Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hält neues Weißbuch unter anderem wegen Russland-Krise und IS für nötig

Berlin. 2006 war die Welt für deutsche Militärstrategen noch fast in Ordnung: Russland galt als wichtiger Partner, der Arabische Frühling und das Auftauchen der Extremistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) waren noch weit weg. Als die Regierung damals eine neue Sicherheitsstrategie in Form eines Weißbuchs vorlegte, richtete sich das Augenmerk vor allem auf Afghanistan.

Knapp zehn Jahre später ist die Welt eine andere: In der Ukraine tobt ein Krieg, Russland und die Nato belauern einander wie zu Zeiten des Eisernen Vorhangs, und Deutschland bricht ein Tabu, indem es Waffen an die Kurden im Kampf gegen den IS liefert. Höchste Zeit also für ein neues Weißbuch, findet Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Am Dienstag gab sie in Berlin den Startschuss für die Arbeit an einer überarbeiteten Sicherheitsstrategie, die 2016 fertig sein soll.

Ein Schwerpunkt wird dabei auf dem Umgang mit Russland liegen. Russlands Vorgehen in der Ukraine verändere die Sicherheitsarchitektur in Europa grundlegend, sagte die Ministerin bei der Auftaktveranstaltung zur Erstellung eines neuen Weißbuchs zur Sicherheitspolitik. Deutschland müsse eine angemessene Antwort auf die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin finden und dürfe sich dabei keinen Illusionen hingeben. „Die neue Politik des Kreml hat schon lange vor der Ukraine-Krise begonnen und wird uns noch sehr, sehr lange beschäftigen“, warnte von der Leyen. Schon beim Nato-Gipfel im September in Wales drehte sich die Debatte weitgehend darum, ob Russland künftig eher als Gegner oder gar als Feind zu betrachten sei. Für die Bundeswehr bedeutet dies, dass sich ihr Augenmerk künftig nicht mehr allein auf die Auslandseinsätze richten dürfte, sondern wieder verstärkt auf die Verteidigung des Nato-Territoriums. In der Truppe macht sich diese Trendwende schon seit einiger Zeit bemerkbar. Längst fangen deutsche Kampfjets an den Nato-Grenzen wieder russische Flugzeuge ab, und auch an der gegen Russland gerichteten neuen schnellen Eingreiftruppe der Nato ist Deutschland dieses Jahr maßgeblich beteiligt.

Doch auch abseits der Russland-Krise sind die neuen Risiken vielfältig. Im Nahen Osten droht der IS, ganze Staaten wie Syrien und den Irak in den Zerfall zu treiben. Zu den neuen Herausforderungen für Streitkräfte weltweit zählt auch der Kampf gegen Seuchen wie die Ebola-Epidemie in Westafrika. Die Folgen des Klimawandels und der demografischen Veränderungen sowie die Gefahr von Cyber-Attacken werden ebenfalls Themen bei der Ausarbeitung des neuen Weißbuchs sein. Ebenso die Konsequenzen der Finanzkrise, die die Wehretats in EU und Nato schrumpfen lässt.

Nationale Interessen, deren Formulierung für andere Staaten wie die USA ganz normal ist, wird die Bundesregierung dagegen auch dieses Mal wohl nicht sonderlich konkret festschreiben. Die Einbindung in Bündnisse wie die Nato oder die EU werde den Charakter des Weißbuchs bestimmen, heißt es dazu in Regierungskreisen lediglich. Die nationalen Interessen müssten immer mit den Interessen des Bündnisses abgestimmt werden.

Es ist wohl das, was Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz als „Führen aus der Mitte“ bezeichnete.