Geistliche und Islamwissenschaftler diskutieren in Hamburg über religiösen Extremismus. Es fehlt nicht an klaren Distanzierungen

Hamburg. Er weigert sich. Belal El-Mogaddedi spricht jetzt etwas lauter in das Mikrofon, seine Stimme wandert durch den großen Saal in der Imam Ali Moschee an der Außenalter. El-Mogaddedi ist es leid, sich als Muslim permanent für die Taten von Terroristen rechtfertigen zu müssen. Obwohl er Terrorakte selbstverständlich ablehne, wie jeder andere vernünftige Mensch auch, werde er ständig aufgefordert, sich von Mördern zu distanzieren. Er sagt, er lehne es auch ab, diese Menschen Islamisten zu nennen, weil ihre Gewalt nichts mit dem Islam zu tun habe. Er weigere sich auch, vom Dschihad zu sprechen, der eigentlich nicht mehr meine als das innere Streben eines Muslim nach einer stärkeren Persönlichkeit. "Ich spiele das Spiel vom guten und bösen Muslim nicht mit", sagt er. Warum solle er sich distanzieren von einem kriminellen Idioten, der Menschen töte? Und zufällig Moslem ist.

Belal el-Mogaddedi ist Vorsitzender der Deutschen Muslim-Liga. Er spricht gerade über die Attentäter von Paris, die in der vergangenen Woche 17 Menschen im Namen des Islam in den Tod rissen. El-Mogaddedi bekommt von Zuhörern in der vollen Moschee Applaus für seine Weigerung, sich von den Terroristen zu distanzieren. Doch er bekommt an diesem Tag auch Widerspruch.

Lange schon war die Konferenz von Islamwissenschaftlern und Imamen geplant. 200 Menschen sind an diesem Sonnabend in die schiitische Moschee in Hamburg gekommen. „Extremismus als islamische und gesellschaftliche Herausforderung“ lautet der Titel. Sie wollen reden über Salafisten, über Terrorgruppen wie den selbst ernannten „Islamischen Staat“ (IS), aber auch über Hooligans, Pegida und Islamfeindlichkeit in Deutschland. Nach den Terrorangriffen in Paris bebt der Boden der Debatte.

Drei Islamisten haben im Namen ihrer Religion eine Redaktion exekutiert, eine Polizistin und einen muslimischen Polizisten erschossen, Kunden eines jüdischen Supermarkts getötet. Und hier in Hamburg wollen die Islamwissenschaftler und Imame über Extremismus debattieren. Wie umgehen mit Gewalt im Namen des Islam? Welche Worte finden sie nach den Taten? „Ist es hier in dieser Runde Konsens, dass eine Demokratie die Pressefreiheit und auch die Freiheit der Karikatur aushalten muss?“, fragt ein Besucher.

Es fehlt nicht an klaren Distanzierungen vom Terrorismus. Das sei grauenhaft und durch nichts zu rechtfertigen, sagt Mustafa Yoldas, Vorsitzender der Schura, des Rats der islamischen Gemeinschaften in Hamburg. Viele Sätze wie dieser folgen im Laufe des Tages. Doch Floskeln, dass Terroristen den Islam nur missbrauchen, würden nicht weiterhelfen. Die Hamburger Professorin Katajun Amirpur sagt: „Wenn die Attentäter meinen, der Islam rechtfertige ihre Tat, dann reicht es nicht zu sagen: Der Islam rechtfertigt den Terror nicht.“ Es brauche eine Offensive der Aufklärung und Bildung über den Islam, mithilfe der Quellen des Islam. Es brauche mehr Geld für Religionsunterricht in den Schulen, mehr klare Verurteilung von Extremismus durch die islamischen Gemeinden. „Verkriechen bringt nichts“, sagt Amirpur. Konsens unter deutschen Muslimen sei aber, dass der Mord an Karikaturisten wie in Paris ein Verbrechen sei. „So eine Verteidigung braucht mein Prophet nicht“, sagt sie. Belal el-Mogaddedi, sagt, jeder Muslim habe das Recht, sich über beleidigende Karikaturen zu ärgern. Jeder dürfe sich dagegen wehren. „Aber im Rahmen von Gesetz und Rechtsstaat.“

Der Islamwissenschaftler Ali Özgür Özdil sagt, er bekomme manchmal E-Mails von jungen Muslimen. Die schreiben, dass der Koran erlaube, Menschen zu töten, wenn diese den Propheten beleidigen würden. Das stünde so im Internet. „Sie kopieren nur, aber sie kapieren nicht“, sagt Özdil. „Manche spielen Mufti auf Facebook.“

Junge Muslime geraten in vielen Fällen durch Internetprediger wie Pierre Vogel an radikale Gruppen. Der Salafismus ist vor allem eine Jugendbewegung, die stark wächst. Der Hamburger Verfassungsschutz rechnet ihr derzeit 400 Menschen in der Stadt zu. Von ihnen werden 240 als „dschihadistisch“ eingestuft, sie zeigen eine große Nähe zum sogenannten heiligen Krieg. Mehr als 550 Islamisten aus Deutschland sollen seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs in die Region gereist sein. Vor Rückkehrern warnt der Geheimdienst. Sie könnten an Waffen ausgebildet worden sein oder mit einem Anschlagsauftrag einer Terrorgruppe einreisen.

Die Moscheen hätten den Salafismus zu lange ignoriert, sagt der Bonner Journalist Eren Güvercin. Die Imame würden viele muslimische Jugendliche in deutschen Teenager-Zimmern nicht erreichen. Er fordert mehr Predigten auf Deutsch statt auf Türkisch oder Arabisch. Schließlich sei Deutsch auch die Sprache von Radikalen wie Pierre Vogel. „Salafisten tragen lange Bärte und Gewänder, aber ihre Denkstrukturen sind modern.“

Warum zieht sich ein junger Mensch zurück in die Radikalität? Der Osnabrücker Islamwissenschaftler Bacem Dziri nennt Gründe: Ein junger Mensch stehe hilflos Kriegen und Ungerechtigkeit in der muslimischen Welt gegenüber. Islamisten würden diese Situation ausnutzen und Jugendliche emotionalisieren. Zudem würden junge Muslime nach Stabilität suchen, in einer globalen Welt, in der sich alte Traditionen mehr und mehr auflösen. Und auch die Ausgrenzung von Muslimen in der deutschen Gesellschaft sei ein zentraler Faktor für Radikalisierung.

Neben dem Entsetzen steht die Sorge vor wachsender Islamfeindlichkeit

Und so steht neben dem Entsetzen über den Terrorakt in Paris auf der Konferenz an der Alster auch die Sorge vor wachsender Islamfeindlichkeit in Deutschland. „Mir macht Pegida Angst“, sagt Professorin Amirpur. 57 Prozent der Deutschen fühlen sich laut einer Bertelsmann-Studie von Muslimen bedroht. Der Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg, Ayatollah Reza Ramezani, lobt dagegen die deutsche Politik, die klar bekenne, dass Terroristen nichts mit dem Islam zu tun habe. In seiner Rede ruft er zur Versöhnung der Muslime in aller Welt auf. Die meisten Opfer des IS seien Muslime. Ramezani verurteilt die Terroristen, die mit ihren Morden Zwietracht säen würden. Die Freiheit der Karikatur verteidigt er in seiner Rede nicht.