Die Karriere von Sebastian Edathy ist bereits zerstört. Jetzt startet der Prozess, der den Kinderporno-Vorwurf gegen den SPD-Politiker aufklären soll

Berlin/Hannover. Während ein Großteil des Publikums ein moralisches Urteil über den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy gefällt hat und die politische Affäre weiter Spitzen der SPD belastet, steht die strafrechtliche Klärung erst am Anfang: Vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Verden beginnt am heutigen Montag die Hauptverhandlung gegen den Politiker wegen des Vorwurfs des Besitzes kinderpornografischer Schriften. Edathy, der einst viel Lob für seine Arbeit als Vorsitzender des Untersuchungsgremiums zu den Morden der rechten Terrorzelle NSU erhielt, findet sich nun selbst vor Gericht wieder.

Dem 1969 geborenen Angeklagten wirft die Staatsanwaltschaft Hannover (Zentralstelle zur Bekämpfung Gewalt darstellender, pornografischer und sonst jugendgefährdender Schriften) insgesamt sieben Straftaten vor. So soll sich Edathy an sechs Tagen in dem Zeitraum vom 1. bis zum 10. November mithilfe seines dienstlichen Laptops kinderpornografische Video- und Bilddateien heruntergeladen haben. Zudem wurden bei einer Hausdurchsuchung am 12. Februar ein Bildmagazin und eine CD sichergestellt, deren Inhalt die Staatsanwaltschaft als jugendpornografisch einstuft. „Die Straferwartung dürfte eher im unteren Bereich anzusiedeln sein“, heißt es im Eröffnungsbeschluss des Gerichts. Der Versuch Edathys, eine Einstellung des Verfahrens, eventuell gegen Zahlung einer erheblichen Geldsumme, zu erreichen, scheiterte am Widerstand der Staatsanwaltschaft. Für das Hauptverfahren sind bis Ende April acht Fortsetzungstermine, jeweils montags, mit acht Zeugen und etlichen Sachverständigen angesetzt. Polizisten, die an den Razzien beteiligt waren, sollen als erste Zeugen aussagen; prominente Politiker finden sich bisher nicht auf der Liste.

Sebastian Edathy hatte im Februar 2014 sein Bundestagsmandat niedergelegt; seine erklärte Hoffnung, damit einen Prozess vermeiden zu können, erfüllte sich nicht. In ihrem Eröffnungsbeschluss vom 14. November vergangenen Jahres hielt die Kammer einen hinreichenden Tatverdacht für gegeben. Beschwerden Edathys und seiner Anwälte wegen angeblicher Verletzung der Immunität wurden abwiesen. Der frühere Abgeordnete besteht auf seiner Unschuld, die Bestellung der Filme sei „sicherlich falsch“ gewesen, räumte Edathy im Dezember 2014 ein, „aber sie war legal“.

Der Name des SPD-Politikers war auf einer 800 Verdächtige umfassenden Liste aufgetaucht, die Interpol im Herbst 2011 dem BKA übermittelt hatte. Erst im Juni 2012 befasste sich das Bundeskriminalamt damit, Mitte Oktober 2013 informierte das BKA die 16 Landeskriminalämter. Offenbar erfuhr Edathy von Ermittlungen gegen ihn (und 14 weitere Personen) – wie, durch wen, ob Dienstgeheimnisse verletzt wurden, wird vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestags verhandelt. Jedenfalls beauftragte Edathy Ende November 2013 den Berliner Anwalt für Strafrecht und Medienrecht, Christoph Noll. Ende Januar 2014 wurde ein Verfahren gegen Edathy bei der Staatsanwaltschaft Hannover registriert; noch Mitte Februar beschrieb der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, die Ermittlungsergebnisse als „eher mager“. Noll legte Dienstaufsichtsbeschwerde ein, stellte die „Integrität der niedersächsischen Rechtspflege“ infrage und verlangte eine Intervention des Justizministeriums. Seither haben Noll und Edathy geltend gemacht, seine Persönlichkeitsrechte würden „ausgelöscht“. Ein Unschuldiger werde verfolgt.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihn soll sich Edathy mal in Skandinavien, mal im Mittelmeerraum aufgehalten haben. Zuletzt trat er im Untersuchungsausschuss auf, der die Informationsweitergaben erforschen soll. Seinen Fall kommentierte er vor allem über Facebook. Immer wieder kritisierte er dabei eine öffentliche Hinrichtung seiner Person sowie Ermittlungspannen. Noch bis Mai bezieht er als ehemaliger Abgeordneter ein Übergangsgeld von insgesamt 130.420 Euro. Angeblich plant Edathy, ein Buch zu schreiben.

Eine der undichten Stellen in der Justiz befindet sich in Celle. Drei Tage nach Eröffnung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig wegen des Verdachts des Geheimnisverrats sowohl im Fall Edathy als auch in der Causa des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zeichnet sich ab, dass der zweite Verdächtige mit hoher Wahrscheinlichkeit auch aus dem Bereich der Landesbürokratie stammt: Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) verwies darauf, dass es zwar ein zweites Ermittlungsverfahren, aber keinen Antrag der ermittelnden Göttinger Staatsanwälte auf Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten gibt: „Diese zweite Person kann kein Mandatsträger sein.“

Klar ist auch, dass es in dem Fall Edathy frühzeitig viele potenzielle Informanten für die Medien, aber auch für Edathy selbst gegeben hat. Eine von der Landesregierung erstellte Liste weist über 50 Personen aus der Landesverwaltung aus, die teilweise seit Monaten Bescheid wussten, ehe Anfang Februar 2014 die Immunität Edathys aufgehoben und der Fall auch durch die Hausdurchsuchungen öffentlich wurde. Die meisten aufgeführten Personen stammen aus dem Bereich des Innenministeriums bis hinauf zum Ressortchef Boris Pistorius (SPD), darüber hinaus aus dem Justizministerium und der Staatskanzlei. Die Oppositionsparteien CDU und FDP im Landtag versuchen bislang erfolglos, direkte Verbindungen zwischen Edathys Informationen und Regierungsmitgliedern bis hin zu Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) herzustellen.