Ob Freihandel, Migration oder Wirtschaftskrise: Die anderen Europäer beurteilen viele Fragen anders als wir

Brüssel. Die Deutschen stehen mit ihrer Meinung zu wichtigen Themen in Europa oftmals ganz allein. So hat das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) hierzulande mehr Gegner als Befürworter. 41 Prozent der Deutschen sind dagegen, 39 Prozent dafür, 20 Prozent der Befragten haben keine Position. Das geht aus einer neuen Euro-Barometer-Umfrage der Brüsseler EU-Kommission mit dem Titel „Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union“ hervor. Das Ergebnis überrascht: In 25 EU-Ländern ist die Mehrheit der Bevölkerung für TTIP, nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg sind die Gegner in der Überzahl. Insgesamt sind 58 Prozent der EU-Bürger für das geplante Freihandelsabkommen, und nur jeder Vierte ist dagegen. Offenbar fürchten die Deutschen mehr als viele andere Europäer, dass europäische Standards verloren gehen, sollte das Abkommen in Kraft treten – auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits zugesichert hat, das dies nicht geschehe.

Auch bei einem anderen Thema sind die Deutschen innerhalb Europas Einzelgänger: der Migration. Während die EU-Bürger in 25 Mitgliedsländern die wirtschaftliche Lage und die Arbeitslosigkeit als wichtigste Probleme in Europa ansehen, hält eine klare Mehrheit der Deutschen (37 Prozent) die Einwanderung für am wichtigsten. Damit ist die Migration für Deutsche wichtiger als für die Briten (33 Prozent), wo insbesondere das Problem der sogenannten Armutszuwanderung in den vergangenen Monaten in der öffentlichen Debatte an Bedeutung gewonnen hat.

Tief gespalten ist die EU mit Blick auf die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage. So sind die Bürger in 14 EU-Ländern der Ansicht, dass die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf den Arbeitsmarkt „ihren Höhepunkt schon erreicht“ hat. Besonders zuversichtlich sind dabei die Menschen in Dänemark, Irland (jeweils 72 Prozent) und in den Niederlanden (66 Prozent). In zwölf Mitgliedsländern erwarten die Befragten dagegen, dass das Schlimmste am Arbeitsmarkt noch bevorsteht.

Und dazu gehört auch Deutschland – eine echte Überraschung. 42 Prozent der Deutschen sind pessimistisch und erwarten, dass die Arbeitslosigkeit steigen wird, nur 38 Prozent gehen von einer Entspannung am Arbeitsmarkt aus. Im Frühjahr 2014 waren die Erwartungen über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit noch deutlich positiver als im November: 43 Prozent erwarteten damals eine verbesserte Lage am Arbeitsmarkt, 39 Prozent eine Verschlechterung. Große Unterschiede innerhalb der EU ergeben sich auch bei der Beurteilung der heimischen Konjunktur. Nur 34 Prozent der Europäer meint, die Wirtschaft im eigenen Land laufe „gut“, 63 Prozent bezeichnen die nationale Konjunktur dagegen als „schlecht“. Insbesondere in Dänemark , Schweden (jeweils 81 Prozent), Deutschland (78 Prozent), Luxemburg (75 Prozent) und Malta (73 Prozent) sind die Menschen mit der wirtschaftlichen Lage zufrieden, besonders unzufrieden sind sie in Griechenland, Portugal, Spanien und Bulgarien. Bemerkenswert: In Finnland und Belgien hat sich die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage zwischen Frühjahr und Herbst des vergangenen Jahres dramatisch verschlechtert. 68 Prozent der Belgier und 77 Prozent der Finnen bezeichnen die konjunkturelle Situation im eigenen Land nunmehr als „schlecht“.

Mehr als die Hälfte der EU-Bürger (56 Prozent) befürworten die Währungsunion und den Euro, 36 Prozent sind dagegen. In neun Ländern, darunter Estland, Luxemburg, die Slowakei, Malta, Irland und die Niederlande sprechen sich sogar mehr als drei Viertel der Befragten für den Euro aus. In Deutschland sind immerhin 74 Prozent der Befragten für den Euro, 22 Prozent sind jedoch dagegen. Die meisten Gegner der Gemeinschaftswährung sitzen in Schweden (73 Prozent), Großbritannien (70 Prozent), Polen (48 Prozent), Zypern (44 Prozent), Ungarn (36 Prozent) und Griechenland (35 Prozent).

In 25 Mitgliedsländern empfindet sich die Mehrheit der Befragten als EU-Bürger, besonders hoch sind die Werte in Luxemburg (89 Prozent), Malta (85 Prozent), Estland (78 Prozent) und Deutschland (74 Prozent). Nur in Griechenland (55 Prozent), Italien und Bulgarien (jeweils 51 Prozent) empfindet sich mehr als die Hälfte der Einwohner nicht als EU-Bürger. Allerdings ist die Zahl der Deutschen, die sich als EU-Bürger fühlen, im Laufe des vergangenen Jahres deutlich zurückgegangen (von 79 auf 74 Prozent).

Ein Ergebnis der neuen Umfrage dürfte den Politikern in Europa besonders zu denken geben: Nur in zwölf Mitgliedstaaten hat eine Mehrheit der Bevölkerung ein positives Bild von der EU, Spitzenreiter sind Polen (61 Prozent), Rumänien (59 Prozent) und Bulgarien (51 Prozent). In Deutschland sind immerhin 38 Prozent der Menschen positiv gegenüber Brüssel eingestellt. 41 Prozent haben nach eigenen Angaben weder eine positive noch eine negative Meinung, und jeder fünfte Deutsche denkt schlecht über die EU. Ein besonders negatives Bild von der EU haben vor allem die Griechen, Zyprer, Österreicher und Briten. Und nur vier von zehn Europäern glauben, dass ihre Stimme in der EU zählt. In Deutschland meint dies immerhin mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Befragten.