Die Deutschen promovieren so viel wie nie. Im Marketing oder für Juristen lohnt sich das finanziell

Berlin. Drei Jahre hat Sascha Grünke nebenberuflich zu Windenergie geforscht. Drei Jahre lang hatte er wenig Zeit für Konzertbesuche oder Abende mit Freunden, Geld hatte er auch nicht. „Eine Promotion ist zumindest in der sozialen Interaktion kein Vorteil“, erzählt er. Grünke habe es nur auf ein höheres Gehalt abgesehen, sagten seine Kollegen. Neid und Häme begegneten ihm. Was also hatte den Geisteswissenschaftler zu der Promotion bewogen? „Auf die Gefahr hin, dass es kokett klingt, aber ich wollte mir das einfach intellektuell beweisen.“

Der Doktortitel ist in Deutschland nach wie vor beliebt. Im Wintersemester 2013/14 strebten an den Hochschulen der Bundesrepublik 111.394 Studierende eine Promotion an. Von 436.420 tatsächlichen Hochschulabsolventen haben im vorvergangenen Jahr 27.707 promoviert. Nie zuvor waren es so viele. Dabei sind sich Experten einig: Promovieren sollte man weder aus Karriereerwägungen oder finanziellen Interessen, sondern aus Spaß an der Forschung. Das sähe man einer Dissertation nämlich an.

Dabei bringt ein Doktortitel tatsächlich oft ein besseres Einstiegsgehalt mit sich. „Bei Jobbeginn hat ein Doktortitel einen Gehaltsstartvorteil, der meist zwischen 2000 und 4000 Euro brutto pro Jahr liegt. Zumindest in der Privatwirtschaft ist das so“, sagt Joachim Kayser, Experte für Management- und Aufsichtsratsvergütung bei der Unternehmensberatung hkp. Nach einigen Jahren im Arbeitsleben würden sich die Gehälter wieder angleichen.

In Führungspositionen können sich die Entlohnungen allerdings wieder stark unterscheiden. Laut einer aktuellen Studie der Jobbörse Stepstone verdienen promovierte Fach- und Führungskräfte im Marketing durchschnittlich 64.862 Euro brutto im Jahr. Ohne Titel sind es nur 48.957 Euro. Das ist ein Gehaltsunterschied von ganzen 32 Prozent. Im Bereich Finanzen und Controlling beträgt er immerhin 15 Prozent. Bei einer Anstellung in der IT-Branche ist der Unterschied kleiner: Dort erhält ein promovierter Informatiker im Laufe seines Lebens im Schnitt 70.456 Euro brutto im Monat, ohne Doktortitel sind es 65.000 Euro.

Doch Doktoranden entgeht in den vier bis fünf Jahren, die sie durchschnittlich an ihrer Dissertation schreiben, schon jede Menge Geld, gibt Ver.di-Bildungsexperte Matthias Neis zu bedenken. In dieser Zeit werden sie meistens deutlich schlechter als andere Akademiker bezahlt. Mit einem Doktortitel verdient man im Laufe seines Lebens zwar mehr als ohne, finanziell lohnt sich eine Promotion aber erst mittel- oder langfristig. Und die ist vor allem sinnvoll in Disziplinen, in denen traditionell die meisten Absolventen promovieren. In den Fächern Physik, Chemie oder Medizin ist der Doktortitel fast schon der Regelabschluss. „Ein Physiker ohne Doktortitel hat praktisch kaum eine Chance, auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen“, sagt Unternehmensberater Kayser. Aber auch Juristen kann der Titel bei entsprechend guten Abschlussnoten den Weg zu einer großen Rechtsanwaltskanzlei ebnen. In der Politik sind Doktortitel inzwischen ebenfalls weit verbreitet, in der Wirtschaft weniger.

Bildungsexperten weisen jedoch auch darauf hin, dass ein Titel außerhalb Deutschlands eine geringere Rolle spielt. „In den Vereinigten Staaten würde man hinter Promovierten in erster Linie einen Arzt vermuten“, sagt Kayser. Den PhD trage man nicht außerhalb des akademischen Bereichs, am Klingelschild fände man ihn erst recht nicht. Wer also eine internationale Karriere anstrebt, sollte nicht auf die Signalwirkung eines Titels hoffen. Ein Master of Business Administration (MBA) bei Fokus auf die Privatwirtschaft sei im internationalen Vergleich besser bekannt und vermeintlich leichter einzuschätzen, so Ver.di-Mann Neis.

Bevor sich Masterabschlüsse hierzulande verbreiteten, waren Doktortitel generell erstrebenswerter, befindet Kayser. Heute schaue man genauer auf den inhaltlichen Schwerpunkt der Qualifikation. „Es herrscht mehr Sensibilität. Das Thema der Promotion muss zum fachlichen Gebiet einer Position passen. Dann ist ein Doktortitel in puncto Stellensuche und Vergütung von Vorteil“, so der Berater.

Diese Form von Abschluss sollte also gut überlegt sein. In der öffentlichen Diskussion werden immer wieder hohe Abbruchquoten und auch Anschlussschwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt beklagt. Im Hochschulbetrieb herrschen meist prekäre Arbeitsverhältnisse. An den Universitäten sind mittlerweile neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeitern befristet beschäftigt, über die Hälfte der Zeitverträge hat eine Laufzeit von weniger als einem Jahr.

Auch in Sascha Grünkes akademischem Umfeld gab es keine Motivation, sich zu engagieren. „Weiterhin wissenschaftlich zu arbeiten habe ich während meiner Promotion weder nach beruflichen noch nach finanziellen Aspekten in Betracht gezogen.“ Es fehlte ihm an Betreuung und ausreichender Vernetzung. Laut dem Institut für Hochschulforschung (HoF) werden Schätzungen zufolge bis zu zwei Drittel aller Promotionsvorhaben hierzulande nicht abgeschlossen.

Wissenschaftliche Verbleibstudien gibt es dazu bisher kaum. Gewerkschafter Neis vermutet hinter der hohen Abbrecherquote unter anderem, dass viele Doktoranden vom Wissenschaftsbetrieb desillusioniert sind. Dabei ist der Doktortitel immer noch der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Promovierte in ausgewählten Altersgruppen sind durchgängig häufiger beschäftigt und seltener erwerbslos als gleichaltrige Universitätsabsolventen ohne eine Promotion.