Berlin/Düsseldorf. Die Verunsicherung in der Bevölkerung nach den sexuellen Übergriffen in Köln ist groß. Bürger wollen sich nun selbst verteidigen.

Es ist eine eilig angesetzte Pressekonferenz. Um 16.15 Uhr trifft eine Mail ein, in der steht, dass Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) um 17 Uhr „ein Statement aus aktuellem Anlass“ abgeben wird.

Dann kommt das, was nach den sexuellen Attacken von Köln und der schleppenden Informationspolitik der Polizei alle erwarten: Jäger schickt Kölns Polizeipräsidenten Wolfgang Albers in den einstweiligen Ruhestand. Albers habe dafür großes Verständnis aufgebracht, sagt Jäger.

Es ist eine knappe Erklärung, Jäger wirkt angespannt, nach knapp zwei Minuten ist alles vorbei. Nachfragen werden nicht zugelassen. Wolfgang Albers hat zuvor noch versucht, sich zu verteidigen – in einer am Freitagnachmittag veröffentlichten Erklärung hieß es: „Mir vorzuwerfen, dass ich die Herkunft von Tatverdächtigen verschleiert hätte, ist daher vollkommen abstrus.“ Aber das kam zu spät.

Wegen Albers stieg der Druck auf Jäger

Solang Albers im Amt war, stieg der Druck auf Jäger. Am Freitagnachmittag versucht der Minister, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Und Jäger sagt bei der Pressekonferenz auch, warum er sich zu diesem Schritt entschieden hat – und warum er noch vor dem Wochenende gehandelt hat: „Meine Entscheidung, meine Damen und Herren, ist jetzt notwendig, weil das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Kölner Polizei wiederhergestellt werden muss.“

Das ist auch bitter nötig: Die Deutschen verlieren nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht ihr Vertrauen in den Staat. Die Ohnmacht der Polizei gegenüber den Tätern hinterlässt bei den Menschen das Gefühl: Der Staat kann die Sicherheit seiner Bürger nicht mehr garantieren.

Mehr Deutsche wollen Massenveranstaltungen meiden

Das zeigt auch eine aktuelle Studie: 30 Prozent der Deutschen wollen nach den Ereignissen von Köln größere Menschenansammlungen meiden, wie eine Umfrage von Infratest Dimap für die ARD ergeben hat. 37 Prozent der Frauen werden demnach in Zukunft Menschenmassen umgehen – bei den Männern sind es 21 Prozent.

In der Silvesternacht hatten Gruppen von jungen Männern auf der Domplatte und vor dem Hauptbahnhof Frauen umzingelt, beklaut, begrapscht. Doch die Beamten waren unterbesetzt. Unter den Tatverdächtigen sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums auch Flüchtlinge: Die Bundespolizei hat bisher 31 namentlich bekannte Tatverdächtige festgestellt – 18 von ihnen sind Asylbewerber. Mittlerweile sind 170 Anzeigen eingegangen, davon 120 mit sexuellem Hintergrund.

Schleppende Informationspolitik

Köln ist eine Zäsur. Es geht um schleppende Informationspolitik. Um das Gefühl, dass wichtige Informationen von der Polizei vertuscht und verschwiegen werden. Um die hilflosen Sätze im internen Bericht der Bundespolizei: „Es waren einfach zu viele zur gleichen Zeit.“

Und jede Meldung gibt auch dem Gefühl, dass der Staat die Dinge nicht im Griff hat, neue Nahrung. Die Kölner Polizei nimmt zwei Verdächtige fest – doch die mutmaßlichen Trickdiebe sind nur ein paar Stunden später wieder frei. Der Tatverdacht gegen die beiden habe sich nicht erhärtet, sagt Staatsanwalt Benedikt Kortz.

Geklaute Handys in Flüchtlingsheimen geortet

Bei den 16 und 23 Jahre alten Männern aus Marokko und Tunesien wurden Mobiltelefone sicher gestellt. Laut WDR zeigen Videos auf den Handys Ausschreitungen und Übergriffe auf Frauen. Polizei und Staatsanwaltschaft kommentieren das nicht. Im Internet ist ein Zettel zu sehen, der bei den Männern gefunden wurde. Auf diesem stehen Sprüche auf Deutsch und auf Arabisch, unter anderem „Ich will fucken“, „große Brüste“ und „Ich töte sie“. Und der „Spiegel“ meldet: Die Polizei konnte einiger der in der Silvesternacht gestohlene Handys orten. In manchen Fällen führten die Spuren in Flüchtlingsheime.

Es kommt das Gefühl auf: Die Flüchtlingsbewegung droht außer Kontrolle zu geraten. So könnte die Politik auch das Vertrauen der Menschen verlieren, die der Ankunft der vielen Menschen bisher positiv oder neutral gegenübergestanden haben.

Dabei geht es vor allem um das Versagen der Behörden, nicht um die angebliche Unfähigkeit des einzelnen Polizisten. Diesen Unterschied machen die Deutschen: In der Umfrage von Infratest Dimap gaben 77 Prozent der Befragten an, großes oder sehr großes Vertrauen in die Polizei zu haben.

Immer mehr Menschen kaufen Pfefferspray

Doch selten war die Kritik an einer Polizeibehörde so hart wie jetzt. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) kritisierte im „Spiegel“ die Polizei: „Wenn sich zwischen Bahnhof und Dom Menschengruppen zusammenrotten und Frauen dort Spießruten laufen müssen, dann müsste das doch auffallen.“ Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) betont in der „FAZ“: „Es darf keine Schweigespirale geben, schon gar nicht darf sie von der Polizei ausgehen.“ Wenn Täter einen Migrations- oder Flüchtlingshintergrund hätten, dürfe das nicht verschwiegen werden.

Ein Indikator für das verletzte Sicherheitsgefühl der Deutschen: Sie wollen sich verteidigen. Die Nachfrage nach legalen Selbstverteidigungsmitteln ist stark gestiegen. Beliebt sind etwa Pfeffersprays. Beim Online-Versandhändler Amazon rangierten am Freitagnachmittag acht verschiedene Pfeffersprays in der Top 10 der Kategorie Sport und Freizeit. Auf Facebook wurde eine Reck Double Eagle, Kaliber 8 Millimeter, angeboten – und war nach zwei Stunden weg. Verkauft für 75 Euro. Die Pistole, eine Schreckschusswaffe, keine scharfe, trägt jetzt jemand, der sich schützen will.

Waffenhändler bekommen großen Zulauf

„Frei verkäufliche Elektroschocker, Schlagstöcke, Gas- und Schreckschusspistolen, Gas- und Pfeffersprays haben schon seit Monaten stark im Verkauf angezogen“, sagte am Freitag ein Waffenhändler in Köln. „Nach Silvester ging die Nachfrage noch einmal steil nach oben.“ Ganz normale Menschen, „Otto Normalos“, wie er sagt, kämen seit der Silversternacht in sein Geschäft. „Sie wollen was in der Tasche haben, das ihnen im Notfall hilft.“

Da sich vielen Menschen Sorgen um ihre Sicherheit machen, werden Bürgerwehren gegründet. Keine „Kölner Verhältnisse“ – das ist die Botschaft der Initiative „Düsseldorf passt auf“. Sie versteht sich als Schutzbündnis von Bürgern für Bürger – und zählt fast 10.000 Mitglieder auf Facebook. Belästigungen von Frauen seien auch in der NRW-Landeshauptstadt „immer wieder der Fall“, heißt es. Künftig werde man häufiger „durch die Stadt zu ziehen“ und „mit Präsenz und Gewaltlosigkeit“ klarmachen, „dass so etwas in unserer schönen Stadt absolut nicht toleriert wird“.