Berlin. Ursula von der Leyen will die Flüchtlingshilfe der Bundeswehr im Sommer beenden. Das wird vor allem für die Stadtstaaten ein Problem.

Man kann Ursula von der Leyen nicht vorwerfen, dass sie nichts für Flüchtlinge tut. Von Herbst 2014 bis zum Frühjahr 2015 nahm die Verteidigungsministerin einen Flüchtling aus Syrien bei sich auf. Er wohnte in einem Zimmer ihres Hauses in Beinhorn bei Hannover. Heute lebt der 20-Jährige in einer kleinen Wohnung in Hannover, macht eine Ausbildung und hilft Flüchtlingen, unter anderem bei Behördengängen.

Auch ihr Ministerium hilft wie kein Zweites in der Flüchtlingskrise. „Maximale Kulanz“, das war die Leitidee, die von der Leyen im Sommer 2015 ausgegeben hatte. Rund 7600 Soldaten sind dafür abgestellt, in der Spitze waren bis zu 9000 am Tag im Einsatz. Doch damit soll im Sommer 2016 Schluss sein.

Konzentration auf das Kerngeschäft

„Aus einer Amtshilfe in akuter Not darf keine Regelaufgabe der Bundeswehr werden“, sagte die CDU-Politikerin vor Kurzem in einem Interview mit dem Magazin des Bundeswehrverbandes. „Ich habe deshalb für mich die Linie gezogen, dass wir bis zum Sommer – wenn die Situation sich aufgrund der ergriffenen Maßnahmen verbessert hat – den Kommunen und Ländern durch unsere Amtshilfe ausreichend Raum verschaffen, um ohne Hektik nach und nach die Lücken aufzufüllen und eigene Strukturen aufzubauen.“

Die Truppe sei schließlich auch in ihrem Kerngeschäft gefordert wie selten zuvor, so die Ministerin. Das heißt: in der Landes- und Bündnisverteidigung sowie in den Auslandseinsätzen. Bei Letzteren hat sich Ende 2015 einiges getan. Unter anderem werden mehr Soldaten in Mali und Afghanistan gebraucht. Zudem fliegen Bundeswehr-Tornados seit Kurzem Aufklärungsflüge über die vom „Islamischen Staat“ (IS) besetzten Gebiete Syriens.

Von der Leyen plant das Ende der Ausnahmesituation

In der Flüchtlingskrise hilft die Bundeswehr etwa bei der Essensausgabe, mit Sanitätsdiensten und Transporten. Kasernen wurden kurzfristig als Schlafstätten für Asylsuchende hergerichtet. Unter anderem wurden so ehrenamtliche Helfer entlastet. Zudem unterstützen Soldaten die Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ohne die Hilfe der Soldaten hätte Deutschland in der Flüchtlingskrise sicher weitaus mehr Probleme. Doch von der Leyen plant das Ende der Ausnahmesituation.

Die Bundeswehr wird von der Politik als ein vielseitiges Werkzeug genutzt. Der Imagegewinn der Truppe, die sonst vor allem mit Auslandseinsätzen oder Pannenhubschraubern in die Schlagzeilen gerät, ist sicher groß angesichts der unbürokratischen Hilfe in der Flüchtlingskrise.

„Die Bundeswehr ist keine Personalreserve für Länder und Kommunen“

Der Wehrbeauftragte des Bundestags begrüßt von der Leyens Ansage. „Das ist eine vernünftige Entscheidung“, sagte Hans-Peter Bartels (SPD) unserer Redaktion. „Die Bundeswehr ist keine Personalreserve für Länder und Kommunen. Diese haben jetzt Zeit bis zur Mitte des Jahres sich umzustellen.“ Es könne natürlich immer noch sein, dass die Bundeswehr im Notfall hilft. „Aber das sollten dann Ausnahmen sein.“

Auch André Wüstner, Bundesvorsitzender des Bundeswehrverbandes, begrüßt die Ankündigung der Ministerin. „Es ist grundsätzlich gut, wenn sich die Bundeswehr mit Blick auf die zunehmenden Anforderungen – wie beispielsweise die Einsätze in Mali und Syrien – wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren kann“, sagte Wüstner dieser Zeitung.

Von Juli bis Oktober hat die Flüchtlingshilfe der Bundeswehr Kosten von 70 Millionen Euro verursacht, wie aus einer Antwort auf eine Parlamentsanfrage hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegt. Überschlägt man diesen Betrag, dürften bis Mitte Januar Kosten von etwa 150 Millionen Euro entstanden sein.

„Flüchtlingspolitik ist kein Aufgabenfeld fürs Militär“

In 791 Fällen hat die Bundeswehr bis Anfang Dezember Hilfe geleistet. Überproportional oft wurde Hilfe von den Stadtstaaten erbeten: Aus Berlin kamen 48 Anfragen, aus Hamburg 23 und aus Bremen 17. Nordrhein-Westfalen mit 17,6 Millionen Einwohnern und Bayern mit 12,7 Millionen stellten hingegen nur 74 beziehungsweise 64 Anträge. Zum Vergleich: In Berlin leben 3,5 Millionen, in Hamburg 1,8 Millionen und in Bremen 660.000 Menschen. Die Stadtstaaten haben vor allem bei der Unterbringung große Probleme.

Linke-Politikerin Ulla Jelpke erwartet, dass „die zivilen Behörden und Hilfsorganisationen besser gefördert und in die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben ohne militärische Hilfe nachzukommen“. Flüchtlingspolitik sei kein Aufgabenfeld fürs Militär, so Jelpke.

Kanzlerin plant Aufstockung des Verteidigungsetats

Im Verteidigungsministerium ist die Führungsspitze zunehmend ungehalten über die Länder, die Aufgaben auslagern und der Bundeswehr überlassen wollen. „Wir sind keine Lückenfüller“, heißt es in der Führungsspitze am Bendlerblock.

Doch während die Bundeswehr wieder einmal viel leistet, kommt unerwartete Hilfe. Die Bundeskanzlerin, die bisher nicht mit besonderem Interesse für die Truppe aufgefallen ist, plant offenbar eine Aufstockung des Verteidigungsetats. Das hat die Kanzlerin laut „Bild“-Zeitung im Verteidigungsausschuss des Bundestags angekündigt. Sie reagiert damit wohl auf wachsenden Druck aus den USA. Washington kritisiert schon seit Längerem, dass Deutschland und andere Nato-Partner ihren Verteidigungsetat nicht wie vereinbart dauerhaft auf zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aufstocken.

Länder müssen jetzt stabile Strukturen aufbauen

Viele Experten sehen die Truppe am Rande ihrer Leistungsfähigkeit, bemängeln die Ausstattung der Bundeswehr. Ursula von der Leyens Sommerultimatum soll als eine Art Warnruf an Länder und Kommunen verstanden werden. Diese sollen sich jetzt um den Aufbau eigener stabiler Strukturen kümmern.

Möglich ist es theoretisch auch, dass die Ministerin eine kleine Drohkulisse aufbaut. Nach dem Motto „Wenn wir in der Flüchtlingskrise weiterhelfen sollen, dann brauchen wir aber auch mehr Soldaten und mehr Geld.“ Denn eine Sache kann die Bundesregierung nicht berechenbar vorhersehen: Wie viele Flüchtlinge es im Frühjahr und im Sommer bis nach Deutschland schaffen.