Bundeskanzlerin lädt Wissenschaftler und Unternehmer aus der ganzen Welt ein

Berlin. Karl der Große versammelte Gelehrte aus aller Welt an seinem Hof und richtete Akademien ein. So schreibt es der fränkische Gelehrte Einhard in seiner „Vita Karoli Magni“ im 9.Jahrhundert. So gesehen hat das „Zweite Internationale Deutschlandforum“ der Bundeskanzlerin eine gewisse Tradition. Angela Merkel lädt in dieser Woche mehr als 150 Wissenschaftler, Unternehmer, „Innovationsaktive“ und „Experten für soziale Innovation“ in ihr Kanzleramt ein: „Wir wollen ein Netzwerk für globales Lernen schaffen – das ist der Wunsch der Kanzlerin“, begrüßt Peter Altmaier, der Chef des Kanzleramtes, die aus der ganzen Welt Zusammengeströmten, als die Tagung beginnt. Und nachdem Merkel selbst fast zweieinhalb Stunden mit ihren Gästen diskutierte, verspricht sie zum Abschied: „Wir versuchen das hier Gesprochene so zu ordnen, damit Handlungsalgorithmen daraus werden.“

Globales Lernen? Handlungsalgorithmen? Soziale Innovation? Den Kern der Veranstaltung, die weder ein wissenschaftliches Kolloquium noch eine politische Runde war, ist wohl am besten in Merkels eigenen Worten beschrieben. Es gehe darum, einmal „rauszukommen aus den Kreisen, in denen wir uns auskennen.“ Zu Gewerkschaften und Arbeitgebern etwa gehe sie ja regelmäßig.

Merkels Medienberaterin Eva Christiansen hat sich das Event ausgedacht. Wie sie hier erscheint, so soll Merkel gesehen werden. Die Kanzlerin präsidiert nicht, sie sitzt nicht einmal am Kopf eines Tisches. Vielmehr ist sie mitten unter ihren Gästen, die in einer kreisförmigen Konferenzsituation platziert sind: Menschen aller Hautfarben sind vertreten, viele Frauen, sogar ein Turban ist zu sehen. Die Sprecher wechseln übergangslos vom Deutschen ins Englische. Regierung inszeniert sich hier intellektuell und international, vor allem aber nicht als Macht, sondern als gleichberechtigtes gesellschaftliches Subsystem, das keine Privilegien verteilt, sondern im Gegenteil, auf deren Input angewiesen ist.

Als Merkel schon einmal in einem ähnlichen Format nach dem „guten Leben“ forschte, erntete sie auch Spott. Tatsächlich hat es eine gewisse Komik, wenn eine Regierungschefin Sätze sagt wie: „Wir haben festgestellt, dass Lebensqualität an vielen Stellen der Welt diskutiert wird.“ Oder: „Volks- und Raiffeisenbanken dürfen nicht die letzte soziale Innovation aus Deutschland gewesen sein.“ Auch die fünf Hauptgesprächspartner Merkels zum weiten Feld „Innovation“ bleiben teilweise in ambitionierter Rhetorik stecken. So meint etwa der als „Mr. Creativity“ vorgestellte John Kao, der 1969 mit Frank Zappa Saxofon spielte und heute „Regierungen und Start-ups zu Zukunftstrends“ berät: „Wir haben erst die ersten zehn Minuten vom Innovationsfilm gesehen.“ Wenn es zu abgehoben wird, erdet Merkel mit Mutterwitz: „Haben Sie so eine Maschine ’mal da?“ fragt sie den Gründer Suneet Singh Tuli, der langatmig erklärte, warum der Zugang zum Internet ein Menschenrecht sei und er deshalb kostengünstige Tablets entwickle. Der Unternehmer mit blauem Turban und langem grauen Bart überreicht Merkel den schwarzen Kleincomputer, der eigentlich für die Armen Indiens und Afrikas gedacht ist, und Merkel lobt: „Das könnte auch was für Deutschland sein – manche Schulen bei uns haben gar nix.“

Mutig ist, den Innovationsbegriff nicht wie üblich auf Technologien zu verengen. Die Brasilianerin Alessandra Orofino berichtet von einer Onlineplattform, mit der politische Prozesse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Geoff Mulgan, Leiter einer Stiftung für gesellschaftliche Innovationsfähigkeit in Großbritannien, denkt darüber nach, wie „vereinsamte Alte in Städten“ besser erreicht werden könnten und psychisch Kranke besser integriert werden. Seine Analyse, Deutschland sei das wirtschaftliche und politische Kraftzentrum Europas, aber leider historisch kein „Kraftwerk der sozialen Ideen“ gewesen, widerspricht im Mutterland des Marxismus niemand.

Wie immer auf solchen Veranstaltung wird in der Abschlussrunde die deutsche Risikoscheu und die Furcht vor dem Scheitern beklagt. „Disruptive Innovation“ – zerstörerische Neuerungen hätten in der Konsensgesellschaft leider keinen guten Klang. Merkel interessiert sich besonders für das „Narrativ“, das einer Innovation beigefügt werden müsse, damit diese sich erfolgreich in einer Gesellschaft verbreite: Den Menschen müsse mit einer Geschichte erklärt werden, warum das Neue ihnen nütze.

Ein Teilnehmer fragt die Kanzlerin direkt: „Wie kann man zur Lösung geopolitischer Konflikte Innovationen anwenden?“ Merkel überlegt, nennt die Frage „sehr kompliziert“ und antwortet schließlich: „Man muss sich noch mehr in die Gedanken des anderen hineinversetzen.“ Und schließt mit ihrer eigentlichen Botschaft: „Noch mehr lernen.“