Berlin. Die Arbeit der Bundespolizei hat in den vergangenen Monaten extrem zugenommen. 80 Arbeitsstunden in der Woche sind keine Seltenheit.

Es war ein Hilfeschrei. „Wir saufen heute ab“, sagte ein Sprecher der Bundespolizei im niederbayerischen Simbach an einem Sonntag Ende Oktober angesichts der vielen Flüchtlinge, die an der Grenze standen und nach Deutschland wollten.

Dieser Hilfeschrei war keine Übertreibung. Ein Papier des Bundesinnenministeriums, das unserer Redaktion vorliegt, zeigt: Die Bundespolizei hat seit der Einführung der Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze mehr als eine halbe Million Überstunden geleistet.

„Die Bundespolizei geht personell auf dem Zahnfleisch“

Zwischen dem 13. September und dem 16. Oktober 2015 wurden „Mehrleistungen in Höhe von ca. 500.000 Stunden erbracht“, heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte am Abend des 13. September verkündet, dass Deutschland an der Grenze zu Österreich Kontrollen einführt. Für die Grenzsicherung ist die Bundespolizei zuständig.

Die grüne Innenexpertin Irene Mihalic kritisiert die hohe Zahl der Überstunden. „Die Personalsituation bei der Bundespolizei ist noch viel angespannter, als die Bundesregierung bisher zugegeben hat“, sagte Mihalic dieser Redaktion. „Die Zahl der Überstunden, die aufgrund der aktuellen Flüchtlingssituation anfallen, zeigt, dass die Bundespolizei derzeit personell auf dem Zahnfleisch geht.“

Eine Arbeitswoche kann bis zu 80 Stunden haben

Das Papier gibt auch Antwort auf die Frage, wie anstrengend der Einsatz in Bayern für den einzelnen Polizisten ist. Beamte arbeiten „in Bayern anlässlich von Grenzkontrolleinsätzen“ pro Woche „bis zu 80 Stunden“. Eine Schicht dauert bis zu 13 Stunden. Wobei diese Marke teilweise sogar noch überschritten wurde.

Ein Beispiel ist Broder Feddersen, erster Polizeihauptkommissar der Bundespolizei. Mitte September, am Anfang des Einsatzes, sagte er, dass er mehr als 30 Stunden am Stück im Einsatz war. Im bayerischen Freilassing an der Grenze zu Salzburg versuchten er und seine Kollegen, das Chaos zu ordnen. Teilweise standen mehr als 700 Flüchtlinge auf einem Bahngleis.

„Wir haben die Überlastungsgrenze längst überschritten“

Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und selber Bundespolizist, ist alarmiert. „Wir haben die Überlastungsgrenze längst überschritten“, sagte Radek dieser Redaktion. 80-Stunden-Wochen seien überhaupt nicht vertretbar, sagte er. Jeder Beamte müsse im Einsatz an der Grenze pro Tag im Schnitt sechs Überstunden machen. „Das ist enorm.“

Zudem halte die Überlastung der Bundespolizei schon seit Längerem an, sagte Radek. „Wir haben keine Ressourcen mehr.“ Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), spricht von einer „ungeheuren Belastung“. Es wisse noch kein Mensch, wie diese Überstunden jemals abgegolten werden können. „Das geht direkt zulasten der Gesundheit und der Familien der Beamten.“

Viele Reviere der Bundespolizei sind nicht durchgehend besetzt

Doch die Überstunden sind nicht das einzige Problem: Wer außerplanmäßig die Grenze kontrolliert, kann nicht die übrigen Aufgaben im Land bewältigen. Laut der Antwort des Bundesinnenministeriums können 34 von insgesamt 145 Bundespolizeirevieren in Deutschland „nicht durchgehend besetzt werden“. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel sind elf Bundespolizeireviere betroffen.

„Hier können sicherheitsrelevante Aufgaben nicht mehr hinreichend erfüllt werden – und das in einer Zeit, in der insbesondere aus der Hooligan- und Naziszene immer mehr schwere Straftaten verübt werden“, sagte Mihalic, die selbst ausgebildete Polizistin ist. „Das bereitet mir große Sorgen.“ Die Einsatzbereitschaft der Bundespolizei müsse jederzeit gewährleistet sein, sagte die grüne Bundestagsabgeordnete aus Gelsenkirchen.

Die Grenzkontrollen werden wahrscheinlich um drei Monate verlängert

Die Folgen der Überbelastung: Zum Teil übernehmen Landespolizisten die Aufgaben. So begleiten sie etwa Fußballfans in der Bahn zu den Spielen, obwohl das Aufgabe der Bundespolizei sei, sagte Radek. „Wenn die Bundespolizei weiterhin genötigt wird, an der deutsch-österreichischen Grenze ihren Einsatzschwerpunkt zu haben, werden wir uns aus anderen Aufgabenbereichen zurückziehen müssen.“

Und es sieht nicht so aus, als würde Innenminister de Maizière die Bundespolizisten in naher Zukunft aus Bayern abziehen. Zuletzt wurden die Kontrollen bis Mitte November verlängert. Sollte sich die Lage bis dahin nicht grundlegend ändern, geht der Einsatz für drei Monate weiter.

Die Suche nach Lösungen

Aktuell hat die Bundespolizei gut 40.000 Mitarbeiter, darunter etwa 33.000 Vollzugsbeamte. Anfang September entschied die Bundesregierung, in den nächsten drei Jahren 3000 neue Stellen zu schaffen. Dies sei ein Anfang, sagte Mihalic. „Aber damit wird gerade einmal der vor allem seit 2009 verschlafene demografische Wandel mühsam aufgefangen.“

Gewerkschafter Wendt schlägt vor, schnell 1000 bundespolizeiliche Unterstützungskräfte (BUKs) einzustellen. Diese könnten in wenigen Wochen ausgebildet werden und den Beamten bei der Registrierung und anderen Aufgaben helfen.