Rostock/Hamburg. Debatte im Netz und bei Twitter #merkelstreichelt: Was hätte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim weinenden Mädchen anders machen können?

Ein Bürgerdialog der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Schülern in Rostock sorgt derzeit bundesweit für Aufregung. Unter dem Oberbegriff #merkelstreicheln reagierten am Donnerstag zahlreiche Bürger auf Twitter mit heftiger Kritik auf Merkels Verhalten gegenüber einem Flüchtlingsmädchen palästinensischer Abstammung. Der Hashtag landete auf Platz eins der Twitter-Trends am Donnerstag. Es gab aber auch Stimmen, die Merkels Reaktion als professionell bezeichneten.

Das junge Flüchtlingsmädchen Reem würde den Titel der Regierungskampagne so gern auch für sich beanspruchen: „Gut leben in Deutschland“. „Ich möchte studieren (...) Es ist wirklich sehr unangenehm, zuzusehen wie andere das Leben genießen können und man es selber halt nicht mitgenießen kann“, sagt das hübsche Kind mit den großen Ohrringen und schwarzen Locken am Mittwoch in einem der sogenannten Bürgerdialoge, an dem der Bundeskanzlerin so viel liegt.

Angela Merkel hat diese Reihe gestartet, um zu erfahren, was den Menschen in Deutschland wichtig ist. In Rostock erfährt die Christdemokratin im Gespräch mit 32 Schülern von 14 bis 17 Jahren, dass eine Jugendliche aus dem Libanon bleiben möchte - und reagiert für viele verstörend und sogar kaltherzig. Doch stimmt das wirklich?

„Ich weiß nicht, wie meine Zukunft aussieht“

Die junge Reem, die schüchtern wirkt, aber mutig und in akzentfreiem Deutsch spricht, sagt auch: „Ich weiß nicht, wie meine Zukunft aussieht.“ Eine extrem schwierige Situation für jeden Politiker, einem bestens integriertem Kind Gesetze zu erklären, deren Härte es nach vier Jahren Aufenthalt zu spüren bekommt. Denn Reems Familie stand jüngst kurz vor der Abschiebung. Nun hat sie zwar eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung, aber sicher ist nichts.

Merkel antwortet: „Das ist manchmal auch hart, Politik - (...) Du bist ja ein unheimlich sympathischer Mensch, aber du weißt auch, in palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon gibt es noch Tausende und Tausende. Und wenn wir jetzt sagen: Ihr könnt alle kommen und Ihr könnt alle aus Afrika kommen (...) Das können wir auch nicht schaffen.“

Es vergehen einige Minuten. Da unterbricht sich die Kanzlerin selbst. Denn Reem weint.

Der 60-Jährigen geht das sichtlich nahe. „Ach komm“, sagt sie und eilt zu Reem mit dem Versuch, sie zu trösten. Dabei wirkt Merkel unbeholfen. „Du hast das doch prima gemacht“, sagt sie, was der Moderator mit einer spitzen Bemerkung quittiert. „Ich weiß, dass das eine belastende Situation ist - aber trotzdem möchte ich sie einmal streicheln“, herrscht die Kanzlerin den Mann an. Streicheln. Ein ungewöhnliches Wort für eine Frau, die als kühl gilt.

Kritik von DGB-Nord-Chef

Nun wieder ein Hashtag. Ein Oberbegriff, unter dem sich Menschen im sozialen Netzwerk Twitter über ein besonderes Ereignis austauschen und oft verbal kräftig zulangen. Seit dem EU-Gipfel zur Rettung Griechenlands vor der Pleite wird Merkel über den Kurzmitteilungsdienst Twitter unter dem Hashtag #ThisIsACoup (Das ist ein Staatsstreich) weltweit als eiserne, kühle Machtpolitikerin dargestellt, die herzlos mit Griechenland umspringe - und in Wahrheit ein Nazi sei. Jetzt gibt es diesen neuen Hashtag: #merkelstreichelt.

In unzähligen Tweets wird Merkel als böse, hartherzige, abgezockte Frau beschimpft. Ihre Abschiebung, Abwahl und eine Anklage vor Gericht wird gefordert. Just am Donnerstag druckt das Magazin „Stern“ Merkel auf dem Titel. Überschrift: Die Eiskönigin.

DGB-Nord-Chef Uwe Polkaehn warf der Kanzlerin vor, ein „falsches Signal für die Fachkräfte von morgen“ gesetzt zu haben. „Die Bundeskanzlerin hat eine Chance vertan, junge Menschen aus dem Ausland für das Arbeiten und Leben in Deutschland zu begeistern“, sagte Polkaehn am Donnerstag. Deutschland brauche „so motivierte und wissensdurstige Menschen wie Reem“. Er forderte Angela Merkel auf, ihren Auftritt selbstkritisch zu reflektieren und zu überdenken. Asylsuchenden müsse das Arbeiten sehr viel schneller erlaubt werden und Ausbildungen müssten abgeschlossen werden dürfen.

Aber auch Unterstützung für Merkel

Die Zahl der Menschen, die Merkel unterstützen, ist kleiner. Aber es sind eindeutige Kommentare. Wie von der Journalistin und früheren taz-Chefredakteurin Ines Pohl: „Merkel hätte sich auch hinter dem Politsprech Einzelfallprüfung verstecken können. Sie war ehrlich - und bestimmt nicht kühl.“ Andere verlangen persönliches Engagement für Flüchtlinge - bis hin zur Aufnahme bei sich Zuhause. Erst, wenn viele Deutsche dazu bereit seien, könne man über Merkel richten.

Aber war Merkel wirklich kühl? Die Kanzlerin mag sprachlich zu politisch-professionell reagiert haben, heißt es in Regierungskreisen. Sie hätte Reem aber nichts versprechen dürfen, weil sie niemanden bevorzugen darf, den sie persönlich trifft - während andere leer ausgehen. Sie dürfe sich nicht über Entscheidungen der zuständigen Behörden hinwegsetzen. Das sei nicht mit den Grundsätzen des Rechtsstaates vereinbar. Auch, wenn es schwerer sein mag, in einem solchen Moment kein Versprechen zu machen.

Auch Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling (parteilos) sagt: „Wir werden uns diesen Fall - wie alle anderen auch - noch einmal ganz genau anschauen. Aber eine willkürliche Einzelentscheidung ist nach deutschem Recht nicht möglich.“

Wegbegleitern von Merkel fällt erst einmal keine andere Begebenheit ein, in der Kanzlerin in aller Öffentlichkeit so auf den Kummer eines Kindes reagiert hat. Überhaupt meidet Merkel Körperkontakt, sie umarmt selten und klopft nicht oft auf Schultern. Wie leid ihr Reem tat, mag man in ihrem Bedürfnis ablesen, Reem „zu streicheln“. Und Merkel sagt auch, dass die Politiker „Euch in solche Situationen nicht bringen wollen“. „Solche Situationen“ sind wohl die Sorgen um die Zukunft. Und dennoch ist es die Lebenswirklichkeit.

Lesen Sie hier eine kurze Auswahl der Tweets von Nutzer auf Twitter zu Merkels Auftritt:

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Journalist Udo Stiehl dagegen ruft zu Besonnenheit auf und nimmt die Kanzlerin ein Stück weit in Schutz:

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Weitere tweets zu Merkel finden Sie unter #merkelstreichelt auf Twitter.com. Das ungeschnittene Video gibt es bei den Kollegen vom NDR.