Deutscher Verfassungsschutz beobachtet 100 Gruppen. Zweithöchste Alarmstufe in Belgien

Berlin. Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen nach Angaben vom Wochenende Hinweisen ausländischer Nachrichtendienst auf mögliche Anschläge islamistischer Terroristen auf die Hauptbahnhöfe in Berlin und Dresden nach. Die Informationen würden auf Glaubwürdigkeit und Gehalt geprüft, hieß es. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte am Freitag erklärt: „Die Lage ist ernst, es besteht Grund zur Sorge und Vorsorge, jedoch nicht zu Panik und Alarmismus.“

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet seit dem vergangenen Jahr bundesweit rund 100 Islamistengruppen. Dies berichtet die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf Sicherheitskreise. Es handele sich dabei um Gruppen und Netzwerke von jeweils zehn bis 80 Personen. Das Spektrum reicht von Gebetsgruppen über Online-Propagandisten bis hin zu Spendensammlern und heimgekehrten Syrien-Kämpfern. Die Kommunikation sei schwierig zu überwachen. Online-Chats und Netzwerke würden seltener, Messenger-Dienste wie WhatsApp und Threema hingegen häufiger genutzt. Sorge bereitet dem Verfassungsschutz außerdem eine wachsende Radikalisierung von Islamisten aus dem Kaukasus.

Nach Angaben der Behörden werden zurzeit etwa 1000 Menschen in Deutschland dem „islamistisch-terroristischen“ Spektrum zugeordnet. Darunter sind 260 sogenannte Gefährder, also Menschen, denen die Polizei zutraut, dass sie einen Terrorakt begehen könnten. Beim Bundeskriminalamt (BKA) laufen bereits rund 500 Ermittlungsverfahren gegen etwa 800 Beschuldigte aus dem islamistischen Spektrum.

In der Diskussion um schärfere Sicherheitsgesetze in Deutschland verwies Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) darauf, dass es derzeit Verfahren gegen 350 Beschuldigte im Zusammenhang mit der Dschihadistenorganisation IS gebe. „Das zeigt: Unser Terrorismusstrafrecht wirkt“, sagte Maas der „Bild am Sonntag“. Weitere Verschärfungen im Strafrecht seien nicht sinnvoll. „Purer Aktionismus stoppt keine Terroristen“, sagte der Minister.

Eine klare Mehrheit der Deutschen ist angesichts der Sorge vor Terroranschlägen für eine Ausweitung der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen. Knapp drei Viertel (72 Prozent) der Bürger sind laut einer von der „Bild am Sonntag“ veröffentlichten Emnid-Umfrage dafür, ein gutes Viertel (26 Prozent) dagegen. Besonders Frauen (77 Prozent) und Unionswähler (81 Prozent) sind für mehr Kameraüberwachung. In der Frage der politisch heftig umstrittenen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zeigt sich auch die Bevölkerung gespalten. 48 Prozent der Deutschen sind dafür, 47 Prozent dagegen. Das verstärkte Abhören von Telefonen lehnen 62 Prozent der Befragten ab, 37 Prozent sind für mehr Telefonüberwachung. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Deutschen ist grundsätzlich der Ansicht, dass der Staat seine Bürger ausreichend vor Terrorgefahr schütze. Ein knappes Drittel (32 Prozent) ist nicht dieser Meinung.

Die europäischen Sicherheitsbehörden haben elf Tage nach den Islamistenanschlägen von Paris auf neue Terrordrohungen reagiert. In Belgien herrschte weiter die zweithöchste Terrorwarnstufe, seitdem dort vergangene Woche ein größerer Anschlag von Islamisten offensichtlich in letzter Minute vereitelt werden konnte. Soldaten bewachen jüdische Einrichtungen. Auch in Antwerpen unterstützen Soldaten die Polizei. Die belgischen Behörden suchten weiter mit Hochdruck nach Hintermännern des vereitelten Terroranschlags gegen Polizisten.

In Athen gingen den Fahndern nach einem belgischen Amtshilfeersuchen zwei Algerier ins Netz. Die italienischen Behörden schickten seit Jahresbeginn neun Terrorverdächtige zurück in ihre Heimatländer. Zudem seien weit mehr als 100 mutmaßliche IS-Unterstützer in Italien überprüft worden. Sie stünden unter Beobachtung.