Berlin. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Patienten den Zugang zu Cannabis erleichtern soll.

Hanfanbau im Auftrag des Staates und Cannabis auf Kassenrezept: Es klingt wie der Wunschtraum eines berauschten Hippies – doch dahinter steckt der Versuch, schwerkranken Patienten den Zugang zu Cannabis als Arzneimittel zu erleichtern. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Ärzten erlaubt, ihren Patienten in Zukunft bis zu 100 Gramm Medizinalhanf pro Monat zu verschreiben, den Hanfanbau wird eine staatliche „Cannabis-Agentur“ regeln. „Das Gesetz soll in diesem Jahr in Kraft treten, so dass die Krankenkassen die Kosten für die entsprechende medizinische Behandlung dann übernehmen“, sagte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, unserer Redaktion.

Bei welchen Krankheiten kann Cannabis helfen?

Ärzte setzen Cannabis bislang bei Krebspatienten oder Aids-Kranken ein, die unter Appetitlosigkeit oder Übelkeit leiden, aber auch bei Patienten mit Multipler Sklerose, zur Linderung der Muskelkrämpfe. Nützlich kann Cannabis auch in der Schmerztherapie sein. Einzelne Medikamente mit dem Cannabis-Wirkstoff THC sind bereits jetzt auf ärztliche Verschreibung erhältlich – aber in der Regel nicht erstattungsfähig. Für reine Cannabisprodukte wie getrocknete Cannabisblüten oder Cannabisextrakte brauchen Patienten sogar eine staatliche Sondergenehmigung. Anfang dieses Jahres hatten 581 Patienten in Deutschland eine solche Ausnahmeerlaubnis – 125 in NRW, 28 in Berlin, 13 in Hamburg, 51 in Niedersachsen und sieben in Thüringen. Die Kosten für die Medikamente müssen die Patienten selbst tragen: Allein beim Medizinalhanf (Cannabisblüten) sind es pro Monat bis zu 1800 pro Patient. Bundesweit, so schätzt das Gesundheitsministerium, geben Patienten derzeit dafür pro Jahr insgesamt 864.000 Euro aus.

Welche Rolle spielt Cannabis in der Palliativmedizin?

Seit Jahren nutzen Palliativmediziner Medikamente mit dem Cannabis-Wirkstoff. „Allerdings ist der anfängliche Enthusiasmus verflogen“, beobachtet Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Der Bonner Palliativmediziner dämpft die Erwartungen: „Bei vielen Patienten reicht die Wirkung nicht aus und andere Patienten brechen die Therapie wegen Nebenwirkungen ab.“

Fördert der Staat nun den Hanf-Anbau?

Ja. Die Bundesregierung rechnet mit einer stark erhöhten Nachfrage nach Medizinalhanf, „der voraussichtlich über den Import aus anderen Ländern nicht gedeckt werden kann“, heißt es im Gesetzentwurf. Eine staatliche „Cannabis Agentur“ beim Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) soll per Wettbewerbsverfahren geeignete Anbaubetriebe in Deutschland finden, den Preis festlegen, die Qualität kontrollieren und die Belieferung von Herstellern und Apotheken organisieren. Der Eigenanbau von Hanf soll dagegen weiter verboten bleiben. Einmal, um den Missbrauch zu verhindern, aber auch deshalb, weil beim Eigenanbau die medizinische Qualität nicht gesichert ist.

Cannabis auf Kassenrezept – wie soll das funktionieren?

Ärzte können in Zukunft nicht nur Arzneimittel mit Cannabiswirkstoff, sondern auch reine Cannabisprodukte ohne Sondergenehmigung verschreiben. Bei der Kostenerstattung durch die Krankenkassen aber gibt es enge Grenzen: Voraussetzung ist eine schwerwiegende chronische Erkrankung. Das heißt: Der Patient muss mindestens ein Jahr lang und mindestens einmal im Quartal deswegen behandelt worden sein. Dazu muss er entweder Pflegestufe 2 oder 3 haben oder einen hohen Behindertenstatus oder eine medizinische Dauerversorgung benötigen, um eine lebensbedrohliche Verschlechterung abzuwenden. Hinzu kommt: Wer Cannabis als Arzneimittel erstattet bekommen will, muss bereit sein, an einer Begleitforschung teilzunehmen. Ab 1. August 2019 soll dann endgültig geregelt werden, in welchen Fällen es auf Dauer eine Erstattung geben wird.

Wie viele Patienten profitieren von der Freigabe?

„In Folge des Gesetzes erwarten wir, dass die Anzahl der Patienten steigt“, sagte der Sprecher des Spitzenverbands der Krankenkassen unserer Redaktion. In den Augen der Grünen dagegen hilft Gröhes Gesetz nur minimal: „Cannabishaltige Medikamente sollen weiterhin nur dann verschrieben werden dürfen, wenn die Betroffenen alle anderen Behandlungsmöglichkeiten erfolglos ausprobiert haben“, kritisierte Harald Terpe, Arzt und drogenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag gegenüber unserer Redaktion. „Die Bundesregierung legt damit Schwerkranken auf der Suche nach Hilfe weiterhin dicke Steine in den Weg.“ Es gebe immer noch „ideologische Scheuklappen“.

Kommt als nächstes die vollständige Legalisierung von Cannabis?

Nicht, so lange die Union regiert. Die Mehrheit von CDU und CSU will, dass Anbau, Besitz und Handel grundsätzlich weiter verboten bleiben. Nur der Besitz von kleineren Mengen für den Eigenbedarf soll weiter straffrei bleiben. Die Grünen dagegen sind seit langem für eine Legalisierung, auch etliche Strafrechtler halten es für sinnvoll, die Droge aus der Illegalität zu holen, die Konsumenten nicht länger zu kriminalisieren und auf diese Weise den Schwarzmarkt auszutrocknen.