Berlin . In der Union verschärft sich der Streit um den Kurs der Kanzlerin. Massive Kritik in der Fraktion und bei CDU-Kongress.

Verliert Angela Merkel den Rückhalt in den eigenen Reihen? In der Union verschärft sich die Tonlage im Streit um den moderaten Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik. Aus Sorge vor einer Überforderung des Landes durch den Flüchtlingszustrom und angesichts sinkender Umfragewerte für CDU und CSU verlangen immer mehr Unionspolitiker von Angela Merkel eine Kehrtwende. Sie fordern Obergrenzen für Flüchtlinge, massive Grenzsicherung und schnellere Abschiebung. Am Dienstagabend kam es zum offenen Schlagabtausch in der Fraktion.

Eine öffentliche Rebellion gegen die Kanzlerin sieht anders aus – doch der Unmut über Angela Merkels Politik wächst: Der vor wenigen Tagen bekannt gewordene Brandbrief von 34 Unionspolitikern aus den Ländern hat laut „Bild“ mittlerweile 126 Unterstützer. Die zentrale Forderung der Unterzeichner: Flüchtlinge, die aus sicheren Drittstaaten kommen, sollen an der Grenze abgewiesen werden.

Auch bei der Fraktionssitzung am Dienstag musste sich Merkel massive Kritik anhören: Der Vorsitzende der Fraktionsarbeitsgruppe Innenpolitik, Hans-Peter Uhl (CSU), stellte Berichten zufolge sogar die Regierungsfähigkeit infrage.

Uhl kritisierte, Merkel habe sich in der Flüchtlingskrise „viel zu sehr auf die Außenpolitik fokussiert“. Wenn es zu keiner Lösung komme, werde es eine „Regierungsabwahl“ geben. Das Argument der Kanzlerin, die erneut erklärt hatte, dass schärfere Regelungen an den Grenzen keine Wirkung hätten, da die Flüchtlinge dann über die grüne Grenze kämen, ärgert viele in der Union: „Wenn man sagt, wir können eine Staatsgrenze von 3000 Kilometern nicht ausreichend schützen, wie sollte es denn bei 14.000 Kilometern EU-Außengrenze funktionieren?“, wunderte sich CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach am nächsten Tag gegenüber dem Abendblatt.

Auf Merkels Frage in der Sitzung, ob jemand ernsthaft glaube, „dass wir Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen können“, hätten mehrere Abgeordnete gerufen: „Ja!“ Die Kanzlerin dagegen hatte vor einem Dominoeffekt gewarnt: Wenn Deutschland Flüchtlinge zurückweise, würden Österreich und andere EU-Länder das Gleiche tun.

Unionsfraktionsvize Thomas Strobl stellte sich am Tag nach der Sitzung ausdrücklich hinter Merkel: „Wir dürfen doch auch einmal in der Sache diskutieren, ohne dass man dann gleich die Kanzlerin infrage stellt“, sagte Strobl. Die CDU/CSU-Fraktion stehe geschlossen hinter der Bundeskanzlerin. Rund 120 Politiker, darunter CDU-Vorstandsmitglieder, unterzeichneten inzwischen einen Pro-Merkel-Brief unter dem Motto „Wir schaffen das“.

Doch gestern Abend ging der Ärger für Merkel weiter: Bei einem Regionalkongress der CDU im sächsischen Schkeuditz wurde sie scharf attackiert, Teilnehmer warfen ihr Versagen vor. Weite Teile der Bevölkerung könnten Merkels „Wir schaffen das“ nicht mehr hören, sagte ein Redner. Ein anderer sprach von einer „nationalen Katastrophe“. Auf einem Plakat war zu lesen: „Flüchtlingschaos stoppen - Deutsche Kultur + Werte erhalten - Merkel entthronen.“

Bei den Wählern dagegen geht der Streit um den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik zwischen Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer derzeit nahezu unentschieden aus: In einer neuen Forsa-Umfrage teilen 45 Prozent die Haltung der Kanzlerin und 42 Prozent die Position des bayerischen Ministerpräsidenten, der die Zuwanderung massiv einschränken will.

In Ostdeutschland und in Bayern dagegen ist die Zustimmung für Seehofer größer, der Rest der Republik folgt eindeutig Merkel. Die größte Zustimmung bekommt Seehofer bei den Anhängern der rechtspopulistischen AfD. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung die Meinung, dass der Flüchtlingszustrom zu groß für das Land wird. Auf Unverständnis stößt Seehofer unterdessen mit seiner Drohung, den Bund vor dem Verfassungsgericht zu verklagen, sollte die Zahl der Flüchtlinge nicht begrenzt werden. Bayern würde „gegen eine Regierung klagen, an der CSU-Minister beteiligt sind“, sagte CDU-Innenexperte Bosbach dem Abendblatt. Die Drohung habe eher Symbolwert – um klarzumachen, „dass schnell etwas passieren muss“.

Einig ist sich die Union dagegen bei der Einführung von beschleunigten Verfahren in Transitzonen an den Landesgrenzen. Nach dem Gesetzentwurf von Innenminister de Maizière, der dem Abendblatt vorliegt, sollen Antragsteller, die aus einem sicheren Herkunftsland kommen, falsche Angaben zu ihrer Staatsangehörigkeit machen oder Reisedokumente mutwillig vernichtet haben, erst gar nicht einreisen dürfen. Kann über die Zulässigkeit des Asylantrags nicht innerhalb einer Woche entschieden werden, müssen die Behörden die Einreise gestatten.