Düsseldorf. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft spricht vor dem SPD-Parteitag über Flüchtlingspolitik und Kanzlerkandidaten.

Auf dem Weg von Düsseldorf zum SPD-Bundesparteitag in Berlin unternahm die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft einen privaten Abstecher nach Manchester. Das letzte Champions-League-Spiel ihres Lieblingsvereins Borussia Mönchengladbach wollte die 54-Jährige nicht verpassen. Es ging verloren, bot aber dennoch eine willkommene Ablenkung von Themen wie Länderfinanzausgleich oder Flüchtlingskrise, zu denen sie Stellung nimmt.

Frau Kraft, zum Bundesparteitag bringen die SPD-Frauen einen Antrag ein, der den Weg für Doppelspitzen in den Parteigremien ebnen soll. Ein sinnvoller Vorschlag?

Hannelore Kraft: Ich kann das Anliegen im Grundsatz verstehen. Die nordrhein-westfälische SPD hat darüber im Präsidium intensiv beraten. Als Ergebnis empfehlen wir aber, gegen die Einführung von Doppelspitzen zu stimmen. Wir sehen die Gefahr eines schleichenden Automatismus hin zu Doppelspitzen in allen Gremien. Das würde unsere Parteiarbeit eher erschweren als beleben.

Die SPD-Anhänger halten Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach allen Umfragen für den besten Kanzlerkandidaten. Ist Parteichef Sigmar Gabriel dennoch für die Wahl 2017 gesetzt?

Kraft: Frank-Walter Steinmeier macht als Außenminister eine hervorragende Arbeit. Der Parteichef hat immer das erste Zugriffsrecht. Von daher ist die Sachlage in der SPD völlig klar.

Die SPD liegt in den Umfragen weiter bei 25 Prozent. Warum profitieren die Sozialdemokraten nicht vom Dauerstreit in der Union?

Kraft: Ich stelle fest: Die Union verliert klar an Zustimmung, die SPD bleibt zumindest stabil. Wir müssen unbeirrt weiter daran arbeiten, mit einem guten Programm auch jene anzusprechen, die uns 2013 noch nicht gewählt haben.

Sie haben 2011 bei der Wahl zur stellvertretenden SPD-Vorsitzenden außerordentliche 97 Prozent erhalten, 2013 waren es noch knapp 86 Prozent. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie diesmal?

Kraft: Ich rechne dieses Mal mit einem schwächeren Ergebnis, weil die schwierigen Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich sicher Spuren hinterlassen haben.

Die Länder haben beim Finanzausgleich eine Einigung erzielt – auf Kosten des Bundes?

Kraft: Nein. Der Bundeshaushalt profitiert bis 2020 in erheblichem Maße von Milliardeneinnahmen aus dem Solidaritätszuschlag, die gar nicht in den ursprünglichen Bestimmungszweck Aufbau Ost fließen. Bliebe der Soli bis 2020 bestehen und würde dann bis 2030 abgebaut, würde der Bundesfinanzminister noch rund 175 Milliarden Euro allein für den Bundeshaushalt einnehmen. Wenn nun ein Teil des Geldes genutzt wird, um die unterschiedliche Leistungskraft der Länder auszugleichen, kann ich darin nun wirklich keine Rechnung zulasten des Bundes erkennen.

Was passiert, wenn Bundesfinanzminister Schäuble das Modell nicht durchwinkt?

Kraft: Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Bund dieser sehr mühevoll erarbeiteten Einigung von sechszehn Bundesländern nicht die Zustimmung verweigern wird.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wirkt bei der Bearbeitung des gewaltigen Bergs von Asylanträgen überfordert. Wer trägt die Hauptverantwortung?

Kraft: Ich kritisiere ausdrücklich nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes, die sicher ihr Bestes geben. Mir bereitet es aber große Sorgen, dass die von den Ländern seit Monaten geforderte Aufstockung des Personals im BAMF nicht in dem erforderlichen Umfang erfolgt. Wir brauchen mehr Entscheider. Wenn zwischen der Registrierung eines Flüchtlings, dem Beginn des Asylverfahrens und schließlich der Entscheidung über den Antrag zum Teil mehr als ein Jahr liegt, können wir das nicht hinnehmen. Dieser Rückstau im Bundesamt geht voll zulasten unserer Kommunen und der vielen Hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfer.

Hat sich die Berufung von Kanzleramtsminister Altmaier zum Flüchtlingskoordinatoren bewährt?

Kraft: Es geht nicht um Personen, sondern um die richtigen Entscheidungen in der Praxis. Ich erwarte, dass die Asylverfahren wie verabredet und vom Bund zugesagt in drei Monaten entschieden werden. Nur das hilft Ländern und Kommunen, geordnete Verfahren gewährleisten zu können.

Was ist so falsch an der Forderung von CSU-Chef Seehofer nach Obergrenzen für Flüchtlinge?

Kraft: Es ist eine Scheinlösung, so zu tun, als könnte Deutschland die Tür einfach zumachen. Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention stehen für uns nicht zur Disposition. Wir werden die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, nur dann verringern, wenn wir bei den Fluchtursachen in den Herkunftsländern ansetzen, die Außengrenzen der Europäischen Union sichern und eine faire Verteilung der Schutzbedürftigen mit unseren Nachbarstaaten verabreden. Schranke runter geht nicht.