Das Fortbildungsangebot für Abgeordnete im Bundestag soll die Parlamentarier erfolgreicher machen

Berlin. Eigentlich herrscht kein Mangel an Selbstdarstellern im Berliner Regierungsviertel. Scharen eitler Politschauspieler drängen Woche für Woche auf die Parlamentsbühne und führen vor laufenden Kameras das große Wort, zumeist nach selbst geschriebenem Drehbuch, überwiegend als Alleinunterhalter, seltener als Ensemblemitglied. Zur Inszenierung gehören spektakuläre Fassaden der Sachkenntnis, Loyalität und Parteifreundschaft, die aber schon bei mittleren politischen Turbulenzen schnell ins Wanken geraten.

Eigentlich beherrschen auch die Grünen dieses Theater längst aus dem Effeff. Aber besser machen kann man es natürlich immer. Und so fand sich auf den Stehtischen rund um den Sitzungssaal der Grünen-Bundestagsfraktion, die zum Jahresauftakt auf einer Klausurtagung in Weimar ihre Leitlinien für 2015 absteckte, ein achtseitiges Fortbildungsprogramm für die Parlamentarier. Unter der Rubrik „Präsenztraining“ wird den 63 Abgeordneten in Modul 5 ein interessantes Weiterbildungsangebot unterbreitet: Unter anderem stehen „Methoden des Schauspieltrainings, Schauspiel- und Improvisationstechniken“ sowie das Fachgebiet „Outfit“ auf dem Stundenplan.

Moment mal – also noch mehr Maskerade in der Politik oder, wenn es optimal läuft, bestenfalls großes Kino? Zugegeben, die Grünen haben es derzeit wirklich nicht leicht, als kleinste Oppositionsfraktion mit mehreren Führungsspitzen, die neben dem Dauer-volltexter und Linken-Fraktionschef Gregor Gysi oft nur wie Komparsen rüberkommen und dabei auch noch ohne klare Regieanweisungen auskommen müssen. Aber ob da Nachhilfe in professionellen Schauspieltechniken die Lösung ist und das ausgerechnet in einer Partei, die Transparenz und Urwüchsigkeit predigt?

Auf keinen Fall wird man in die Nähe der einstigen CDU-Politiker Roland Koch und Peter Müller geraten wollen, die 2002 im Bundesrat Empörung im Bundesrat mimten, weil der damalige Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) die Stimmabgabe zum Zuwanderungsgesetz des Mehrheitsbeschaffers Brandenburg trotz dessen gespaltenen Votums als Ja werten wollte. Das war inszeniert, weil sie schon vorher davon wussten. Und schlecht aufgeführt. Aber, so die Erkenntnis damals: Inszenierung gehört als fester Bestandteil zur Politik.

Unter Modul 6 wird den Grünen auch Beratung in Fragen des „individuellen (Kleidungs-)Stils“ angeboten. Klingt wie ein Wegweiser durchs Showgeschäft. Wie bekennen Veteranen aus dem CDU-Fundus doch so gern: „Politics is Hollywood for ugly people“, also so viel wie: Politik ist Hollywood für die Hässlichen.

Aber so haben die Grünen das natürlich gar nicht gemeint: Es gehe nicht ums Schauspielern im engeren Sinn, sondern vielmehr schlicht darum, die Bühnenpräsenz der Abgeordneten zu verbessern, erklärt Christian Neuner, Leiter der Weiterbildungsabteilung der Heinrich-Böll-Stiftung, die sich Greencampus nennt. „Wie baue ich Anspannung ab, wie werde ich locker, wie setze ich meinen Atem richtig ein?“ Da gebe es Techniken aus dem Schauspiel, die hilfreich seien. „Es geht nicht darum, die Abgeordneten dazu zu bringen, irgendeine Politikerrolle perfekt zu spielen.“ Ach so, na dann.

Auch beim Erlernen von Improvisationstechniken steht überhaupt nicht das Ziel im Vordergrund, möglichst schnell und unauffällig vom normalen Menschen auf Politikerdarsteller umzuschalten oder aus dem Stand und täuschend echt den Fachpolitiker auf einem völlig fremden Themengebiet zu geben. „Politiker sind bei ihren Auftritten oft mit unerwarteten Störungen wie Zwischenrufen und Pfiffen konfrontiert, auf die sie spontan reagieren müssen“, erläutert Fortbilder Neuner. „Auf solche Situationen werden sie im Improvisationstraining vorbereitet.“

Und mit dem sogenannten Stil-Coaching, das die Grünen-Abgeordneten zur Weiterbildung buchen können, ist auch keine Nachhilfe in Kostümierung mit schmalen Anzügen in Grau- und Blaunuancen gemeint. Die Grünen lernten lediglich, wie sie ein professionelles Erscheinungsbild für den Auftritt vor Kameras oder auf der Bühne erreichen, sagt Neuner. „Dabei steht das authentische Erscheinen im Mittelpunkt, niemand soll glattgebügelt werden.“

Seit mehr als einem Jahr steht den Grünen-Abgeordneten dieses Fortbildungsprogramm zur Verfügung seit der Niederlage bei der Bundestagswahl. Wer von ihnen wann welche Bausteine und speziell den Schauspielunterricht auf dem Stundenplan hatte und vor allem, mit welchem Erfolg jeder seine Lehrgänge absolviert hat, lässt sich nicht in Erfahrung bringen. Da hilft wohl nur genaues Hinschauen beim nächsten Mal, wenn einer von ihnen im Parlament, vor Kameras oder im Wahlkreis auftritt.

Fortbildungsleiter Neuner wiegelt aber ab: Er verweist auf das breite Lehrangebot zur Mitarbeiterführung, zur Entwicklung von Themenschwerpunkten und Zielen. Am häufigsten würden nämlich nicht der Schauspielunterricht oder die Klamottenberatung gebucht, sondern die übrigen Programme etwa zum Umgang mit den Medien sowie für die Moderation interner Runden. Offenbar liegt der wahre Kampfplatz der Grünen also hinter den Kulissen, fernab des Publikums – in den eigenen Reihen, unter den sogenannten Parteifreunden.