Wildbad Kreuth . Die CSU will eine Begrenzung des Flüchtlingsstroms „massiv“ anmahnen. Parteichef Seehofer fängt in Kreuth bei Kanzlerin Merkel an.

Der Hubschrauber kommt, man hört ihn. Angela Merkel im Anflug. Die Kanzlerin! In Kreuth! Erstmals! In der CSU-Tagungsstätte sind alle aus dem Häuschen, Kellner, Sanitäter, Mitarbeiter. Merkel gucken. Da kommt sie, schwarzer Anzug, Daunenjacke. Horst Seehofer, der CSU-Chef, wird sie empfangen, die Begrüßung aber Gerda Hasselfeldt überlassen. Es ist ihre Klausur, ihr Gast, Showtime für die Chefin der CSU-Landesgruppe. Hasselfeldt ist aufgekratzt, ihre Stimme klingt leicht aufgeregt, Seehofer aber bleibt cool.

Er weiß, die Ehre sowohl zu schätzen als auch einzuordnen. Wozu die CDU ihre Schwesterpartei brauche? Um die Kanzlerin zu stellen. Deswegen also ist Merkel hier und erweist der CSU die Reverenz. Aus Machtkalkül. Kein Schmu. Beide wissen, dass sie zwei Stunden später keine „völlig andere Flüchtlingspolitik“ haben werden, wie Seehofer sagt. Sie hätten unterschiedliche Positionen, bestätigt Merkel. Das werde sich an diesem Tag „wahrscheinlich auch nicht ändern“. Seehofer will nationale Obergrenzen, sie verteidigt offene Grenzen. Er denkt an Bayern, vielleicht an Deutschland, sie denkt auch an Europa. Und so lässt sich 2016 an, wie das alte Jahr zu Ende gegangen ist: Seehofer bearbeitet Merkel. So weit, so vertraut. Und so vergeblich?

Die Flüchtlingszahlen sind Seehofers Fieberkurve

Am Morgen bezieht die Alternative für Deutschland (AfD) ihren Posten am Straßenrand, am Ortsausgang, kurz bevor man nach Wildbad Kreuth abbiegt, den Berg hoch. Es sind nur ein paar Dutzend Demonstranten, nicht mehr, einige halten Plakate hoch: „Stoppt Merkel“.

Der Protest, wiewohl klein, erfüllt seinen Zweck. Er erinnert nicht nur Seehofer daran, dass die AfD für seine Partei eine Herausforderung ist, „für die Union insgesamt“; und es bleiben wird, „bis das Problem gelöst ist“. Es ist eine Randepisode, buchstäblich, und doch kann man sie als Vorschau und als Warnung vor einem Problem sehen, „das niemand von uns vor zwölf Monaten auf der Agenda hatte“. Seehofer redet von der Flüchtlingskrise, nicht von der AfD.

Es ist wie ein Silvestersketch. Alle Jahre wieder, um Dreikönig herum, lädt die Berliner CSU-Landesgruppe zur Klausur nach Kreuth ein. Das Wort weckt falsche Assoziationen: Klausur, ein Raum der Ruhe, der Einkehr? Es ist genau andersherum. Kreuth ist der Ballyhoo, pure Rauflust zu Jahresbeginn. So war das immer, so ist es auch jetzt, im 40. Jahr.

2016 will Seehofer nachholen, was ihm bisher misslang: Den Zustrom an Flüchtlingen begrenzen. Die CSU lässt nicht locker, „die Bevölkerung kann sich darauf verlassen“. Die Entwicklung der Flüchtlingszahlen ist Seehofers Fieberkurve. Nach Silvester waren es 3000, und am Dienstag wurden schon wieder 4000 an der bayrischen Grenze gezählt. Wenn Seehofer diese Zahl auf das gesamte Jahr hochrechnet, kommt er auf eine Million Menschen, schon wieder. Da packt ihn der Zorn.

Nicht im Zorn, sondern wohl überlegt hat er vor Kreuth eine „Obergrenze“ gefordert, was überhört worden wäre, hätte der CSU-Chef nicht „bewusst“ erstmals auch eine Hausnummer genannt, eine Orientierungsgröße , wie es Hasselfeldt ausdrückt. Etwa 200.000 Flüchtlinge im Jahr – mehr sollen es nicht sein. Die Marke ist nicht mal so willkürlich, wie sie klingt. Erstens sind etwa so viele Menschen 2014 gekommen, nach CSU-Lesart: das letzte normale Jahr. Zweitens entspricht sie grob der deutschen Quote in der EU, die bei 26 Prozent liegt, wenn man zugleich einen Zuzug nach Europa von rund 800.000 Flüchtlingen annimmt.

Seehofer will mehr „Ehrlichkeit“ in der Asyldebatte

Seehofer steht mittags in Kreuth vor dem Bildungszentrum der Hanns-Seidel-Stiftung, im Hintergrund die schneegepuderte Alpenkulisse, um sich herum ein Journalistenpulk, und redet von der Notwendigkeit, „sich ehrlich zu machen“. Er meint die Zahl der Flüchtlinge und den Rückstau an Asylanträgen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Er hat im Kopf, dass Hunderttausende Flüchtlinge schon da sind, aber noch ihren Asylantrag stellen werden. Er sorgt sich, dass im Frühjahr, wenn das Wetter wieder besser ist, mehr Menschen kommen. Er denkt an den Familiennachzug, der sich erahnen lässt, und streift die „unsäglichen“ und „erschütternden“ Vorgänge in Köln.

Er behauptet nicht, dass Flüchtlinge für die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht verantwortlich wären; so voreilig zieht er keine Schlüsse. Aber sie bestätigen ihn in seiner Sorge, wie viel bei der Integration schief gehen kann. Aussprechen, was ist, das gehört von jeher zum politischen Selbstverständnis der CSU. Weshalb ein Mann wie der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich oder Generalsekretär Andreas Scheuer in Interviews von einem Schweigekartell und falsch verstandener Vorsicht nach Köln gesprochen haben. Gemeint ist das Schweigekartell der öffentlich rechtlichen Medien.

Seehofer streitet mit Merkel seit den ersten Septembertagen 2015

Es ist wohl kaum auch die CSU, die sich nach Seehofers Mahnung erst noch „ehrlich“ machen muss, sondern eher ihr prominenter Gast. Mit Merkel streitet er seit der Zuspitzung des Flüchtlingszustroms, seit den ersten Septembertagen 2015 um eine Begrenzung, die er und die CSU auch 2016 „massiv“ anmahnen werden. „In aller Sachlichkeit, in aller Ruhe“ will Seehofer bei seiner Forderung bleiben, „dass wir 2016 eine Wende in der Flüchtlingspolitik in allen Facetten brauchen“. Er glaubt, dass die CSU nur dann stärker als alle anderen Parteien im bayrischen Landtag bleiben wird, wenn sie eine bessere Integration und eine Begrenzung des Zustroms an Flüchtlinge anmahnt - und durchsetzt. Denn: „Abgerechnet wird immer an der Grenze“.

An der bayrischen Grenze.