Nach Besuch von Gabriel beginnt eine Debatte in allen Parteien. Meinungsforscher Schöppner sagt: Diskutieren hilft.

Hamburg. Sigmar Gabriel hob hervor, dass er als Privatmann gekommen sei. Nicht als Minister, nicht als SPD-Vorsitzender. Am Freitag tauchte er bei einer Veranstaltung von Befürwortern und Gegnern der Pegida-Bewegung auf. Ein heikler Besuch, denn die Bewegung, die sich selbst als „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ nennt, ist umstritten: wegen plumper Parolen gegen Merkel und die Massenmedien, und wegen Islamfeindlichkeit einiger Protestler. Manche sehen darin den „Aufstand des kleinen Mannes“. Pegida selbst sagt: Wir sind das Volk. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl mahnen dagegen, dass im Zuge der Pegida-Demonstrationen rassistische Pöbeleien gegen Flüchtlinge zugenommen hätten. Wie also soll die Politik damit umgehen?

Meinungsforscher und Chef des Instituts Mente Factum Klaus-Peter Schöppner sagt im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt: „Laut einer Emnid-Umfrage wollen 73 Prozent der Deutschen, dass die Politik mit Pegida ins Gespräch kommen sollte.“ Mehr als 20 Jahre lang hatte Schöppner das Institut geleitet. „Ein Politiker, der Pegida von Anfang an ablehnt, macht es nur schlimmer. Diejenigen, die ihren Frust gegenüber den Politkern zum Ausdruck bringen wollen, erfahren einen Massendruck, der sie zum Schweigen bringen will“, sagte Schöppner. Am Sonntag hatte das Bündnis in Dresden – erstmals seit der Terrordrohung gegen den inzwischen zurückgetretenen Pegida-Frontmann Lutz Bachmann – demonstriert. 17.000 Menschen waren dabei.

In der SPD entbrannte nach dem Zugehen auf Pegida durch Parteichef Gabriel eine Kontroverse darüber, ob ein Dialog mit dem Bündnis nötig ist oder nicht. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), begrüßte den Schritt. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hatte den Dialog dagegen nicht nur mit der Pegida-Spitze abgelehnt, sondern auch mit Demonstranten. Kritik am SPD-Chef kam von der Linken. Die Innenpolitikerin Ulla Jelpke nannte Gabriels Auftritt peinlich und mahnte, mit Pegida gebe es nichts zu diskutieren.

CDU-Politiker wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprachen sich dagegen für einen Diskurs mit den Pegida-Anhängern aus. CSU-Chef Horst Seehofer wiederum plädierte gegen einen solchen Dialog.

Viele Wähler am rechten Rand der CDU seien zeitweise zu Nicht-Wählern oder AfD-Anhängern geworden, sagte Schöppner. „Nun sympathisieren einige mit dem Teil der Pegida-Bewegung, der einfach nur Unzufriedenheit ausdrücken will.“ Unzufriedenheit damit, dass sich die Regierung zu stark um „Randgruppen“ kümmere – und der Kleinbürger auf der Strecke bleibe. Vor allem dort zeige sich Resignation und Zukunftsunsicherheit. „Unsere Zukunftsängste begannen, als wir feststellten, dass die Welt für uns zu komplex wurde, um sie zu verstehen. Die Wurzeln wurden vor zehn Jahren mit Hartz IV gelegt. Ins Bewusstsein aller sind diese Veränderungen dann 2008 mit der Finanzkrise getreten.“ Schöppner hebt hervor, dass sich die ersten Wahlerfolge der AfD zu etwa 50 Prozent aus Protestwählern gespeist hätten.

In Hamburg gibt es bisher keine Pediga-Bewegung. Dafür setzt die AfD im Wahlkampf vor allem auf Themen wie die Innere Sicherheit und plakatiert Parolen wie „Radikale Islamisten stoppen“ oder „Bürger schützen“ – Themen, auf die auch Rechtspopulist Ronald Schill setzte. Bei den Wählern sei Sicherheitspolitik jedoch nicht das Top-Thema.

Schöppner ist sich dennoch sicher: Pegida und vor allem die AfD bleiben Teil der politischen Kultur in Deutschland. Wie lange noch? „Das hängt davon ab, wie sich die CDU aufstellt. Die AfD bleibt dauerhaft stark, wenn sich an der politischen Positionierung anderer Parteien nicht grundlegend etwas ändert“, sagt der Meinungsforscher.