldat, hat sein Leben lang Arbeitsabläufe organisiert, kontrolliert und optimiert. Bei der Bundeswehr, in der Auto- und in der Stahlindustrie. Ein von ihm mitverfasstes Buch trägt den Titel „Einführen von Logistik in Unternehmen; eine spannende Anleitung zum programmierten Erfolg“ .

Seit mehr als elf Jahren ist Weise Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die galt damals auch als Sanierungsfall. Jetzt verwaltet die BA ihre fast drei Millionen Arbeitslosen so effizient wie nie zuvor. Im vergangenen Jahr haben Weises Leute einen Überschuss von 3,5 Milliarden Euro erarbeitet. Überschuss. In einer Behörde.

Bei der BA hatte Weise Zeit, sich und die Mitarbeiter auf den Umbau vorzubereiten. Beim BAMF muss er nach Wochen, höchstens Monaten Erfolge vorweisen. Und das im Nebenberuf. Das Sozialgesetzbuch verbietet es dem Chef der Bundesagentur, ein anderes bezahltes Amt anzunehmen, weshalb Weise nur „Leiter“ des BAMF ist und nicht „Präsident“. Die Bundesagentur hat zusammen mit den Jobcentern rund 100.000 Mitarbeiter, das BAMF noch nicht einmal ein Zehntel davon.

Diszipliniert, ehrgeizig, stets pünktlich

Weise sitzt morgens schon um sechs Uhr am Schreibtisch. Dann trifft er die wichtigen Entscheidungen. Abends ist alles abgearbeitet und die Tischplatte wieder leer. Diszipliniert, ehrgeizig, stets pünktlich – so wird Weise von anderen beschrieben. Seine einzige Freiheit sind Motorradtouren auf der Harley Davidson. Und ab und an eine Zigarre und ein Glas Rotwein.

Weises Vertrag bei der Bundesagentur läuft noch bis Ende 2016, dann ist er 65 Jahre alt. Der Börsengang einer von ihm mitgegründeten Firma hat ihn finanziell unabhängig gemacht. Er müsste das alles nicht machen. Aber er hat eben gern Erfolg, wie er sagt.

Höhere Produktivität also, darum soll es jetzt beim Flüchtlingsamt gehen. Neue Computer, neue Software, vor allem fast 4000 neue Mitarbeiter. Wie viele Flüchtlinge kommen pro Tag? Wie viele Anträge können pro Tag bearbeitet werden? Warum müssen viermal die Fingerabdrücke genommen werden?

Weise zerlegt die Flüchtlingskrise in kleine Arbeitsschritte. Hört man ihm zu, klingt alles einfach. Dann müssen die Arbeitsschritte nur noch zusammengefügt werden und es entsteht ein reibungsloses Asylverfahren vom Antrag bis zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Schaffen wir das? Ja, sagt Weise. Wenn das BAMF neue Stellen bekommt und die Neuorganisation klappt, dann können 2016 die Anträge von 500.000 neuen Flüchtlingen bewältigt werden. Wenn – dann. Der Ressourceneinsatz bedingt das Ergebnis. So funktioniert Weises Welt. Die Frage nach einer Obergrenze gibt es in dieser Welt nicht.

Mehrfach war er als Soldat in Afghanistan im Dienst

Ganz ähnlich hat Weise schon die Arbeitsagenturen umorganisiert. Als er kam, waren die Flure dort voll mit Menschen, die lange warten mussten, nur um etwas abzugeben. Unwürdig sei das, fand Weise damals für die Arbeitslosen und die Mitarbeiter der Agenturen. Heute muss kaum noch jemand auf dem Behördenflur warten.

Weise holt sich Berater, verschafft sich ein Lagebild. „Transparenz herstellen“, nennt er das. Allein schafft er das nie, er ist kein Supermann: „Ich mag diese Überhöhung nicht.“

Jetzt also Flüchtlinge statt Arbeitslose. Man müsse sie „sorgfältig und gut bedienen“, sagt Weise. Man hört dabei den Manager, der an seine Kunden denkt. Er sagt aber auch: „Der Minister wird Ende des Jahres von mir eine Meldung bekommen.“ So spricht Weise, der Soldat. Mehrfach war er als Reserveoffizier in Afghanistan im Einsatz, einmal stand er dort zufällig Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber – in Uniform.

BAMF-Mitarbeiter leisten viele Überstunden

Das Zusammentreffen der BAMF-Mitarbeiter mit ihrem neuen Chef war schmerzhaft. Das BAMF hat mehrere Sparrunden erlebt, es war eine seit Jahren schrumpfende Behörde ohne politische Lobby. „Wir sind es nicht gewöhnt, so hohen Druck im operativen Geschäft zu haben“, soll der Personalrat Weise zur Begrüßung gesagt haben. Der wiederum beschrieb das Aufeinandertreffen mit den BAMF-Leuten als „gegenseitige Belastung“: Für die Mitarbeiter, für ihn „und für die Flüchtlinge ist es auch eine Belastung, wie wir sie behandeln.“ Als Weise das sagte, wirkte er, der gläubige Christ, enttäuscht, fast verbittert. Inzwischen sind die BAMF-Mitarbeiter bereit, 40 Überstunden pro Monat zu machen.

Erstaunlich offen lässt Weise erkennen, wie fassungslos er über die Organisation und die Zustände im BAMF war. „Rückständige Arbeitsabläufe“ gebe es dort, berichtet er, zum Teil würden Akten handschriftlich geführt. Die Schuldigen? „Auf der Ebene der Amtsleitung muss man in ruhigen Zeiten unruhig sein“, antwortet Weise diplomatisch. Sein Job ist es, Aufträge abzuarbeiten. Selbst Politik machen will er nicht. Das macht ihn bei Politikern so beliebt.

Er weiß aber auch: „Manchmal muss man in Deckung gehen, um nicht ins politische Schussfeld zu geraten“, sagt er. Da ist sie wieder, diese feine Ironie.