Berlin. Parteichef Sigmar Gabriel hat nicht nur Freunde in der SPD. Der Parteitag hat ihm nun den Start in Richtung Kanzleramt vermasselt.

Es schien gerade gut zu laufen für SPD-Chef Sigmar Gabriel, aber an dieser Klatsche wird er noch lange zu knabbern haben. Und seine Partei auch. Gabriels Wahlergebnis als Parteichef ist nach sechs Jahren Amtszeit schon für sich gesehen eine bittere Niederlage – aber dass ihm jeder vierte Delegierte ausgerechnet jetzt die Zustimmung versagt, wo Gabriel für jeden sichtbar seine Kanzlerkandidatur vorbereitet und Rückenwind nötiger hätte denn je, ist ein Misstrauensvotum mit weitreichenden Folgen.

Nun ist klar: Bei seinem Sturm aufs Kanzleramt hat Gabriel bis auf weiteres nicht die gesamte Partei hinter sich. Einem kleinen Teil der SPD ist es offenkundig lieber, nach 2017 in die Opposition zu ziehen, als unter Gabriels Führung mindestens um eine Beteiligung an der Regierung zu kämpfen. Ein kläglicheres Signal hätten seine Kritiker kaum setzen können.

Gabriel wollte die Partei in die Mitte rücken

Gewiss, Gabriel hat seiner Partei einiges zugemutet. Vieles kommt da zusammen: Wie er im Basta-Stil die Vorratsdatenspeicherung im Frühjahr durchgesetzt hat, nehmen ihm manche bis heute übel – auch wenn Gabriels Entscheidung als solche richtig war. Kaum auszudenken, welche Debatte die SPD jetzt nach den Terroranschlägen von Paris auszuhalten hätte. Wie Gabriel von den früheren Steuererhöhungsplänen aus Oppositionszeiten abrückte, hält die Parteilinke für einen Verstoß gegen die Beschlusslage – auch wenn weithin unumstritten ist, dass die Steuerpläne so kaum noch einmal für einen Wahlkampf taugen.

Sein Einsatz für das Freihandelsabkommen TTIP bringt ihm Kritik ein, sein Umgang mit der überforderten Generalsekretärin Fahimi auch. Vor allem aber fühlt sich die Parteilinke provoziert von Gabriels Versuch, die SPD wieder stärker in die Mitte zu rücken – dort, wo die Wahlen gewonnen werden.

Eigentlich kann sich Gabriels Politik sehen lassen

Inhaltlich muss sich der Vorsitzende keine Vorwürfe machen, als Parteichef und Kanzlerkandidat steuert er den richtigen Kurs. Er hat auch keinen Grund, jetzt die Flinte ins Korn zu werfen. Eine ausreichende Mehrheit der Partei trägt die Linie des Vorsitzenden. Der Parteitag hat in Gabriels Sinne wichtige Pflöcke eingeschlagen: Er hat in der Flüchtlingspolitik den Brückenschlag akzeptiert zwischen denen, die beim Zuzug die Grenze der Belastbarkeit gekommen sehen, und jenen Willkommenseuphorikern, die vor allem in der Parteilinken zu finden sind. In der Familienpolitik hat der Konvent ein ehrgeiziges Programm zur Entlastung von Arbeitnehmern mit Kindern beschlossen.

Und auch jenseits dessen hat Gabriel bereits die ersten Leitplanken für die Wahl 2017 gesetzt: Der Vorsitzende will die SPD attraktiv machen auch für jene Wähler, die sich von der Kanzlerin enttäuscht abwenden. Er bietet eine Politik der umfassenden Sicherheit an, die soziale Absicherung ebenso umfasst wie den Schutz vor Kriminalität und die Beteiligung am internationalen Krisenmanagement. Das alles kann sich sehen lassen. Während es die CDU im Umgang mit der Flüchtlingskrise fast zerreißt, steht die SPD in zentralen Fragen doch weitgehend geschlossen da.

Noch ist nichts verloren

Aber was nützt ihr das? Die öffentliche Ohrfeige für den Parteichef ist ein Rückschlag mit Blick auf 2017 – dabei waren die Aussichten auch schon zuvor trübe: So sehr Kanzlerin Merkel wegen der Flüchtlingspolitik in den eigenen Reihen unter Druck gerät und bei Wählern an Zustimmung verliert, die SPD hat davon in Umfragen bisher nicht profitieren können. Was er auch versuchte, Gabriel konnte die Sozialdemokraten bisher nicht aus dem 25-Prozent-Turm befreien. Die Erfolge der Regierung werden der Kanzlerin gutgeschrieben.

Gabriel hat aber schon recht: Es ist Unsinn, die Wahl zwei Jahre vorher verloren zu geben. So chancenlos, wie es noch im Sommer aussah, ist sein Unternehmen nicht mehr. Merkels Nimbus der Unantastbarkeit ist dahin. Nichts scheint mehr ausgeschlossen.

Und wenn er scheitert? Für den Kanzlerkandidaten wäre schon einiges erreicht, wenn er 2017 Schwarz-Grün verhindern und die SPD noch einmal in eine Große Koalition führen könnte – um es aus dieser Position heraus erneut zu versuchen, wenn Merkel 2021 sicher nicht mehr antritt. Dafür freilich bräuchte Gabriel in zwei Jahren ein mindestens respektables Ergebnis. Seit gestern ist kein Zweifel, dass er selbst daran mit aller Kraft arbeitet – aber nicht alle in seiner Partei machen mit.